Letzter Vorhang im Rialto

Ein kleines, feines Stück Kinogeschichte in Wilhelmsburg ist zu Ende: Die Rialto Lichtspiele am Vogelhüttendeich zeigten Donnerstagabend ihren letzten Film. Vor der Feuerzangenbowle präsentierte das Rialto-Team die Höhepunkte aus 180 Tagen Spielbetrieb in einer schillernden Abschlussrevue. Conférencière Marai Schlatermund führte Freundinnen und Freunde des Kinos durch einen Abend voller Herzlichkeit und Herzeleid: Filmsequenzen und Livepoesie, kleine Konzerte, stummes Theater, Videobotschaften und eine PowerPoint-Präsentation erinnerten an das vorerst letzte Kapitel in der Geschichte des Rialto-Kinos. Vorerst? Ideenstifter Stephan Reifenrath deutete an: Es könnte eine Fortsetzung geben.

„Ein abgewetzter Kinosessel erzählt Geschichten – von Helden die uns retten und dunklen Bösewichten“, sang der Eddy Winkelmann zum Abschied. Der Wilhelmsburger Liedermacher, der beim Umbau des Kinos mit anpackte, trat stilecht mit einem selbstgedrehten Film auf. „Wir haben uns selbst beschenkt“, heißt es im Abspann. Ein Ständchen zum Abschied ließen sich auch Dirk Darmstädter, Cate's Leila und Emily's Escape nicht nehmen, die bei der Rialto-Revue auftraten. „Rialto, Rialto – Träume strömen immer noch durch dich“, sang Bernd Volkens. Vorher verteilte er noch schnell die letzten Stücke Stuck aus dem Foyer an alle, die bei seinem Filmmusik-Quiz richtig geraten hatten.

Mehr als 12.000 Gäste

Auch ihr vielgelobtes Popcorn-Rezept gaben die Rialto-Cineasten am Ende Preis: 181 Kilogramm Mais, drei Zentner Fett und zwei Zentner Zucker ergaben rund 5.000 Tüten Popcorn. Demnach hat fast jeder zweite Gast davon genascht: Mehr als 12.000 Besucherinnen und Besucher zählten die Kinobetreiber im Laufe ihrer Spielzeit. Laut Stephan Reifenrath kam etwa die Hälfte mit dem Insulanerticket hinein, das Leuten aus dem Stadtteil ermäßigten Eintritt gewährte. 335 Vorstellungen liefen im Rialto – überwiegend Kino, aber auch Theater, Literaturlesungen und Konzerte. Besonders glücklich ist der Projektleiter über den Erfolg des Schulkinos: Rund 1.500 Schülerinnen und Schüler schauten sich kostenlos Filme im Rialto an. „Viele von denen waren zum ersten Mal im Kino“, sagt Stephan Reifenrath.

Ruhm und Glanz der Abschiedsrevue gebührten vor allem dem Team des Rialto-Kinos. 153 Frauen und Männer wirkten daran mit – freiwillig und unbezahlt. Ende Januar begann ihre Arbeit: Sie räumten Schrott und Müll weg, flickten die Löcher im Dach, schaufelten das morsche Parkett aus dem Saal, wuschen die Sesselpolster. Sie spannten eine neue Leinwand auf und machten sich vertraut mit Licht- und Tontechnik. „Das wichtigste ist, dass alle den Raum hatten, den sie brauchten, um sich zu entwickeln“, sagt Stephan Reifenrath. Einige, die als Laien anfingen, seien über die Arbeit im Rialto echte Spezialisten geworden. Trotz der harten und dreckigen Arbeit habe es immer genug helfende Hände gegeben. „Ich glaube, was wir gut geschafft haben, ist, zu transportieren, dass das allen gehört und nicht nur einem“, sagt Stephan Reifenrath. „Das ist der Geist, der dem Rialto innewohnt.“ Der Verlust liebgewonnener Aufgaben trieb einen sogar zur Revue auf die Bühne: Der Mann hinter der Popcornmaschine, widmete dem Gerät ein erotisches Gedicht, dass er unter Jubel des Publikums von einem Collegblock ablas. Die Ode endet dramatisch: „Du geile Sau, du liederliches Stück! Heute gehe ich ein letztes Mal durch diese Tür – und du bleibst zurück.“

Publikum und Künstler fordern den Erhalt des Rialto

„Schade, dass es schon wieder vorbei ist! – Bitte, bitte, bitte macht weiter – Liebe Frau Kisseler! Bitte geben Sie Geld für den Erhalt dieses Kinos!“ Das Gästebuch ist voll von solchen Wünschen. Dem schließen sich viele Künstlerinnen und Künstler an, die im Rialto auf der Bühne zu Gast waren. „Ich komm wieder“, verkündete Bernadette La Hengst in einer Videobotschaft, „aber dafür müsst ihr wieder aufmachen!“ Auch das Personal von Fraktus alias Studio Braun nutzte die Gelegenheit, für den Erhalt des Rialto zu werben. Tulip, die singende Tulpe, forderte per Video: „Weitermachen!“ Die Band Infamis schickte auf den letzten Drücker einen eigens produzierten Clip: „Es steht ein Haus in Wilhelmsburg“, singt der Frontmann zur Melodie von House of the Rising Sun. „Hier haben wir's erlebt / Dass meistens das, was von Herzen kommt / Auch zu Herzen geht.“

Ist es wirklich das Ende? „Ich würde das genauso wieder machen – und sicher auch mit dem gleichen Elan“, sagt Stephan Reifenrath, dem das Rialto-Gebäude heute gehört. Dem Traum, das Kino zu erhalten, setzen die Behörden nun ein Ende. Ein dauerhaftes Kino am Vogelhüttendeich benötige laut Vorschrift mindestens 45 Parkplätze und dürfe nachts nicht mehr als 40 Dezibel absondern, sagt der Projektleiter. Das reduziere die Chance, weitermachen zu dürfen, auf „0,5 Promille“. Doch Plan B liegt schon griffbereit in der Schublade.

Rialto II ist schon geplant – jetzt kommt es auf die Stadt an

„Es gibt seit längerem Gespräche mit der Stadt und mit der Sprinkenhof, um die Zinnwerke zum Kino umzunutzen“, sagt Stephan Reifenrath. Die Halle des Gebäudekomplexes am Veringkanal, die zurzeit leer steht, könnte vier bis fünf Kinosäle beherbergen – das habe die Hamburger Firma K-Motion bereits errechnen lassen. „Die haben schon eine Machbarkeitsstudie gemacht, es gibt Pläne dafür – es liegt jetzt nur noch an der Stadt, das zu entscheiden“, sagt Stephan Reifenrath. Die Firma sei darauf spezialisiert, alte Gebäude zu Kinos umzuwidmen. Anderthalb Millionen würde K-Motion investieren – wenn die Sprinkenhof AG das Gebäude entsprechend saniert. „Das ist schwierig im Moment, weil die wegen des Wegfalls des Opernfundus ein bisschen verschnupft ist“, sagt der Rialto-Initiator. Sollte der Plan aber aufgehen, würde der Name Rialto auf das neue Kino übergehen – unter der Voraussetzung, dass ein Saal dem Stil und Konzept des temporären Lichtspielhauses nachempfunden werde. „Es wäre das Allergrößte, wenn wir das schaffen könnten. Dann hätte der Anstoß den richtigen Weg gefunden“, sagt der Initiator.

Was mit dem jetzigen Gebäude geschieht, sei noch unklar, sagt Stephan Reifenrath. Zunächst will er die Fassade mit Holz verkleiden und tapezieren lassen. Sie soll ein großer Wunschzettel für die Menschen im Stadtteil werden. Ihre Ideen will Reifenrath dann in seine Überlegungen einfließen lassen. Mindestens ein halbes Jahr wolle er sich dafür Zeit lassen, sagt er. Von der Kritik, dass der geschichtsträchtige Standort zum Motor für Gentrifizierung im Stadtteil werden könnte, will sich der Kulturmacher nicht beirren lassen. „Ich habe mich immer gewehrt, mich auf diese politische Bühne zerren zu lassen“, sagt er. Die meisten Menschen hätten das Rialto ohnehin so verstanden, wie es gemeint sei: Als einen Vergnügungsbetrieb und einen kulturellen Gewinn für Wilhelmsburg.

von Annabel Trautwein

 

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Tipp:

Noch einmal öffnet das Rialto am Vogelhüttendeich seine Türen: Zur Abschiedsparty am Samstag. Der Eintritt ist frei.


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