Da hilft nur ‏“Om“: Wilhelmsburger im Dauerlärm

Fünf Meter neben ratternden S-Bahnen, brausenden Regionalzügen und kreischend bremsenden Güterwaggons die innere Ruhe bewahren – das übten die Engagierten Wilhelmsburger am Samstag am Katenweg. Etwa 30 Aktivisten und Freunde trafen sich um fünf vor zwölf zum „Wilhelmsburger Lärm-Yoga“ im Garten von Alfred Lischewski und Sabine Böttger. Trotz der humorvollen Aktion ist der Frust am Rande des Bahndamms deutlich zu spüren: Seit Bagger mitten in der Nacht die Lärmschutzwände wegrissen, sind die Nachbarn dem Krach schutzlos ausgesetzt. „Es ist einfach Terror“, sagt Alfred Lischewski.

Um 2.15 Uhr in der Nacht zu Samstag, 22. Februar endete der Frieden am Katenweg. „Das weiß ich ganz genau, weil ich schlagartig im Bett gestanden habe“, erzählt Alfred Lischewski. Durchs Fenster sah er, was fünf Meter von seinem Haus vor sich ging: „Oben auf den Gleisen sind Bagger gefahren. Einer hat die vorhandene Wand einfach rausgerissen und aufs Nachbargleis geschmissen, mit einem Höllenlärm.“ Auch seine Nachbarin, die Seniorin Margarethe Voß, hat den Schock noch deutlich in Erinnerung: „'Ist die S-Bahn ins Haus gefahren?', habe ich meinen Mann gefragt. So bin ich hochgeschreckt.“

Seit drei Wochen herrscht Dauerlärm am Katenweg: Im Fünf-Minuten-Takt donnern die S-Bahnen vorbei, dazu Metronom, ICE und Güterzüge. Tag und Nacht schallt das Geratter und das Kreischen der Güterzug-Bremsen durch Straßen, Häuser, Schlafzimmer. „Die Lage ist katastrophal, man kann nachts nicht mehr schlafen“, sagt Horst Pingel, der neben Alfred Lischewski und Sabine Böttger wohnt. In seinem Garten hat er bis zu 90 Dezibel gemessen. Ab 55 Dezibel könne der Lärm gefährlich werden, schreibt die Hamburger Gesundheitsbehörde. Laut Weltgesundheitsorganisation sind nachts drinnen höchstens 30 Dezibel dauerhaft erträglich. Während der Nacht zu lüften, ist für die Menschen am unteren Katenweg nicht mehr drin. „Morgens ist man völlig gerädert“, sagt Alfred Lischewski. Tagsüber könne er sich kaum noch richtig konzentrieren. Der Wilhelmsburger ist als leitender Angestellter für 75 Mitarbeiter zuständig. „Wenn ich gestresst nach Hause komme, finde ich hier keine Ruhe“, sagt er. „Es ist der blanke Horror.“ Selbst drei Häuserreihen weiter dringt der nächtliche Bahnlärm durch. „Wir warten die Abstände zwischen den Zügen ab, um einschlafen zu können“, sagt Silke Muhlack vom Schwentnerring.

Niemand will verantwortlich sein

Warum die Lärmschutzwand abgerissen wurde, ist für die Bewohner am Katenweg ein Rätsel. Eine Information von der Behörde oder anderen offiziellen Instanzen hat niemand bekommen. Nur in einer Meldung im Elbe-Wochenblatt seien indirekt – über einen Link, den die Leser erst eintippen mussten – Maßnahmen zur Erneuerung des Lärmschutzes angekündigt worden, erinnert sich Alfred Lischewski. Horst Pingel hat den Hinweis gar nicht gesehen. Seit drei Wochen versucht er, bei Behörden und Bahn etwas über den weiteren Fortgang der Baumaßnahmen zu erfahren – vergeblich. „Die Bahn sagt: Dafür ist die Freie und Hansestadt zuständig. Die BSU sagt: Dafür ist die Bahn zuständig“, erzählt er. „Da wird man langsam aggressiv.“ So hat es auch sein Nachbar Alfred Lischewski erlebt: „Die Verantwortung wird immer hin- und hergeschoben.“ Inzwischen haben sie Strafanzeige gegen Unbekannt gestellt – wegen Körperverletzung, fahrlässiger Körperverletzung und Körperverletzung im Amt. „Es könnte ja eventuell sein, dass irgendein Amts- oder Würdenträger dahinter steckt“, sagt Alfred Lischewski.

Erst auf Nachfrage von Medien und Politikern sind erste Eingeständnisse zu vernehmen. Die Anwohner wurden über Baumaßnahmen an der Leipeltstraße und damit bedauerlicherweise nicht vollständig auch über Abbruchmaßnahmen informiert“, räumt eine Sprecherin der Planungsgesellschaft DEGES auf Nachfrage ein und verspricht: „Da uns das Thema Anwohnerinformation sehr wichtig ist, werden wir hier künftig aktiver sein.“ Die DEGES koordiniert im Auftrag der Stadt Hamburg die Planung zur Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße. Auch der Bau neuer Lärmschutzwände gehört zu dem Vorhaben. Ob die Reichsstraße tatsächlich verlegt werden wird, ist jedoch noch nicht entschieden. Zuerst muss ein Gericht über mehrere Klagen gegen das Vorhaben urteilen.

Für den Abbau der Lärmschutzwände am Katenweg ist jedoch die Freie und Hansestadt Hamburg gemeinsam mit der DB Netz AG verantwortlich – das gab der Senat zu, nachdem die Linke-Abgeordnete Heike Sudmann eine Kleine Anfrage einreichte. In der Antwort, in der Parlamentsdatenbank unter der Dokumentnummer 11069 einsehbar ist, schreibt der Senat: „Über einen relativ kurzen Zeitraum dauernde Beeinträchtigungen sind von den Betroffenen grundsätzlich zu tolerieren.“ Frühestens im August werde die neue Lärmschutzwand stehen, heißt es in derselben Antwort. Wie laut es in der Zwischenzeit werden könnte für die Nachbarn am Katenweg, hat der Senat nach eigenen Angaben nicht ermitteln lassen.

Für Alfred Lischewski sind diese Ansagen nicht hinnehmbar. „Wenn es wirklich so lange dauert, bis da oben wieder etwas steht – das werden wir ganz sicher nicht durchstehen. Vorher liegen wir mit Nervenschäden im Krankenhaus“, sagt er. Dass die Lärmschutzwände abgebaut wurden, um etwaige Kampfmittel zu beseitigen, ist für die Nachbarn am Katenweg völlig unglaubwürdig. „Dieser Damm hier ist 1983 extra für die S-Bahn aufgeschüttet worden“, sagt Alfred Lischewski. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die damalige Baufirma in den neuen Damm irgendwelche Kampfmittel eingebaut hat. Und ich bin mir auch ganz sicher, dass seit 1983 keine Kampfmittel mehr vom Himmel gefallen sind.“

Kritik: Wilhelmsburger werden wissentlich benachteiligt

„Das ist die Aufwertung von Wilhelmsburg. Kaum ist die igs vorbei, lässt man uns gleich wieder sacken“, kritisiert Christa Voß. So wie sie denken viele Wilhelmsburger, die sich zum „Lärm-Yoga“ am Katenweg versammelt haben. „Als Wilhelmsburger konnten wir ja wahrnehmen, dass das igs-Gelände bahnseitig mit einer doppelt so hohen Lärmschutzwand versorgt wurde wie die Anwohner auf der anderen Seite“, kritisiert Jochen Klein von den Engagierten Wilhelmsburgern. Um die Gartenschau-Besucher vor Lärm zu schützen, habe die Stadt sogar Flüsterasphalt und Tempolimit auf der Reichsstraße eingerichtet, die nun zum Abriss vorgesehen ist. Besonders eklatant findet Jochen Klein den Vergleich zwischen den Bauarbeiten am Katenweg und dem Ausbau der A7 in Stellingen. Dort habe die Stadt nämlich mobile Lärmschutzwände aufgestellt. Beide Planfeststellungsverfahren – das zum Ausbau der A7 in Stellingen und das zur Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße – koordiniert die DEGES. „Der gesundheitsgefährdende Lärm in Stellingen war bekannt, und genauso war er hier in Wilhelmsburg bekannt. Das lässt mich persönlich schon an der Neutralität der Planfeststellungsbehörde zweifeln“, sagt Jochen Klein.

Wie es nun weiter geht, können die Menschen am Katenweg nur raten. Am kommenden Wochenende sollen die S-Bahnen wieder ausfallen – nach Alfred Lischewskis Einschätzung ein Indiz für weitere Bauarbeiten an der Strecke. Die Engagierten Wilhelmsburger zielen derweil darauf ab, mit Aktionen wie dem „Lärm-Yoga“ und der Aufmerksamkeit der Medien die Stadt zum Handeln zu zwingen. „Wir hoffen, dass der Druck so hoch wird, dass hier zumindest mobile Lärmschutzwände aufgestellt werden“, sagt Alfred Lischewski. „Die Alternative wäre, dass wir auf Staatskosten ins Hotel gehen.“

von Annabel Trautwein

 

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Kommentare

Eine Antwort zu „Da hilft nur ‏“Om“: Wilhelmsburger im Dauerlärm“

  1. Avatar von H-J Maass
    H-J Maass

    „Rache ist ein Gericht, das am besten kalt serviert wird.“ – altes klingonisches Sprichwort.

    Der „kooperativen Planungsprozess“ 2009 war noch keine halbe Stunde alt, die Vorstellungsrunde war noch nicht beendet, da ging es bereits los. Die Konzernbeauftragte für Norddeutschland der Deutschen Bahn (das ist nun wahrlich nicht die 2. Geige!) hatte noch keine drei Sätze gesagt, da wurde sie bereits von einem über-engagierten Wilhelmsburger unterbrochen: sie wäre „inkompetent“. In diesem aggressiven Stil ging es dann wochenlang so weiter…

    Ich habe mich damals gefragt, welchen Sinn es machen kann, seinen Verhandlungspartner so heftig anzugehen, wenn man doch von ihm etwas haben möchte, nämlich vernünftigen Lärmschutz. Und ich habe mich seinerzeit gefragt, wie die Antwort der DB darauf wohl eines Tages ausfallen könnte. Jetzt wissen wir’s!

    Die jüngste Aktion der DB ist wahrlich hart und trifft zudem viele Unschuldige. Dass sich trotzdem kaum 30 Leute einfinden, um ihre Solidarität mit den Betroffenen auszudrücken, ist die bittere Konsequenz einer Politik die jahrelang keine Zwischentöne duldete, die ausschließlich auf mediale Effekte zielte und die von Anfang an auf Lösungen und Kompromisse bewusst verzichtet hat.

    Die „Engagierten“ haben bis heute nicht begriffen, dass sie sich damit vor einen parteipolitischen Karren *)  haben spannen lassen und sie werden es vermutlich selbst dann noch nicht begreifen, wenn man ihnen in einigen Jahren eine Autobahn quer durch ihre Siedlung baut. Eine Autobahn, die dann tatsächlich unmittelbar an ihre Gärten grenzt und die man 2009 hätte elegant abbiegen können. Statt dessen hat man es vorgezogen die Grünen als Autopartei vorzuführen, was sie nun wirklich nicht sind.

    *) siehe dazu meinen Leserkommentar vom 23. Februar 2014 um 18:26 auf http://www.wilhelmsburgonline.de/2014/01/senat-beschliesst-landschaftsschutzgebiet-elbinsel-wilhelmsburg/ – bitte beachten Sie, dass die Redaktion alle Absätze aus meinem Beitrag nachträglich(!) entfernt hat, wodurch der Beitrag zur Bleiwüste und damit nahezu unlesbar geworden ist – und denken Sie sich ihren Teil dabei.

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