Protestschilder, Sitzblockade, Klagen – vor der Flüchtlingsunterkunft in Kirchdorf-Süd gab es am Dienstagabend Zoff. Die Geflüchteten sind frustriert über die Enge in der Notaufnahmestelle, beklagen sich über einen Mangel an Duschen und Toiletten und fordern richtige Betten und wärmere Räume. Der Protest vor der alten Schule am Karl-Arnold-Ring zog nicht nur Blicke aus der Nachbarschaft an. Auch die Polizei und Verantwortliche von Fördern und Wohnen rückten aus, um die Lage in den Griff zu bekommen. Nun zeichnet sich ein Erfolg für die Flüchtlinge ab: Die Bedingungen in der Unterkunft sollen besser werden, versprach Fördern und Wohnen auf Nachfrage von WilhelmsburgOnline.de.
Vier Duschen für mehr als 180 Männer, Frauen und Kinder, zu wenig Toiletten, harte Feldbetten, kalte und überfüllte Räume, karge Kost – die Flüchtlinge in Kirchdorf-Süd zählten eine Menge Beschwerden auf. „Wir kommen aus den Zelten und dachten, hier wird es auf jeden Fall besser“, sagte einer der Protestierenden. „Nun wurden wir eines besseren belehrt.“ Die Enge in den Zimmern sei das größte Problem, erklärte der Mann. Viele der muslimischen Frauen würden von sich aus nie mit fremden Männern in einem Raum schlafen – in der Unterkunft aber müssten Männer und Frauen unterschiedlicher Herkunft und Kultur auf engstem Raum zusammenleben. Einige Musliminnen hätten seit zwei Wochen ihr Kopftuch nicht mehr abgenommen, berichten Frauen aus der Unterkunft im Gespräch mit WilhelmsburgOnline.de. Mehrere Flüchtlinge erzählten empört, in einem der Zimmer sei ein Ehepaar vor den Augen von Kindern und Frauen intim geworden. Für die Familien im Raum sei so ein Erlebnis nur schwer zu verkraften. Zoff gab es auch um das Essen. Am Montagabend reagierte einer der Flüchtlinge aggressiv, weil ihm eine Mitarbeiterin der Catering-Firma keinen Zucker-Nachschub für seinen Tee geben wollte. So berichteten es die Sicherheitsleute auf dem Gelände. Die Polizei, die die Security herbeigerufen hatte, um der Lage Herr zu werden, bestätigte den Vorfall.
Seit knapp zwei Wochen leben Flüchtlinge in der ehemaligen Schule am Karl-Arnold-Ring in der Hochhaussiedlung Kirchdorf-Süd. Das Gebäude ist eine Notunterkunft der Erstversorgung für Flüchtlinge: Nach dem Beschluss des Hamburger Senats, mit Hilfe eines Sondergesetzes so schnell wie möglich Unterkünfte zu schaffen, wurde die Schule binnen zwei Tagen leer geräumt und mit Feldbetten und Spinden für Flüchtlinge eingerichtet. Inzwischen sind mehr als 180 Menschen dort angekommen, weiterhin treffen neue Flüchtlinge ein, vorwiegend Familien mit Kindern. Sie stammen aus den unterschiedlichsten Krisengebieten der Welt: Viele waren in Syrien, Palästina, Afghanistan oder im Irak zu Hause und ergriffen die Flucht vor islamistischen Terroristen. Andere sahen sich gezwungen, ihre Heimat in Bosnien, Herzegowina oder Mazedonien hinter sich zu lassen. Wieder andere flüchteten vor Krieg und Gewalt in Afrika über das Mittelmeer nach Europa.
Hamburg soll eine der letzten Stationen ihrer Flucht sein: In Erstaufnahmestellen wie dem Zeltlager an der Harburger Poststraße oder der ehemaligen Schule in Kirchdorf-Süd werden die Neuankömmlinge mit dem Nötigsten versorgt. Bis zu drei Monate dürfen die Menschen laut Gesetz in den provisorischen Sammelstellen bleiben. Danach sollen sie einen Platz in einer der Wohnunterkünfte der Stadt bekommen – wenn ihr Asylantrag anerkannt wird. Ob die Flüchtlinge in Deutschland bleiben dürfen, entscheidet nicht Hamburg, sondern das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Berlin.
Verantwortliche sind überfordert
In Hamburg ist die städtische Hilfsanstalt Fördern und Wohnen für die Versorgung von Flüchtlingen zuständig. Dafür hat sie Arbeitskräfte im Umfang von insgesamt 305 Vollzeitstellen zur Verfügung. Diese Mitarbeiter kümmern sich zum einen um die 64 Wohnunterkünfte in ganz Hamburg, in denen neben Flüchtlingen auch einheimische Wohnungslose leben und die Platz für insgesamt 10.444 Menschen bereithalten. Nach dem Beschluss des Senats kommen weitere Plätze für Flüchtlinge hinzu, um die sich Fördern und Wohnen kümmern soll. So sind zum Beispiel Notunterkünfte der Zentralen Erstaufnahme mit insgesamt 1.240 Plätzen vorgesehen, davon 300 am Karl-Arnold-Ring und 240 an der Dratelnstraße in Wilhelmsburg. Zusammengerechnet soll das Sofortprogramm der Stadt mindestens 1.500 neue Plätze schaffen. Bezirksamtsleiter Andy Grote (SPD) spricht von 2.000 Plätzen. Je nach dem, wie sich Bedarf und Ausbau der Unterkünfte entwickelt, könnten die gut 300 Vollzeitkräfte von Fördern und Wohnen also bald für etwa 1.2500 Flüchtlinge und Wohnungslose verantwortlich sein. Schon jetzt ist die städtische Institution mehr als ausgelastet, wie eine Mitarbeiterin gegenüber WilhelmsburgOnline.de deutlich machte.
Die Proteste in Kirchdorf-Süd erhöhen den Druck – doch offenbar mit Erfolg. „Die Kritikpunkte der Flüchtlinge sind alle berechtigt“, räumt Christiane Schröder von Fördern und Wohnen ein. „Die Bedingungen der Unterbringung, die wir momentan in der Unterkunft am Karl-Arnold-Ring haben, entsprechen nicht den Standards, die wir an anderen Standorten haben.“ Am Dienstagabend kamen zwei Mitarbeiter von Fördern und Wohnen zur ehemaligen Schule, um mit den Menschen vor Ort über ihre Probleme zu sprechen. Dabei stellten sie für vieles, worüber sich die Flüchtlinge beklagt hatten, schon Lösungen in Aussicht.
Kritik berechtigt, Besserung in Sicht
Nach Rücksprache mit der Innenbehörde kündigt Fördern und Wohnen nun konkrete Verbesserungen an: Die Feldbetten in der ehemaligen Schule sollen so schnell wie möglich gegen richtige Betten ausgetauscht werden. Außerdem sollen bald Kinderbetten geliefert werden, die bislang fehlten. Auch gegen die nächtliche Kälte soll etwas unternommen werden. „Da klären wir mit dem Hausmeister, wie man die Heizungsanlage entsprechend hochfahren kann“, sagt Sprecherin Christiane Schröder. Um dem Mangel an Duschen und Toiletten zu beheben, sollen weitere Sanitärcontainer auf dem Schulgelände aufgestellt werden. Künftig sollen die Flüchtlinge auch Waschmaschinen im Gebäude nutzen dürfen. Auch wollen die Verantwortlichen von Fördern und Wohnen mit der Catering-Firma sprechen. Wenn alle ihre Portion bekommen haben, soll es künftig auf Nachfrage auch Nachschub geben.
Das drängendste Problem – die Enge und der Mangel an Privatsphäre – soll gemeinsam mit den Menschen in der Unterkunft besprochen werden. „Die Kollegen haben gestern mitgenommen, dass die Einrichtung neu strukturiert werden muss“, sagt Christiane Schröder im Telefonat mit WilhelmsburgOnline.de. In Gesprächen mit den Flüchtlingen soll geklärt werden, wie die Menschen sinnvoller auf die vorhandenen Zimmer aufgeteilt werden können. „Wir orientieren uns da so weit es geht auch an den Wünschen der Bewohner“, sagt die Sprecherin. Denkbar wäre zum Beispiel, Schlafräume nur für Männer zu schaffen, in denen dann auch verheiratete Männer oder Familienväter leben.
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