Veringkanal soll ein „Dursun Akçam Ufer“ bekommen

Aus seinem Heimatland Türkei musste er fliehen, in Wilhelmsburg half Dursun Akçam türkischen Kindern, in der Fremde heimisch zu werden – dafür will Marco Moreno dem Mann ein Denkmal setzen. Er will den Wanderweg am westlichen Ufer des Veringkanals nach dem politischen Flüchtling und Aufklärer benennen lassen. Ein Antrag liegt schon bereit. Kommt er durch, würde Wilhelmsburg damit ein wichtiges Zeichen des Respekts setzen, sagt Marco Moreno – nicht nur für Dursun Akçam, sondern für alle Wilhelmsburgerinnen und Wilhelmsburger ausländischer Herkunft, die auf der Insel Wurzeln geschlagen haben.

„Einer der ersten Vermittler zwischen der türkischen und der deutschen Kultur“ – so nennt die Stadtteilkünstlerin Kathrin Milan den politischen Flüchtling, der 1984 auf die Elbinsel kam und mehr als zehn Jahre lang deutsche und ausländische Wilhelmsburger miteinander ins Gespräch brachte. „Dursun Akçam war durch und durch ein Aufklärer im klassisch westlichen Sinn“, schreibt Güler Akpinar vom Zentrum Bildung und Integration in einem Brief an den Bezirk Hamburg-Mitte. Auch der ehemalige Geschäftsführer der Elbewerkstätten, Bodo Schümann, und der Übersetzer Helmut Oberdiek unterstützen Marco Morenos Antrag. Die Widmung des Kanalufers soll an Werte erinnern, die damals wie heute in einem Stadtteil wie Wilhelmsburg besonders wichtig sind. „Der Name Akçam steht für mich für Solidarität mit Leuten, die weniger Chancen haben als andere, und für Mut“, sagt Marco Moreno.

Ein Freigeist auf der Flucht

Dursun Akçam wurde 1930 in ostanatolischen Stadt Ardahan geboren. „Schon als Kind hatte er einen wachen Geist und einen scharfen Verstand“, sagt Marco Moreno, der sich in Gesprächen mit Zeitzeugen und Briefwechseln mit der Familie Akçam ein Bild von dem türkischen Oppositionellen machte. Dursun Akçam eckte demnach schon in der Koranschule an, weil er blinden Gehorsam gegenüber Religion und Tradition ablehnte. In seinem Beruf als Lehrer trat er für Aufklärung nach europäischem Vorbild ein – was ihn Anfang der 70er Jahre zum Gegner der damaligen militärischen Führung mache. Weil er sich in der Gewerkschaft engagierte, kam Dursun Akçam ins Gefängnis. Doch auch nach seiner Haft verstummte er nicht: Er wurde Journalist und schrieb kritische Reportagen über vernachlässigte Landstriche seiner Heimat, prangerte ungleiche Bildungschancen an und warb für eine Gleichstellung von Frauen und Männern. Schließlich brachte er ein eigenes Blatt heraus: „demokrat“, eine linksliberale Tageszeitung, die ihn in den Augen der Machthaber endgültig zum Systemgegner machte. Die Zeitung wurde verboten. Dursun Akçam floh nach Hamburg.

Nach dem Versuch, weiter als Zeitungsverleger und Schriftsteller sein Leben zu bestreiten, fand er einen Job in der Bücherhalle Wilhelmsburg. Dursun Akçam wurde zum Vermittler zwischen den Kulturen der Elbinsel: Er lud ausländische Dichter zu Lesungen ein, organisierte interkulturelle Feste im Bürgerhaus und spornte Kinder und Jugendliche mit Wettbewerben zum Dichten, Schreiben, Lesen und Malen an. Seine eigenen Vorlesestunden wurden zu wöchentlichen Highlights für die Kinder in der Nachbarschaft, wie Marco Moreno berichtet. „Der hat damals 40, 50 Kindern vorgelesen und das richtig inszeniert“, sagt er Wilhelmsburger. „Wobei er sich selbst gar nicht in den Vordergrund gestellt hat.“

Ausländerfeindliche Stimmung auf der Insel

Dursun Akçam habe damals viel Eis brechen müssen, erzählt Marco Moreno. Heute sei das Miteinander von Menschen unterschiedlicher Herkunft für die meisten Elbinselbewohner ganz normal, doch in den 80er und 90er Jahren wehte noch ein anderer Wind. Marco Moreno hat es miterlebt – sein Vater flüchtete selbst als Verfolgter des faschistischen Franco-Regimes aus Spanien nach Wilhelmsburg, seit 1968 lebt die Familie Moreno auf auf der Insel. In den 80er Jahren herrschte Massenarbeitslosigkeit, immer mehr Wohnungen standen leer. Der Senat nutzte das aus: Hier war Platz für die anatolischen „Gastarbeiter“, die in der Stadt nicht gern gesehen waren. Auch in Wilhelmsburg waren die Fremden nicht willkommen, erzählt Marco Moreno: „Es entstand eine ganz schlimme ausländerfeindliche Stimmung hier. Das war ganz furchtbar.“ Umso höher schätzt er den Einsatz von Dursun Akçam, der als einer der ersten für multikulturellen Austausch auf der Insel eintrat.

An dieses Engagement sollen die Menschen in Wilhelmsburg erinnert werden, wenn sie am Atelierhaus, dem „Turtur“ und den Zinnwerken vorbei am Veringkanal entlang spazieren. Bis zur Wiese am Interkulturellen Garten soll der Weg künftig als Dursun Akçam Ufer bekannt sein. Warum, das erläutert Marco Moreno in einem elfseitigen Antrag an das Fachamt für Management des öffentlichen Raumes im Bezirk. Dazu hat er Stimmen aus dem Stadtteil gesammelt und Zeitungsartikel zusammengestellt, die Dursun Akçams Wirken im Stadtteil belegen. „Ich bin politisch ziemlich naiv“, meint der Wilhelmsburger. „Ich haue solche Sachen erst einmal raus.“

Respekt für alle eingewanderten Wilhelmsburger

Inzwischen hat er guten Grund, optimistisch zu sein: „Ich habe bei den meisten Politikern offene Türen eingerannt“, sagt Marco Moreno. Kesbana Klein und Michael Weinreich von der SPD, Bayram Inan von den Grünen und Jörn Frommann von der CDU haben ihm schon zugesichert, das Projekt zu unterstützen. „Wenn das klappen sollte, das würde mich schon stolz machen“, sagt der Initiator. Die symbolische Namensgebung ist für ihn auch ein Signal der Anerkennung an alle, die es geschafft haben, ihrer kulturellen Heimat im Herzen treu zu bleiben und gleichzeitig auf der Insel heimisch zu werden – so wie Dursun Akçam es seinerzeit vorgelebt hat.

von Annabel Trautwein

 

Zeitzeugen und Unterstützer gesucht!

Wer hat Dursun Akçam gekannt und kann von ihm berichten? Marco Moreno sucht weiterhin nach Zeitzeugen und freut sich über Mails an marcomoreno@web.de.

Zudem will er am 24. Januar im Bürgerhaus über sein Projekt informieren. Beim „Marktplatz“ der Initiativen und Vereine im Stadtteil können alle Interessierten für die Namensgebung des Kanalufers unterschreiben. Wie es mit dem Projekt vorangeht, erfahren Interessierte auch auf dieser Facebook-Seite. Dort wird auf Türkisch und Deutsch über Neuigkeiten berichtet.

 

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Kommentare

Eine Antwort zu „Veringkanal soll ein „Dursun Akçam Ufer“ bekommen“

  1. Avatar von WilhelmsburgOnline.de

    Wir haben ein Detail im Vorspann korrigiert: Der Antrag von Marco Moreno liegt bereit, ist aber noch nicht (wie wir vorher geschrieben haben) auf dem Weg. Erst einmal soll die Idee im Beirat für Stadtteilentwicklung besprochen werden, dann geht die Post ans Bezirksamt. Wer Lust hat, über den Vorschlag mit zu diskutieren, kann am Mittwoch, 18. Februar, um 18:30 Uhr zur Beiratssitzung ins Bürgerhaus kommen.

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