Alle reden vom „Kulturkanal“ – aber was ist damit gemeint, was nicht ohnehin schon an Kultur am Veringkanal zu finden ist? Einige Leute aus dem Soulkitchen-Kollektiv haben sich darüber Gedanken gemacht. Mit ihrem Verein Stadtkultur Hafen wollen Mathias Lintl, Alexander Reichert, Jenny Ohlenschlager, Niko Glagow und andere rund um die Soulkitchen-Halle Spielraum für kreative Arbeit und Kulturgenießer schaffen. Die Ideen für das „Soulvillage“ reichen von innovativen Stadtgärten über ein Haus für neue Medien und Kunstproduktion bis zur Strandlounge am Kanalufer. Auch die Soulkitchen-Halle soll wieder mit Leben gefüllt werden. Der Verein legt damit das erste Konzept für den „Kulturkanal“ vor, seit Bezirksamtschef Andy Grote im Sommer 2013 diesen Begriff ins Spiel gebracht hatte.
10.000 Quadratmeter Brachfläche am Kanalufer und mittendrin das stillgelegte Herz der Selbermacher-Kulturszene Wilhelmsburgs – damit lässt sich einiges machen, sagen die Leute vom Soulkitchen-Kollektiv. Schon im kommenden Sommer sollen hier wieder Partys und Konzerte laufen. Das „Soulvillage“ soll aber nicht nur ein Ort zum Feiern sein, sondern auch eine Keimzelle für kreative Ideen. Die braucht Wilhelmsburg auch dringend, sagen die Konzeptplaner bei einer ersten Präsentation vor Journalisten und Fachleuten auf einem der Hausboote im Veringkanal. Denn an vielen Stellen wird es eng für die Menschen auf der Insel: Kleingärtner sollen dem Wohnungsbau weichen, Musikern und Künstlern fehlt es an Probenräumen oder Lagerflächen. Im „Soulvillage“ ist für all das Platz, sagen Mathias Lintl, Jenny Ohlenschlager und Alexander Reichert. In ihrer Präsentation am Dienstag erläuterten sie, wie ein Miteinander von Kunst und Kultur, Arbeit und Erholung, Ökologie und Produktion am Kanal gelingen kann.
Die Soulkitchen-Halle bleibt, was sie war: Spielstätte für Konzerte, Filmabende, Pingpong-Parties, Dreharbeiten, Märkte und Messen, Kunstprojekte und rauschende Partys. Sie soll das Zentrum für Kultur und Geselligkeit am Kanal werden, erklären die Ideengeber. Natürlich muss dazu einiges am Bau gemacht werden. Mathias Lintl zählt auf: Die Sicherheitsstandards für große Veranstaltungen seien noch nicht erfüllt, die Elektrik müsse modernisiert werden, außerdem fehlten noch Toiletten und Küche. Auch rings um die Halle stehen noch Bauarbeiten an: Eine Terrasse soll um das Gebäude führen und die Halle mit ihrem Umfeld, dem Wasser und der Hafenindustrie, verbinden. Draußen am Kanal wollen die Planer den „KulturKanalStrand“ schaffen – keinen kommerziellen Beachclub wie am Nordufer der Elbe, sondern ein Treffpunkt ohne Konsumzwang, mit recycelten Möbeln und Sonnensegeln. Jedes Jahr im April soll der Strand eröffnet werden und zum Sandburgen bauen, Klönen und Entspannen einladen. Dazu wünschen sich die Kreativschaffenden Musik von einer schwimmenden Bühne: Eine 120 Jahre alte Hafenschute soll am Ufer festmachen und akustische Konzerte auf dem Wasser ermöglichen.
Konzerte aus der Philharmonie live an der Industriestraße
Schaffensdrang und Experimentierfreude sollen im „Soulvillage“ auch ihren Platz finden. Dazu wollen die Macherinnen und Macher sogar neu bauen. Aus Containern, Beton-Legosteinen und Sandsäcken soll auf der Fläche des früheren Soulkitchen-Exils ein Gebäude errichtet werden, in dem Klangkünstler gegen geringe Kosten proben und arbeiten können. Auch für Ateliers, Werkstätten oder Lagerräume für persönliches Hab und Gut wollen die Planer hier Raum schaffen. Mittelpunkt des Gebäudes soll eine Galerie für neue Medien sein, in der visuelle Kunst, Filme und virtuelle Projektionen gezeigt werden können. Hier sollen Besucher auch Konzerte der Berliner Philharmoniker oder später der Elbphilharmonie hören können – kostengünstig per Liveübertragung. Auch virtuelle Rundgänge durch den Pariser Louvre wären technisch machbar, sagt Mathias Lintl: „Das wäre auch unser Anspruch, einen niedrigschwelligen Zugang zu Hochkultur zu bieten.“ Dazu möchte er ein Refugium für ausgediente Kunstwerke aus dem öffentlichen Raum schaffen – „eine Art Gnadenhof für Kunst“, erläutert der Wilhelmsburger.
Im dritten Abschnitt des „Soulvillage“ soll Grün sprießen – auch als Ausgleich für die Kleingärtner, deren Parzellen dem Neubau von Wohnungen weichen sollen. Der Bedarf im Stadtteil ist hoch, sagt Jenny Ohlenschlager. Auch das sogenannte Urban Farming, der Anbau von Obst und Gemüse in der Stadt, nährt bei vielen Wilhelmsburgern den Wunsch nach einem Garten. Den könnte das „Soulvillage“ erfüllen. „Wir brauchen keine großen Flächen“, erklärt die Kulturplanerin. Auch in Säcken oder vertikalen Gärten könnten Hobbyfarmer ihr eigenes Essen anbauen, wie die Mitglieder des Vereins Stadtkultur Hafen mit Blick auf andere Projekte in Deutschland gelernt haben. Das Gärtnern soll Freizeitspaß bieten und gleichzeitig die Umwelt verbessern, erklärt Jenny Ohlenschlager. Vertikale Gärten könnten etwa auch als pflanzliche Kläranlagen die Wasserqualität im Veringkanal steigern. An den Anlagen könnten neben Fachleuten auch Schüler mitwirken, sagen die Planer: Wissen aus Biologie und Chemie würden dabei genauso gebraucht wie handwerkliches Geschick oder Talent für Gestaltung. Langfristig soll das Wasser im Kanal so sauber werden, dass dort auch Wassersport möglich ist, hoffen die Planer.
Finanzplan baut auf Solidarität und Mitmachen
Und wer soll das alles zahlen? Das Geld, all diese Ideen direkt umzusetzen, hat der Verein Stadtkultur Hafen nicht auf Tasche. Doch er hat gute Kontakte und gute Ideen – das mache die Sache einfacher, sagt Mathias Lintl. Zukunftsfähige Konzepte fördere die Stadt zum Beispiel mit günstigen Krediten. Auch vertrauen die Planer darauf, dass viele Menschen einen Anteil dazu beisteuern wollen, dass die Ideen für das „Soulvillage“ wahr werden: Crowdfunding ist ein zentrales Element ihrer Finanzplanung. Daneben setzen sie auf das bewährte Prinzip Selbermachen. Schon bei den Bauarbeiten an und in der Soulkitchen-Halle erledigten die Macher vieles eigenhändig und sparten so Kosten ein. Auch diesmal setzt das Planerteam auf Recycling und günstige Werkstoffe, die sich leicht verarbeiten lassen – etwa die Kombination aus Containern, Sandsäcken und Beton-Legosteinen beim Bau der „New Media Gallery“. Auch in Hinblick auf Brandschutz und sonstige Sicherheitsstandards seien diese Werkstoffe perfekt, sagt Mathias Lintl: „Sandsäcke sind super Material für Schallschutz – und brennen tut es auch nicht.“ Die teure Sanierung des industriell verseuchten Bodens wäre nicht nötig, weil das Gebäude kein Fundament braucht. Ein weiterer Vorteil: Es könne ganz nach Bedarf auf-, ab- oder umgebaut werden. In zwei Monaten könnte der Bau stehen, sagen die Planer. Ein Abbau wäre in einem Monat zu schaffen.
Schon im Sommer, wenn das Soulkitchen-Kollektiv seinen fünften Geburtstag feiert, soll das „Soulvillage“ Gestalt annehmen – doch dazu muss der Hamburger Senat mitziehen. Drei Dinge fordert der Verein von der Regierung: Kein Abriss der Soulkitchen-Halle, keine Veräußerung oder Verpachtung der Fläche ringsherum. Und der Senat soll sich mit dem Verein an den Verhandlungstisch setzen, damit beide Seiten gemeinsam das Konzept konkretisieren und umsetzen können. „Der Senat muss einfach die Aussage treffen: Wir machen ein Abriss-Moratorium und wollen die Fläche mit dem Stadtteil entwickeln“, sagt Mathias Lintl im Gespräch mit WilhelmsburgOnline.de. Grundsätzlich sieht er gute Chancen für das Projekt – schließlich habe die Stadt die Idee eines „Kulturkanals“ selbst in die Welt gesetzt und befördert, eine Machbarkeitsstudie des Bezirks Mitte ist bereits erarbeitet und auch die Bereitschaft, den Bebauungsplan im Sinne des Projekts zu ändern, sei gegeben.
Sprinkenhof AG ordnet Räumung an
Doch spannend bleibt es trotzdem. Das Kollektiv hat Post von der Sprinkenhof AG bekommen, die die Soulkitchen-Halle und die Nachbargrundstücke verwaltet und im Sommer 2013 zuerst die Halle, dann das „Exil“ nebenan räumen ließ. Seitdem ist nur noch ein Container neben der Halle übrig, und auch der soll nun weg. „Einen Tag nach der Wahl sollen wir die Fläche mit dem Container räumen“, sagt Mathias Lintl. Was dahinter steht, wisse er nicht genau. Will die SpriAG Fakten schaffen, während die Politiker mit Koalitionsverhandlungen beschäftigt sind? „So ganz abwegig ist das alles nicht“, sagt Mathias Lintl.
Mehr erfahren:
Die Planerinnen und Planer stellen ihr Konzept im Stadtteil vor und laden zur Diskussion ein. Das soll am Donnerstag, 19. Februar, in der Mokrystraße 1 (Ecke Mokrystraße/Vogelhüttendeich) geschehen. Um 18:30 Uhr geht es los.
Einen Überblick über das ganze Konzept und die weiteren Schritte gibt es auch auf der Internetseite des „Soulvillage“. Zudem ist die Gruppe auf Facebook zu finden.
Einen Filmbeitrag mit weiteren Erläuterungen der Macher hat der NDR am Dienstagabend im Hamburg Journal gebracht. Hier ist der Beitrag noch bis Dienstag, 11. Februar, zu sehen.
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