Ein Stein ist am Ostermontag durch das Schaufenster des Ladens Messie de Luxe in der Mokrystraße geflogen. Was steckt dahinter? Das fragen sich nicht nur die Menschen in Wilhelmsburg. Auch in den Zeitungen „Hamburger Abendblatt“, „Welt“ und „Hamburger Morgenpost“ („Mopo“) sind inzwischen wilde Spekulationen entbrannt. Während der geschädigte Ladenbetreiber Jörg Rickert betont, bislang nur Vermutungen zu haben, haben einige Journalisten schon ein Urteil gefällt – ohne diejenigen zu Wort kommen zu lassen, die nun als Straftäter dastehen. WilhelmsburgOnline.de hakt nach.
Die Faktenlage ist dünn: Ein großer Pflasterstein ist am frühen Morgen des Ostermontag durch die Scheibe von Messie de Luxe geflogen, wie Inhaber Jörg Rickert im Gespräch mit WilhelmsburgOnline.de berichtet. Schon vorher wurde der Laden mit Farbe beworfen und angesprüht. Eines der Graffiti zeigt ein Symbol, das die Gruppe Urban Ätsch benutzt: Ein Haus mit einem X darin. Ein Zusammenhang zwischen den Graffiti und dem Steinwurf ist nicht erkennbar. Auch wer die Scheibe zerstört hat, ist noch unklar. „Wir haben keine direkten Hinweise darauf, wer es gewesen sein könnte. Das ist eben alles spekulativ“, sagt Jörg Rickert.
Für die „Mopo“ steht längst fest, was hinter dem Steinwurf steckt. „Streit um die Bauausstellung eskaliert“, schreibt das Blatt über den Artikel zum Vorfall in der Mokry-Straße. Im Text heißt es: Nur, weil Messie de Luxe in einer IBA-Broschüre stehe, habe jemand den Stein durchs Fenster geworfen. Der Leiter der Hamburg-Redaktion schildert in einem Kommentar sogar, wie die Tat nach seiner Vorstellung vorbereitet wurde: „Im Schutze der Nacht“ hätten sich „ein paar Gestalten zum Sturmtrupp gegen steigende Mieten“ formiert und sich dabei wie Revoluzzer gefühlt. Ein Hinweis, dass die Redaktion mit IBA-kritischen Gruppen im Stadtteil gesprochen hätte, findet sich in dem Artikel nicht – obwohl einzelne Gruppen, die sich in Wilhelmsburg offensichtlich gegen die IBA engagieren, per Mail oder Telefon erreichbar sind.
Auch nach Darstellung von „Abendblatt“ und „Welt“ sind die einzigen, die als Täter in Betracht kommen, IBA-Gegner. Sie hätten den Laden schon Tage vor dem Steinwurf „gekennzeichnet“ – mit dem Symbol, das das Häuschen mit dem X darin zeigt. Der Artikel, den „Welt“ und „Abendblatt“ fast wortgleich abgedruckt haben, enthält ebenfalls keinen Hinweis auf die Meinung derer, die verdächtigt werden. Stattdessen kommt die Polizei zu Wort. Die geht ausdrücklich nicht von politisch motivierten Taten aus und schätzt auch die Gruppe Urban Ätsch als gewaltfrei ein. Anders als der Redakteur, der sich danach erkundigt, sieht sie auch keinen Anlass, den Staatsschutz mit dem Fall zu behelligen. Einen Zusammenhang zwischen dem Steinwurf und angeblich gewaltbereiten IBA-Kritikern stellt der Autor des Artikels trotzdem her: Es gebe einen „Krawalltourismus“ Richtung Elbinsel, wie am Tag der IBA-Eröffnung, als angeblich 150 gewaltbereite Linke nach Wilhelmsburg gekommen seien, die – wie der gemeinsame Artikel von „Abendblatt“ und „Welt“ es darstellt – nur deshalb nichts zerstörten, weil massenhaft Polizei anwesend war. Am Ende des Berichts weist der Autor auf Schmierereien und Protestplakate gegen die IBA in Harburg hin. Was diese Aktionen mit dem Steinwurf zu tun haben sollen, erwähnt er nicht.
IBA-kritische Aktivistin deutet Berichte als Spaltungsversuch
„Es ist krass, wie schlecht recherchiert die Artikel sind, die es bis ins 'Abendblatt' schaffen“, sagt eine IBA-kritische Aktivistin aus Wilhelmsburg, die sich als Sarah Wegener vorstellt, im Gespräch mit WilhlemsburgOnline.de. „Der Artikel verleumdet Gruppen und zielt offenbar darauf ab, den Stadtteil zu spalten“, sagt sie. „Wir werden nicht nur in eine Ecke mit sogenannten Krawallmachern gestellt – diese Ecke wird extra für uns gebaut.“ Die Gruppe Urban Ätsch äußerte sich auf Anfrage von WilhelmsburgOnline.de nicht zu den Vorwürfen.
Für Jörg Rickert ist der Zusammenhang, den die Hamburger Zeitungen herstellen, nicht ganz abwegig. „Ich denke, es hat damit zu tun, dass wir in diesem IBA-Führer drin sind.“ Vor November 2012, als der Reiseführer „Wege zur Neuen Stadt – Ein Reiseführer zu den Elbinseln und zu den Projekten der IBA Hamburg“ erschien, habe es jedenfalls keine vergleichbaren Vorfälle gegeben. In dem Buch wird auch Messie de Luxe als Einkaufsziel beworben. Wenige Tage, nachdem es in die Läden kam, habe jemand einen Farbanschlag auf den Laden verübt, sagt Jörg Rickert. Dann habe es noch kleinere Vorfälle gegeben – „da hat dann jemand mit Kreide geschrieben: 'Kein Bock auf Etepetete'“, sagt der Betreiber. Auch den Steinwurf vom Ostermontag deutet er als Hinweis auf Kritik an der IBA und an Gentrifizierung im Stadtteil. „Wir haben den Verdacht, dass es in die Richtung geht“, sagt Jörg Rickert. „Ich weiß aber nicht, was die Motivation derjenigen ist, die sowas machen.“ Auf keinen Fall wolle er konkrete Personen oder Gruppen beschuldigen. „Wenn ich wüsste, wer es war, müsste ich ja nicht spekulieren“, sagt er.
von Annabel Trautwein
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