Wilhelmsburger Gruppen protestieren gegen igs

Die internationale gartenschau (igs) schenkt den Menschen in Wilhelmsburg einen Park. Was früher nur tote Industriefläche war, ist heute eine Traumlandschaft für Sport und Spiel, Alltagsflucht und multikulturelle Nachbarschaftstreffen – so schilderten es Politiker und Planer bei der offiziellen igs-Eröffnungsfeier. Doch statt sich zu freuen, stellten einige Wilhelmsburger Grablichter und Kreuze auf, entrollten Transparente und verteilten Flugblätter. Wilhelmsburg bekommt nichts geschenkt, sagen die igs-Kritiker. Im Gegenteil: Die Stadt zerstöre ein einzigartiges Stück Natur, um mit Attraktionen für Touristen und Besserverdienende Werbung in eigener Sache zu machen.

Ein Sarg steht am Freitag vor dem bunten Gebäude der Stadtentwicklungsbehörde. „Öffentlicher Raum“ ist darauf zu lesen, ringsherum liegen Kreuze mit Aufschriften wie „Wildwuchs“, „3353 Bäume“ oder „Biotope“. Die Kampagne „IBA?NigsDA!“ hat einen Stand aufgebaut, auch der Verein Engagierte Wilhelmsburger ist mit Pavillon und Protestbanner angerückt. Laute Musik und kritische Reden schallen über den Platz. Vor der Muharrem-Acab-Brücke zur S-Bahn verteilen die Aktivisten Flyer und sprechen mit Passanten. Ihre Botschaft: Lasst euch nicht täuschen! Die Gartenschau soll mit ihrem grünen Image nicht einfach so davonkommen.

Denn die igs habe ihren Park keineswegs ins Nichts gebaut, sagen die Kritiker. Wo nun reihenweise Stiefmütterchen blühen, habe früher wilde Natur gewuchert. Auf einer Stellwand zeigt die Gruppe „IBA?NigsDA!“ Vorher-Nachher-Fotos: Bäume, Büsche und Biotope auf einem Luftbild des Geländes vor der großflächigen Gartenarbeit, braunes Brachland nach Beginn des Umbaus. Tausende von Bäumen sind für die igs gefällt worden. Zudem listen die Kritiker die Zerstörung von 2.860 Quadratmetern Feuchtwiese, vier Kilometern Hecke und mehrerer Biotope auf. Die igs habe wertvolle Natur zerstört und vielen Tieren den Lebensraum genommen, sagen die Aktivisten. Dabei sei der igs-Chef Heiner Baumgarten in Niedersachsen sogar Vorsitzender des Naturschutzbunds NABU.

Die Menschen in Wilhelmsburg bekommen zwar einen neuen Park, doch ihnen gehe durch die igs auch viel verloren, sagen die Kritiker aus dem Stadtteil. Nicht nur, weil das igs-Gelände nach und nach umzäunt wurde und frühestens 2014 wieder frei zugänglich sein soll. „Die ganzen verwunschenen Gärten, in denen Kinder noch Natur erleben konnten, die gibt es nicht mehr. Die sind durch die neu geschaffene Parklandschaft ersetzt worden“, sagt eine Aktivistin, die in Wilhelmsburg geboren wurde und seitdem auf der Insel lebt. „Die Kindergeburtstage haben wir früher oft in diesen Urwäldern gefeiert“, erzählt sie.

Kleingärtner mussten Parzellen aufgeben

Auch Kleingärtner mussten der igs weichen, erzählen Ronald Wilken und Christine Wolfram. Schon im vergangenen Sommer berichtete das Hamburger Abendblatt darüber, letztendlich habe es 198 Parzellen getroffen, schreibt „IBA?NigsDA!“. An der Wollkämmerei sei ein ganzer Verein verschwunden, die Kleingartensiedlungen Bauernfelde und Eichenallee hätten Parzellen eingebüßt, sagen Wilken und Wolfram. „Die Genehmigungen haben sie sich erst in Nachhinein geholt“, kritisiert Ronald Wilken, der wie Christine Wolfram selbst Kleingärtner ist.

Zudem habe die igs nicht alles eingehalten, was den Menschen in Wilhelmsburg versprochen wurde, sagen die Kritiker. Wie der Arbeitskreis Umstrukturierung Wilhelmsburg (AKU) und „IBA?NigsDA!“ in ihren Broschüren schreiben, sollten im Rahmen der igs rund 1.400 dauerhafte und 8.800 befristete Jobs entstehen – übrig geblieben seien aber nur insgesamt 288 feste Stellen auf Zeit. Auch Mitentscheiden durften die Wilhelmsburgerinnen und Wilhelmsburger demnach nicht. Zwar durften sie im IBA/igs-Beteiligungsgremium ihre Meinung sagen, sie hatten aber kein Stimmrecht.

Kein Geschenk für Wilhelmsburg, sondern eine Werbefläche für die Stadt Hamburg – so stellen die Aktivisten die internationale gartenschau dar. Dass die igs einige hundert Meter weiter beim Festakt als Modell für die Zukunft der grünen Stadt gefeiert wird, ist aus ihrer Sicht ein Warnsignal. „IBA und igs sind zwei Stadtentwicklungsinstrumente, mit denen die Stadt Hamburg Wilhelmsburg aufwertet, aber an den Bedürfnissen der Leute vorbei arbeitet“, sagt Moritz Rinn vom AKU. „Was hier passiert, darf auf keinen Fall irgendwo Modellcharakter gewinnen.“

von Annabel Trautwein

 

 

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Kommentare

9 Antworten zu „Wilhelmsburger Gruppen protestieren gegen igs“

  1. Avatar von Eisenbeiss
    Eisenbeiss

    Ich erinnere mich an keinen „Märchenwald“ in dem „Kindergeburtstage gefeiert“ wurden. Ich erinnere mich an eine verlassene Betonfläche an der Bahn, an undurchdringliches Brombeergestrüpp, an einen vermüllten Birkenhein an dem so selten jemand vorbei kam, das dort ein Obdachloser im Zelt hauste. Ich erinnere mich an eine Lagerhausruine, und an abgestellte Altautos. Die paar mal die ich dort war habe ich niemanden gesehen der dort gefeiert, gegrillt oder in der Sonne gebadet hätte. Das ist der angeblich gestohlene öffentliche Raum. Nächstes Jahr wird dort ein wunderbarer öffentlicher Park sein. Ja, es würden Bäume gefällt, aber es wurden Ersatzpflanzungen vorgenommen. Ja, es würden Kleingärten abgebaut, aber auch sie wurden nicht ersatzlos gestrichen. Die Saisonmitarbeiter der igs, die jetzt befristet eingestellt wurden berichten mir von guter Bezahlung und einem prima Betriebsklima. Sogar die Mitarbeiter des Caterers Polster bekommen jetzt den Mindestlohn von 8,50 Euro. Ja, ewige Neinsager muss es wohl auch geben, aber bitte keine Legendenbildung auf Kosten der Warheit. Und noch eins: Die Engagierten Wilhelmsburger kritisieren ja nicht die igs, sondern versuchen als Trittbrettfahrer die Aufmerksamkeit zu nutzen um gegen die Verlegung der Reichsstraße zu protestieren. Die Quintessens der igs bleibt: Gartenschaubesucher zahlen die Errichtung eines wundervollen Parks, der am Ende im Zentrum des Stadtteils verbleibt und noch Generationen nach uns Freude bereiten wird.

    1. Avatar von H-J Maass
      H-J Maass

      Ja, das ist es! – Man stelle sich einmal New York ohne den Central Park vor. Und man stelle sich bitte einmal Hamburg im Jahr 2200 vor, mit vielleicht 3 Millionen Einwohnern – und gänzlich ohne den Park, der jetzt im Zentrum der Stadt geschaffen wurde. …

      Was glauben denn die Gegner der igs2013 wie einst der heutige Stadtpark entstanden ist? Und wie würde es da heute aussehen wenn nicht irgendwann mal jemand entschlossen gesagt hätte: Ende der Debatte, wir machen daraus JETZT einen Park! ?

      1. Avatar von Kristin
        Kristin

        Ey, dieser dämliche Wilhelmsburg-Manhatten-Vergleich ist sowas von lächerlich! Das du als Wilhelmsburger auch noch darauf einstimmst…aber zum inhaltlichen:

        Es hat doch niemand was dagegen, dass die 100ha nicht zu einer Betonwüste werden! Die Frage ist aber doch, ob die 70.000.000€ plus 50.000.000€ für den laufenden Betrieb in dieser Form sinnvoll angelegt sind?!

        Stell dir doch mal vor, was mit diesem Geld alles für Wilhelmsburg – wenn wir mal in diesem komischen lokal-patriotischen Sprech bleiben wollen – hätte tun können. Allein die vielen Parkplätze: früher Biotop, jetzt Parkplatz, später Betonwüste. Das ist doch absurd, da von einer Investition in Wilhelmsburg zu sprechen. Das ist einfach Stadtmarketing, und Wilhelmsburg kommt dabei völlig unter die Räder!

  2. Avatar von Chris
    Chris

    Naja, ganz so glanzvoll ist dieser tolle Park nun nicht. Habe mir das ganze am Wochenende angesehen – als Wilhelmsburger darf man ja großzügigerweise ganze 3 Mal das Zentrum seines eigenen Stadtteils betreten… danach für 21 EUR (wer die bezahlt, hat mE auch nicht alle Tassen im Schrank).
    Für welchen Quatsch da überall Geld rausgehauen wurde, wo es doch an anderen Stellen viel sinnvoller eingesetzt wäre, ist wirklich unfassbar. Abgesehen davon, dass schon am Eröffnungswochenende Teile dieser tollen Projekte schon wieder in sich zusammengefallen waren (z.B. aufgehängte Plastik-Schriebe an Leinen, die derart diletantisch befestigt waren, dass sie am zweiten Tag zur Hälfte weggeweht waren…).
    Ich stemme dem Vor-Kommentator zu, dass der neue Park auch nicht zu verachten ist. Aber auf die Bedürfnisse der Wilhelmsburger abgestimmt ist der so gar nicht, sondern eher auf Omas und Opas, die am Wochenende mit dem Bus nach Wilhelmsburg gekarrt werden, um 21 EUR Eintritt für ein Sammelsurium größtenteils idiotischer pseudo-tiefsinniger Projekte zu starten. Dass man einen Rundweg für Läufer angelegt hat, damit man ne ordentliche Strecke zum Laufen hat – Fehlanzeige. Dafür aber teuren Flüsterasphalt auf ne Straße gekippt, damit ohnehin schwerhörige alte Leute beim Besuch der tollen IGS nicht gestört werden (abgesehen davon, dass einem die Reichsstraße beim Überqueren mittels komischer Treppenkonstruktion von der einen auf die andere Seite des Parks ohnehin nicht entgeht). Lärmschutz für die Anwohner dagegen? Fehlanzeige, weil ja das Geld fehlt. Als Einwohner kommt man sich da ziemlich verarscht vor. Fazit: Nett, dass da Geld ausgegeben wurde; schade, dass es größtenteils in Quatsch investiert wurde, der gerade keinen langfristigen Nutzen bringt.

  3. Avatar von rolf neuring
    rolf neuring

    Ich bin der meinung das man das geld was für diesen künstlichen park ausgegeben worden ist,woanders mehr genützt hätte z.b. bezahlbaren wohnraum schaffen,ich glaube auch nicht so recht daran das der park nach ende der igs so ein hype auslöst.wer im park joggen will der hat in hamburg genug andere schönere flächen zur verfügung und fährt nicht nach wilhelmsburg.

  4. Avatar von Eisenbeiss
    Eisenbeiss

    Wer den Park nur als Gartenschau mit 21 Euro Eintritt begreift, denkt meiner Ansicht nach zu kurz. Den Eintritt bezahlt man nur dieses Halbjahr. Ab nächstem Jahr wird es ein dem Menschen in diesem Stadtteil kostenfrei zur Verfügung stehender Park. Da wird natürlich auch viel von den Ausstellungsobjekten verschwunden sein und auch die Monorailbahn. Die Blumenhalle wird eine Sporthalle sein. Wer das Stadtmarketing nennen will, bitte sehr. Aber es ist ein Stadtmarketing mit nachhaltigem Nutzwert.

    1. Avatar von Kristin
      Kristin

      wie ich oben schon sagte:

      Die Frage ist doch, ob die 70.000.000€ Baukosten plus 50.000.000€ für den laufenden Betrieb der igs in dieser Form sinnvoll angelegt sind?!

      Warum hätten sie nicht einfach für wahrscheinlich ein zehntel des Geldes den Wilhelmsburger Stadtpark und die angrenzenden Flächen aufmöbeln können? In einem WIRKLICHEN Beteiligungsprozess mit den AnwohnerInnen? Dann gäbe es auch die ganzen Kollateralschäden wie zubetonierte Biotope, auf denen nun Parkplätze sind, nicht. Oder die völlig überdimensionierte Fußgängerbrücke von der S-Bahn zur Ausstellung. Ist ja ganz nett, ich finde sie sogar hübsch, aber sie ist für viel Geld halt nur für die Touris gebaut worden und gleichzeitig ist der S-Bahn Ausgang zum Bahnhofsviertel genauso versifft und rott wie seit dreissig Jahren. Das ist doch rausgeworfenes Geld!

      Also zumindest aus Wilhelmsburger Sicht. Die proklamierten „Verbesserungen“ der Infrastruktur gehen doch völlig an unseren Bedürfnissen vorbei. Gut, hin und wieder auch nicht, aber meistens eben. Und vor allem wird bei alledem überdeutlich, dass es den „Machern“ dieser ganzen sog. „Aufwertung“ eben nicht um uns Wilhelmsburger geht. Nur glauben das leider immer noch zu viele von denen, die damals nach Aufwertung gerufen haben und jetzt nicht wahr haben wollen, dass sie so richtig verarscht werden. Und das regt mich so richtig auf!

  5. Avatar von Eisenbeiss
    Eisenbeiss

    Die Wilhelmsburger Sicht ist ja wohl genau so individuell wie die Wilhelmsburger selbst. Wer erlaubt Dir eigentlich das Selbstbewusstsein zu glauben, das gerade Deine Sich „die“ Wilhelmsburger Sicht ist? Das ist doch reichlich vermessen.

  6. Avatar von Chris
    Chris

    Der Meinung von Kristin schließe ich mich gerne an. Ich wollte auch nicht gesagt haben, dass die IGS für Wilhelmsburg gar keine Verbesserungen bringt (die Brücke ist mW aber ein IBA-Projekt), aber doch weniger als wünschenswert, weil man sehr wenig auf die Bedürfnisse der Bewohner eingegangen ist. Das ist jedenfalls meine Sicht, auch wenn es – was zutrifft – nicht der Weisheit letzter Schluss und nicht DIE „Wilhelmsburger Sicht“ ist; viele in meinem Bekanntenkreis sehen es ganz ähnlich.

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