Im Streit um den Opernfundus hat die Stadt den Mietern am Veringkanal eine Schonfrist eingeräumt: Die Kündigungen sollen nun alle erst Ende September in Kraft treten. Das sagte der Oberbaudirektor Jörn Walter am Dienstagabend im Wilhelmsburger Rathaus vor dem Regionalausschuss. Mit versöhnlichen Worten warb der Chef-Stadtplaner der Stadt Hamburg um Geduld und Verständnis. Doch statt der erwünschten Offenheit für die Pläne der Stadt schlug ihm von allen Seiten Kritik entgegen. Mieter, Anwohner und Politiker forderten geschlossen, dass die Kündigungen ganz zurückgenommen werden. Alle lehnten einen Umzug des Opernfundus' nach Wilhelmsburg entschieden ab.
Der Oberbaudirektor war als Vermittler in den Regionalausschuss gekommen. Geschickt hatte ihn die Senatskommission, die die Verlegung des Opernfundus an den Veringkanal beschlossen hatte – und damit heftigen Protest ausgelöst hatte. Nun sollte sich Jörn Walter ein Bild davon machen, was die Menschen in Wilhelmsburg gegen den geplanten Neubau in ihrem Stadtteil aufbringt. Zugleich versuchte er, den Kritikerinnen und Kritikern die Beweggründe der Stadt nahe zu bringen. Auch er selbst habe es „nicht prinzipiell ganz falsch“ gefunden, dass der Opernfundus nach Wilhelmsburg umzieht, sagte Walter. „Ich glaubte, dass es nicht nur ein Problem, sondern auch eine Bereicherung sein kann.“ Die Werkstätten der Staatsoper, die mit dem Fundus umziehen sollen, seien kreative Betriebe – die 80 Beschäftigten dort könnten die Kunst und Kultur im Stadtteil anregen, sagte er.
Dass der Beschluss der Senatskommission kleine Firmen bedroht, die ihre Arbeitsplätze am Veringkanal für den Neubau räumen sollen, sah auch Jörn Walter als Problem. Lösen sollten es seinen Worten zufolge beide Seiten: Der Senat und die Betroffenen. „Es gibt noch keine fertigen Lösungen“, sagte Walter. „Aber wir sind dabei, sie auszuarbeiten.“ Gemeinsam mit den Mietern suche die Senatskommission nach einem Weg, der für alle verträglich sei. Noch sei ganz vieles ungeklärt und offen – das war die Kernbotschaft des Oberbaudirektor an die Menschen im Wilhelmsburger Rathaus. Um eine gute Lösung zu finden, müssten die Kritiker jedoch auch offen sein für die Argumente der Stadt. Eines davon erläuterte Jörn Walter ausführlich: Das Hochregallager für die Kulissen und Kostüme der Oper solle in Wilhelmsburg gebaut werden, weil die Stadt andere, freie Flächen wie in Billbrook oder Moorfleet nicht vergeuden wolle. Dort sei nämlich Platz für „richtig störende Betriebe“ – und den wolle Hamburg sich freihalten, „auch wenn wir heute nicht genau wissen, welches Unternehmen sich da eines Tages ansiedeln wird“, wie der Oberbaudirektor sagte.
„Der Opernfundus strahlt nicht in den Stadtteil“
Doch auch der Opernfundus wäre auf der Elbinsel ein störender Betrieb – da waren sich die Gewerbetreibenden am Veringkanal, ihre Nachbarinnen und Nachbarn und alle Fraktionen einig. „Ob der Opernfundus kreativ ist oder nicht, darum geht es gar nicht“, sagte Jutta Kodrzynski von den Grünen. Es gehe um den Erhalt der Firmen im Stadtteil. Die seien nämlich tatsächlich eine Bereicherung für Wilhelmsburg, wie Marco Antonio Reyes Loredo von der Bürogemeinschaft im alten Zinnwerk versicherte. Unterstützt wurde er von einem Anwohner, der berichtete, er arbeite in der Nähe des bestehenden Opernfundus' in Barmbek. „Der Opernfundus strahlt nicht in den Stadtteil“, sagte er. Die Zinnwerke hingegen böten den Menschen in Wilhelmsburg ein kulturelles Zusatzangebot – und zwar „nicht Kultur für wenige, die sich das leisten können, sondern Kultur für alle.“
Immer wieder betonte der Oberbaudirektor, es brauche Zeit, um eine gute Lösung zu finden. Deshalb habe die Stadt entschieden, die bereits erteilten Mietkündigungen zum 30. Juni auf den 30. September zu verschieben. Doch das reiche nicht, kritisierten Unternehmer und Politiker. Oktay Akkaya, der mit seinem Autoteilehandel weichen soll, sagte: „Ich brauche jetzt eine Entscheidung, eigentlich schon gestern.“ Firmeninhaber mit Personal seien sonst gezwungen, schon bald ihre Mitarbeiter auf die Straße zu setzen. Auch für viele Politiker war klar: Die Verschiebung der Kündigungsfrist lindere das Problem nicht, sondern verschärfe sogar die Unsicherheit der Betroffenen, weil niemand wisse, wie es weitergeht. Die Frage, wie lange die Suche nach einer Lösung noch dauern solle, beantwortete der Oberbaudirektor nicht.
Warme Worte allein werden nicht reichen, um die Kritik zum Schweigen zu bringen – das machten die Wilhelmsburgerinnen und Wilhelmsburger im Saal deutlich. Auch das Vorgehen des Senats regte sie auf. Weder der IBA, die die Stadt selbst eingesetzt hat, noch den politischen Gremien auf der Elbinsel oder im Bezirk habe der Senat zugehört, kritisierten sie. „Das ist der Versuch, nach Gutsherrenart Stadtentwicklung zu betreiben“, rief Lutz Cassel, Vorsitzender des Wilhelmsburger Stadtentwicklungsbeirats. Eine Frau, die erst seit kurzem auf der Insel lebt, sprach aus, was viele mit Applaus bedachten: „Was hier gar nicht berücksichtigt wird, ist die breite Meinung der Menschen, die hier leben. Ich fühle mich hier langsam verarscht.“
Bei so viel gemeinsamer Kritik blieb den politischen Fraktionen wenig Gelegenheit, sich voneinander abzugrenzen. In der Sache stellten sie sich alle hinter die Anliegen der Menschen auf der Insel. Nur im Detail stritten sie – und zwar um die Frage, wer sich am deutlichsten gegen den Opernfundus in Wilhelmsburg ausspreche.
von Annabel Trautwein
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