Eine riesige Karotte auf Rädern, Zombies und Politiker inmitten von Luftballons und Samba-Rhythmen: So bunt und laut startete der Juni in Wilhelmsburg. Hunderte von Frauen, Männern und Kindern gingen auf die Straße, um der Stadt Hamburg zu zeigen: Es ist noch viel zu tun in Wilhelmsburg – wir stehen bereit. Unter dem Motto „Wir sind die Elbinseln“ demonstrierten die Menschen Vielfalt und Gemeinsamkeit zugleich.
Für viele Aktive auf der Elbinsel war es ein bisschen wie früher: Bunt verkleidet, mit geschmückten Fahrrädern, vielen Lufballons, Flaggen und Girlanden liefen die Menschen am 1. Juni durch die Straßen Wilhelmsburgs. So ähnlich hatte es auch schon 2007 und 1997 ausgesehen, als die ersten beiden „Karnevals-Demos“ über die Elbinsel zogen. Im Präsentationsjahr von IBA und igs sei es wieder mal an der Zeit, beschlossen die Veranstalterinnen und Veranstalter rund um das Bürgerhaus Wilhelmsburg. Das Erfolgskonzept des Umzugs behielten sie bei: „Alle Organisationen, Vereine, Einzelpersonen die hier leben oder arbeiten wurden eingeladen, mitzulaufen und ihre Wünsche und Forderungen für ein besseres 'Miteinander' zu artikulieren“, erläutert Judy Engelhard vom Bürgerhaus-Team.
Ein Protestzug sollte der Umzug aus ihrer Sicht nicht sein. Er war gedacht als eine Chance, sich zu zeigen und in Kontakt zu kommen. Gemeinsam können sich die Menschen auf der Elbinsel für eine bessere Stadtentwicklung stark machen und Spaß dabei haben – das sollte die Demonstration sichtbar machen. Auch die Idee war ein Gemeinschaftswerk, sagt Judy Engelhard: Schon bei ihrem ersten offiziellen Treffen im September 2012 beschlossen Aktive aus 36 Initiativen, den traditionell bunten Demo-Zug wieder in Gang zu setzen. „Gerade im großen Ausstellungsjahr wählen wir die Form eines 'Karnevalsumzuges' oder 'Umzug der Kulturen', um zu zeigen, wie wichtig es ist, neue Ansätze der Volksbeteiligung zu finden“, sagt Judy Engelhard.
Gegen den Opernfundus, für eine Moschee und bessere Schulen
Ein akutes Anliegen vieler Wilhelmsburgerinnen und Wilhelmsburger vertrat die Mietergemeinschaft aus der Straße Am Veringhof. Ihre Botschaft: Gemeinsam verscheuchen wir den Opernfundus. Symbolisch gelang ihnen das sogar: Das riesige Modell des geplanten Hochregallagers, das vier Aktive an Stangen durch die Straßen trugen, fiel beim Schlachtruf „Husch husch husch – Opernfundus kusch“ tatsächlich in sich zusammen. Zwar baute er sich schon bald an einer anderen Ecke wieder auf, doch unterstützt von den Rufen einiger Menschen am Straßenrand schrien die Demonstranten ihn wieder nieder.
Während das eine Bauwerk verhindert werden soll, gingen andere für ein Bauwerk auf die Straße: Engagierte Musliminnen und Muslime trugen Schilder mit Aufschriften wie „Der Islam gehört zu Hamburg – Hamburg gehört uns allen“ und „Hinterhöfe sind out!“ durch die Straßen, um für eine neue Moschee in ihrem Stadtteil zu werben. Freien Zugang zu alten wie neuen Gebäuden forderten dagegen die Menschen vom Treffpunkt Elbinsel. Bunte Transparente mit Aufschriften wie „Das Leben ist anders. Wir auch“ und Redebeiträge der Aktiven machten klar: Alle sollen den Stadtteil gemeinsam gestalten können, egal ob mit oder ohne Behinderung.
Dem schlossen sich auch die Demo-Teilnehmer von der Nelson-Mandela-Schule in Kirchdorf an: Mit ihrer Forderung nach mehr Personal besonders in den inklusiven Schulklassen setzten sie sich dafür ein, dass Kinder mit und ohne Behinderung besser gemeinsam lernen können. Anstelle des „Programms zur Förderung von Schulen in sozial schwieriger Lage“ forderten sie von Schulsenator Ties Rabe (SPD), die Schulen besser auszustatten und die Klassen kleiner zu halten – dann gebe es auch eine Chance, die „sozial schwierige Lage“ direkt an Ort und Stelle zu lösen.
Aus Kirchdorf kamen die Aktiven aus der Schule. Mit ihnen zogen die Engagierten Wilhelmsburger mit großem Transparent, gekleidet in Bademäntel und Hausschuhe – schlaflos wie die künftigen Anwohner der Stadtautobahnen, gegen die der Verein schon seit Jahren protestiert. Auch der Verein Zukunft Elbinsel brachte seine Forderung nach einem Stadtentwicklungskonzept für die Elbinseln und den Hafen erneut auf die Straße, um den Senat auf blinde Flecken in der Planung hinzuweisen. Aus dem Reiherstiegviertel bewegte sich der Zug, in dem Treffpunkt Elbinsel, Zinnwerke und interkulturelle Gärten sich präsentierten. Lautstarke Unterstützung kam vom Nordufer der Elbe: Die Sambagruppe Bateria Alto Na half mit, die Menschen aus dem Viertel zusammen zu trommeln. Sogar einige Berufspolitiker schlossen sich an. Vor dem Wilhelmsburger Rathaus trafen alle zusammen – und feierten ihre Verschiedenheit als Stärke.
von Annabel Trautwein und Jörg Ehrnsberger
Foto von Jonathan Miske
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