„Hält dieser Bus auch am Energiebunker?“ Der Fahrer der Linie 13 grummelt etwas unverständliches. Hätte nicht ein ortskundiger Fahrgast geholfen, stünden die beiden Damen mit ihren Windjacken wohl noch immer an der Haltestelle Am Inselpark. Der Streifzug durchs Wilhelmsburger IBA-Gebiet sei etwas anders gelaufen als geplant, erzählen sie mir im Bus. Sie hatten gehofft, mit der Fähre auch an „den neuen IBA-Gebäuden“ vorbei zu kommen. Aber da war nichts. Auch die Leute auf „dieser langen Allee“ hätten ihnen nicht weiterhelfen können. Ich brauche eine Weile, um dahinter zu kommen, dass sie das IBA-Dock meinen („Da wo die Führungen starten“).
Mit dem Finger zeichne ich eine unsichtbare Karte auf die Rückseite meiner Tasche: Hier der Fähranleger Ernst-August-Schleuse, da das IBA-Dock, dort der Inselpark. Dazwischen nicht näher definierte Inselweite. Die Frauen sind offenbar erleichtert: Der Plan, das ganze Areal zu Fuß zu erkunden, war wohl von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Gerne hätten sie noch das alltägliche Wilhelmsburg jenseits der Bauausstellung erkundet, sagen sie. Aber die Suche nach den Attraktionen der IBA hat sie schon völlig geschlaucht. Kraft und Zeit reichen noch gerade für Kaffee und Kuchen auf dem Bunker. Zwei Mal lassen sie sich den Weg von der Haltestelle Veringstraße Mitte erklären, dann sind sie verschwunden.
Ich fahre noch weiter bis zur Mannesallee. „Müssen wir hier nicht raus?“, höre ich einen Mann fragen. „Nächste“, antwortet ihm ein anderer mit nachsichtigem Lächeln. „Mannesplatz.“ Da können Sie lange fahren, denke ich, als die Bustür hinter mir zuklappt. Zufrieden sehe ich zu, wie die 13 in die Fährstraße einbiegt. Ich drücke ihnen die Daumen, dass sie es zu Fuß zurück bis zum Stübenplatz schaffen: Vorbei an dem Reisebüro mit den Worten „Buss Linie Deutschland – Mazedonien“ auf dem Fenster, an Callshop, Infoladen und Kiosk entlang. Am Restpostenladen vorbei mit der wasserfleckigen Pappe im Fenster, hinter der Aufschrift „Neueröffnung“. Die Versicherungsfiliale, knallgrün ausgeleuchtet, nebenan vergitterte Fenster. Vorbei an der Bäckerei Kismet, der Buchhandlung Lüdemann, auf der anderen Seite könnten sie „Bulgarische Kost“ lesen und sonst wohl nichts, wegen der kyrillischen Schrift. Neben dem Tropical Shop könnten sie den grellbunten Trauerplakaten entnehmen, dass ein Junge namens Effi gestorben ist. Sie kämen vorbei an der schillernden Produktpalette von Onkel Tokays Ladenfront und der Hochwassermarke von 1962. Schwarz auf Neongelb würden sie nachlesen müssen, dass im Wilhelmsburger Grill-Shop eine warme Mahlzeit etwa so viel kostet wie eine Cola auf der igs. Vielleicht hätte die Reisegruppe, bis sie vor dem frisch geschlossenen Fischladen angelangt wäre, schon das entdeckt, was die beiden Frauen in Windjacken vergeblich gesucht hatten: Ein Stück ungeschminktes, alltägliches Wilhelmsburg.
von Annabel Trautwein
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