„Das hier ist'n Brummer, das hier, das hier ist'n Brummer!“ Ein Aufschrei schallt aus der Menge vor der Vorschot-Bühne auf dem MS Dockville und stirbt wieder ab. Immer noch nur der Soundcheck. MC Fitti, Trash-Rapper aus Berlin-Friedrichshain, hat es nicht eilig. Er steht neben seinem Tourbus und lässt sich das Licht der Kameras auf die Sonnenbrille scheinen. Dann schlendert er langsam die Gangway hoch zum hinteren Bühnenbereich. Die Techniker der Vorschot-Crew überprüfen die Anschlüsse, schleppen Anlagenteile aus dem Weg, sogar das Schlagzeug der Orsons wird schon getestet, obwohl die Band erst nach Fitti dran ist. Lichtkegel gleiten über die leere Bühne, nur die Crew läuft mit Kabeln und Listen hin und her. Immer lauter fordern die Fans MC Fittis Erscheinen. Ingo, einer der Techniker, tritt aus dem Rampenlicht ins dunkle Off. „Technisch sind sie bereit“, sagt er.
MC Fitty lässt sich Zeit. Er erreicht den Backstage und schlägt mit Katzenmaske, dem DJ, ein. „MC! MC!“, brüllen die Fans. Zehn Minuten noch, heißt es. Timo, der für die Vorschot verantwortlich ist, kommt vorbei und verschafft sich einen Überblick über die nächste Künstlertruppe auf seiner Bühne. „Er rappt, er rappt, er rappt, er ist DJ“, erläutert einer aus Fittis Team. MC Fitti unterhält sich, trinkt sein Jever und zwirbelt sich die Schnurrbartspitzen. „Letztens bin ich auf den DJ-Tisch gesprungen und hab mit dem Fuß die Hauptleitung ausgeschaltet, da war alles tot“, erzählt er. Noch drei Minuten. Der letzte Schluck Jever verschwindet hinter dem Bart, dann tauscht der Rapper die Flasche gegen das Mikrofon. „Jo!“, schallt es durch die Boxen in die Dämmerung hinaus. Die Fans jubeln, Fitti springt auf die Bühne und legt los: „Das hier ist'n Brummer…“ Zigfach grinst ihn sein eigenes Konterfei an, die Pappmasken mit Vollbart, Sonnenbrille und Baseballkappe zucken rot und blitzlichtblass im Bühnenlicht. Die Menge tobt, die Show läuft. Zigarettenpause für die Vorschot-Crew.
Das MS Dockville-Festival in Wilhelmsburg ist gestartet. Von Freitag bis Sonntag feiern dort rund 26.000 junge Menschen aus ganz Deutschland. Sie zelten am Rande des Stadtteils, streunen durch die verwandelte Landschaft des Kunstcamps. Auf sieben Bühnen zwischen Rethespeicher und Wasserturm feiern sie ihre Stars, die aus fast allen musikalischen Richtungen nach Wilhelmsburg kommen. Mehr als 200 Künstler, Musiker und Slam-Poeten sind in diesem Jahr dabei. Die vielen Menschen, die hinter den Kulissen Wilhelmsburgs größtes Party-Event ermöglichen, sind ungezählt.
Flaschen leer, Presseplätze voll
„Hier geht es nicht raus“, sagt der glatzköpfige Sicherheitsmann an einem der Eingänge. „Einmal ganz nach links“. Die Mädchen hinter ihm wollen das nicht hören. „Bitte, nur einmal kurz hinter dir vorbei. Bitte“, jammert eine und versucht, sich an seiner neongelben Jacke vorbei zu drücken. Der Kontrolleur verdreht die Augen und hakt die Finger zwischen Hamburger Gitter und Bauzaun fest. Die Mädels kehren um, er geht wieder seinem Job nach: Bändchen kontrollieren, Taschen abtasten, Flaschen herausfischen. Die sind auf dem Gelände nicht erlaubt, nur Tetrapacks. Vor den Sammeltonnen für Pfandflaschen schlucken die Festivalgänger nach Kräften ihre Vorräte weg, als dem Sicherheitsmann der nächste aufbruchwillige Trupp Menschen in den Rücken stößt. „Hier geht es nicht raus“, sagt er. Wieder und wieder.
Im Pressecontainer ist es genau anders herum: Mehr Journalisten können nicht rein. „Es tut mir Leid“, sagt Mitveranstalter Jean am Telefon und scrollt auf seinem Laptop durch die Akkreditierungsliste. „Ich habe heute 370 Anrufe bekommen, es geht echt nicht mehr.“ Medien aus ganz Deutschland haben ihre Reporter geschickt, Agenturen sind da, Blogger und Fachpublizisten. Eine Fotografin steigt ächzend in die kleine Lounge und entledigt sich ihrer Fotoapparate. „Ist echt anstrengend da im Graben“, sagt sie und zeigt ein paar ihrer Bilder: Jubelnde Fans, fliegendes Konfetti. Ihr Kollege räumt seine Fototasche leer und fischt schnipselweise Glitzerpapier zwischen den Objektiven hervor.
Die Sanitätshelfer auf dem Gelände haben schon um Mitternacht zu tun. Mit einer rollenden Bahre erscheinen sie auf dem Platz zwischen den Imbissbuden, wo sich leere Becher, Servietten, Kippenschachteln und Bratnudel-Boxen auf den Biertischen türmen. Die Helfer in orange gruppieren sich um ein Mädchen, das an einem der vermüllten Tische im Arm ihrer Freundin lehnt. Leise und behutsam heben die Sanitäter sie auf die Bahre und rollen mit ihr über den Rasen davon. Ihre Funkgeräte leuchten im Halbdunkel, bis sie zwischen den Körperumrissen des Partyvolks verschwunden sind.
Nutella, Käse und Russisch Koks
Vor der Crêperie herrscht derweil stille Vorfreude. In der kleinen Backbutze stehen Anett und Tabea, seit zwei Stunden, etwa sechs liegen noch vor ihnen. Anett klatscht ein goldbraunes Crêpe auf Tabeas Platte und schubst es mit dem Crêpemesser zurecht. Nutella soll's sein, wie fast immer. „Manchmal wollen die Leute auch Käse mit Nutella“, sagt Tabea. Doch für solche Geschmacksvorlieben sei es heute noch zu früh. Der Abend ist jung, die Gäste sind es auch. Zeit, einen neuen Eimer Teig anzurühren. Mit einer Plastikbox schaufelt Tabea Mehl in den 10-Liter-Bottich. Etwa zehn davon werden wohl noch leer werden bis zum Morgengrauen, sagen die Mädchen.
Je später der Abend, desto glitzernder die Gäste – die Containerbar „Zum blinden Passagier“ steuert in den Morgenstunden auf ihren Partyzenit zu. Auf 40 Fuß Länge vereint sie eine Kunstinstallation, einen vollbesetzten Tanzboden, das dazugehörige DJ-Pult und eine Bar mit Tanzstange. Vor dem Tresen sammelt sich das menschliche Treibgut der Nacht, kaut Kaffeepulver mit Zucker, spritzt Wodka aus Einwegspritzen hinterher und rundet mit einem Biss in Zitronenspalten ab: Russisch Koks, die Spezialität des Hauses. Bier gibt es hier nicht, auch keine Softdrinks, dafür Liebesschwüre des Stammpublikums: Es handle sich um die schönste Bar des Planeten, und hey, endlich ordentlich Bassmusik. Als das Tageslicht anbricht und die letzte Platte verklingt, beatboxen die Gäste zum Sound der Alarmanlage weiter. Nur das Thekenpersonal heißt die Stille willkommen. Der neue Festivaltag hat bereits angefangen.
von Annabel Trautwein
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