Klagst du noch oder gräbst du schon?

Die Klagefrist läuft noch – trotzdem soll der Umbau der Wilhelmsburger Reichsstraße symbolisch morgen schon starten. Gemeinsam mit Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) wollen Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) und Verkehrssenator Frank Horch (parteilos) am Donnerstag an der Neuenfelder Straße zum ersten Spatenstich ansetzen. Die Gegner des Projekts nutzen den Anlass für eine Protestaktion. Viele von ihnen haben bereits Klage gegen das Bauvorhaben eingereicht.

Der Spatenstich soll nur ein Symbol sein, sagt die Verkehrsbehörde auf Nachfrage von WilhelmsburgOnline.de. Er soll den Baubeginn für die Lärmschutzmaßnahmen östlich der Bahntrasse markieren – ein Thema, mit dem sich in Wahlkampfzeiten gute Presse machen lässt. Bei den Menschen auf der Elbinsel, die von dem Umbau betroffen sind, dürfte das Signal anders aufgefasst werden. Die meisten von ihnen haben noch eine Woche lang Zeit, gegen den Planfeststellungsbeschluss der Verkehrsbehörde zu klagen. Die Politiker dagegen geben schon mal den Startschuss.

Für Jochen Klein von der Solidargemeinschaft Rechtsschutz Lebenswertes Wilhelmsburg (Relewi) ist diese Haltung typisch. „Die Behörde hatte nie ernsthaft vor, die Planung wesentlich zu verändern – egal, welche Beteiligungsverfahren da stattgefunden haben, egal, wer da welche Einwände erhoben hat“, sagt er. Nun sollen Frank Horch und seine Mitarbeiter die Quittung bekommen: Die Klageschrift von Relewi liegt bereits beim Oberverwaltungsgericht. Sie zielt darauf ab, das Bauvorhaben komplett zu stoppen.

Wann der Richtspruch kommt, ist noch ungewiss. „Wir befinden uns auf dem langen und steinigen Pfad der Juristerei“, sagt Jochen Klein. Zunächst haben die Kläger sechs Wochen Zeit, ihre Klage zu begründen. Laut Relewi verstoßen die Pläne für die neue Wilhelmsburger Reichsstraße, die auf einer breiteren Trasse an den Bahngleisen entlang führen soll, gegen geltendes Recht. Deshalb seien sie nicht umsetzbar, sagen die Kritiker. Doch das Gericht entscheidet nicht nur über Ja oder Nein zum Projekt. Jochen Klein sieht vier Optionen. Erstens: Das Gericht könnte dem Bauvorhaben zustimmen, eventuell unter der Bedingung, dass die Pläne geringfügig geändert werden. Zweitens: Es könnte erhebliche Änderungen verlangen. Drittens: Das Gericht könnte die Pläne ablehnen. Viertens: Die Juristen könnten zu dem Schluss kommen, dass auf der Trasse überhaupt keine Straße gebaut werden darf. „Das wäre für die Behörde der Super-Gau“, sagt Klein.

Der Bund zahlt den Löwenanteil

Nach dem heutigen Planungsstand soll die neue Wilhelmsburger Reichsstraße mit allem drum und dran rund 136,3 Millionen Euro kosten. Rund 10,4 Millionen davon soll die Stadt Hamburg übernehmen – so sei es zwischen Bund und Stadt vereinbart worden, sagt die Verkehrsbehörde. Wie viel der Abriss von Teilen der heutigen Reichsstraße am Ende kosten wird, ist demnach noch nicht klar. Der Bund übernimmt den Löwenanteil – darin sieht Jochen Klein den einzigen Grund, wieso die Stadt Hamburg überhaupt einen Umbau der Reichsstraße plant. Vorteile sieht er bei dem Projekt nicht, dafür viele Nachteile für die Menschen in Wilhelmsburg.

Diese Meinung vertritt auch die Initiative Engagierte Wilhelmsburger, zu denen viele Relewi-Gesellschafter zählen. Für die Engagierten markiert der symbolische Spatenstich am Donnerstagmorgen den Beginn einer Verschwendung von 200 Millionen Steuergeld. Eine Sanierung der bestehenden Trasse sei völlig ausreichend, sagen sie. Zudem erwarten sie von der neuen, breiteren Reichsstraße stärkere Luftverschmutzung, mehr Lärm und chaotische Verkehrsverhältnisse südlich und nördlich der Elbe. Dass Bürgermeister Olaf Scholz, Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer und Verkehrssenator Frank Horch ihre Aktion mit dem Bau von Lärmschutzwänden verknüpfen, macht es für die Kritiker nicht besser. „In der Tat ist die Wilhelmsburger Bahnstrecke ein dringender Fall für Lärmschutzsanierung“, schreiben sie in der Ankündigung ihrer Aktion. „Diese könnte es bei ernsthaftem Bemühen der Verkehrsminister von Hamburg und Bund schon jetzt geben.“ Kurz bevor die Politiker ihre Spaten versenken, wollen die Engagierten Wilhelmsburger in einer symbolischen Beerdigungszeremonie um 9.45 Uhr auf dem Getrud-von-Thaden-Platz die Pläne für die neue Reichsstraße zu Grabe tragen.

Protestieren wollen die Engagierten Wilhelmsburger auch nach diesem „letzten Spatenstich“. Für Samstag, 10. August, ist eine erneute Gasmasken-Aktion an der Ecke Mengestraße/Georg-Wilhelmstraße vor dem Lidl-Parkplatz geplant. Damit wollen die Aktivisten die Bewohner des Reiherstiegviertels auf drohende Luftverschmutzung aufmerksam machen. „Viele Leute im Westteil von Wilhelmsburg fühlen sich vom Umbau der Reichsstraße nicht betroffen“, sagt Jochen Klein. „Dass die Verkehrslage auf der Insel sie doch betrifft, werden sie merken, wenn es zu spät ist.“

von Annabel Trautwein

 

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Kommentare

Eine Antwort zu „Klagst du noch oder gräbst du schon?“

  1. Avatar von WilhelmsburgOnline.de

    Ein Hinweis aus der Redaktion: Wir haben die Ortsangabe für die Gasmasken-Aktion der Engagierten Wilhelmsburger am 10. August korrigiert. So, wie es jetzt dort steht, stimmt es.

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