Die Menschen in Wilhelmsburg und auf der Veddel sollen mehr über die Zukunft ihres Stadtteils mitreden dürfen. Das ist das Ziel eines neuen Planungsprozesses, den Politik, Verwaltung und engagierte Bürgerinnen und Bürger gemeinsam gestalten wollen. Brit Tiedemann ist im Bürgerhaus für die Koordination des Projekts zuständig. Im Interview mit WilhelmsburgOnline.de erläutert sie, worauf es dabei ankommt und welche neuen Chancen sich den Bürgerinnen und Bürgern bieten.
Das Projekt, das Sie im Bürgerhaus betreuen, nennt sich „Perspektiven! Miteinander planen für die Elbinseln“ – wer sind denn diejenigen, die da miteinander planen sollen?
Eingeladen sind alle, die auf den Elbinseln leben und arbeiten. Wir wollen alle ansprechen, die die Elbinseln weiter entwickeln wollen – neben den Bürgerinnen und Bürgern auch Politik und Verwaltung. Auch Personen, die etwa ein wirtschaftliches Interesse an den Elbinseln haben, sollen mit am Tisch sitzen.
Dürfen auch Kinder und Jugendliche mitmachen?
Wenn sie Ideen haben und mitreden wollen, bin ich nicht diejenige, die Nein sagt. Wenn es zum Beispiel um das Thema Schule geht, interessiert das ja nicht nur die Eltern. Das könnte sehr spannend sein, Kinder und Jugendliche mit planen zu lassen. Ich kann mir das gut vorstellen.
Was soll denn in diesem neuen Prozess geplant werden?
Das ist das interessante an dem Projekt: Wir starten jetzt, lassen aber bewusst noch ganz viele Sachen offen. In dem neuen Planungsprozess soll nichts vorgegeben werden. Die Leute sollen die Inhalte, also das, worüber wir sprechen, selbst bestimmen. Auch die Art und Weise, wie wir diskutieren und wie wir zu Ergebnissen kommen, wollen wir gemeinsam bestimmen. Das ist eine große Herausforderung und sehr spannend, auch für uns im Bürgerhaus.
Ein Beispiel: Wenn neben meinem Haus neue Wohnungen gebaut werden sollen wird und ich befürchte, dass mir die Bauarbeiten das Leben schwer machen – hilft mir dann das Planungsprojekt, um Lösungen zu finden?
Ja, auf jeden Fall. Ganz wichtig bei dem Projekt ist, dass auch Politiker und Leute aus der Verwaltung beteiligt sind. Gerade bei solchen Problemen wie in dem Beispiel könnten wir uns dann gemeinsam an den Tisch setzen. Wir könnten etwa Informationen auszutauschen, wie die Situation für die Anwohner ist, wie weit die Planungen schon fortgeschritten sind, welche Möglichkeiten es noch gibt, mit zu reden.
Wenn Politiker und Menschen aus der Verwaltung mit Bürgerinnen und Bürgern sprechen, stellen sie bestimmte Entscheidungen oft so dar, als gebe es keine Alternative. Wie lässt sich in dem neuen Planungsprozess verhindern, dass Herrschaftswissen ausgespielt wird?
Das ist in der Tat ein Problem, mit dem wir uns intensiv befassen. Denn wir wollen ja Wege finden, wie alle auf Augenhöhe miteinander reden können. Es ist sehr interessant zu sehen, wie Menschen sich in Diskussionen beteiligen oder wann sie zurückhaltender sind – gerade wenn Experten da stehen und man selbst meint, keine Ahnung zu haben. In dem Prozess geht es genau darum, die Menschen zu stärken, damit sie ihre Interessen auch gut vertreten können.
Wie genau soll das Planungsprojekt ablaufen?
Der offizielle Start ist die Auftaktveranstaltung am 16. September. In der Veranstaltung geht es darum, das Geschehen vorzustellen und zu zeigen, in welchem Rahmen wir uns bewegen können. Wir wollen auch schon ganz gezielt Themen sammeln, an denen wir später arbeiten können. Danach geht es darum, die Leute, die sich für ein Thema interessieren, zusammen zu bringen. Wir wollen ihnen ermöglichen, sich zu treffen und gemeinsam Ideen zu entwickeln. Das kann in einer Arbeitsgruppe geschehen, die sich regelmäßig trifft. Es kann aber auch anders geregelt werden. Jetzt, in der Phase der Vorbereitung, ist es noch sehr schwer, konkrete Abläufe zu benennen, denn die sollen sich ja aus dem Prozess ergeben.
Bürgerbeteiligungsverfahren hat es in Wilhelmsburg schon häufiger gegeben, doch die, die mitgemacht haben, waren am Ende oft sauer und enttäuscht. Warum ist das neue Verfahren besser?
Es soll ein Planungsprozess sein, bei dem die Menschen auf den Elbinseln von Anfang an mitreden können und nicht erst dann, wenn schon vieles festgelegt ist. Es gibt zwar auch Planungsprozesse, die schon laufen oder gelaufen sind und die wir nicht anhalten können. Trotzdem wollen wir versuchen, neue Perspektiven zu ermöglichen. Wir reden auch nicht nur über festgelegte Gebiete, sondern über alles, was uns für Elbinseln wichtig ist. Zugleich bewegen wir uns nicht auf einer Spielwiese, denn der Prozess gehört zur Fortsetzung des Rahmenkonzeptes Sprung über die Elbe, das der Senat beschlossen hat. Die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt hatte dazu die „Planungswerkstätten Zukunftsbild Elbinseln 2013+“ ins Leben gerufen, steckte dafür aber auch Kritik ein. Praktisch jeder dieser Kritikpunkte wurde für das neue Verfahren berücksichtigt. Zum Beispiel haben sich die Verwaltungen verpflichtet, für mehrere Jahre zu berichten, wie sie mit den Ergebnissen umgehen. Die Bezirksversammlung hat schon zugesagt, sich damit zu befassen, an der Bürgerschaft arbeiten wir noch, sollte aber klappen. Wir erwarten, dass die Ergebnisse von den politischen Entscheidungsgremien respektiert werden.
Dürfen denn die Leute, die sich in diesem Planungsprozess einbringen, wirklich selbst entscheiden?
Nein. Die Entscheidung fällt dann tatsächlich die Politik. Wir verstehen das Verfahren als Ergänzung zur repräsentativen Demokratie und nicht als deren Ersatz. Aber deshalb ist die Zusage so wichtig, dass Politik und Verwaltung sich ernsthaft mit diesen Ergebnissen auseinandersetzten wollen.
Welche Rolle spielt das Bürgerhaus?
Im übertragenden Sinne: Wir bieten einen Rahmen, die Bürgerinnen und Bürger malen das Bild. Wir koordinieren und können gute Rahmenbedingungen schaffen, zum Beispiel indem wir Methoden einbringen, wie die Leute sich auf Augenhöhe austauschen können oder indem wir Räume zur Verfügung stellen. Wir helfen weiter, wenn die Leute Informationen brauchen, um weiter arbeiten zu können, schaffen Verbindungen zu Fachbehörden und übersetzen auch gerne Behördensprache. Ergänzend bieten wir für Interessierte Bildungseinheiten zum Beispiel zu Kommunikation an, damit sie im Verfahren – und auch danach – gut selbst agieren können. Wir wollen, dass sich nach dem Verfahren mehr Menschen für das Wohl der Elbinseln einsetzen als vorher. Was sie konkret tun wollen, sollen die Mitstreiterinnen und Mitstreiter bestimmen.
Es gibt in Wilhelmsburg viele Gruppen, die sich schon seit Jahren mit bestimmten Themen auseinandersetzen. Welche Rolle spielen sie?
Diese Gruppen sind wichtig und wir wünschen uns natürlich, dass sie auch mitmachen. Auch thematisch legen wir ja hier nicht auf einem weißen Blatt Papier los. Ganz viele Themen wurden schon mal durchdacht und bearbeitet. Hierauf wollen wir aufsetzen. Gleichzeitig rechnen wir damit, dass auch neue Themen auftauchen.
Kann ich denn überhaupt mitreden, wenn ich selbst nicht so viel Ahnung von diesen Themen habe wie andere?
Ich bin davon überzeugt, dass dieser Satz „Ich habe keine Ahnung“ nicht stimmt. Den sollten wir alle streichen. Es geht darum, Ideen zu entwickeln, wie wir auf den Elbinseln leben wollen. Jeder Mensch hat ja ein Interesse, wie er oder sie in Wilhelmsburg leben oder arbeiten will. Und darauf kommt es an. Deswegen freuen wir uns, wenn möglichst viele zur Auftaktveranstaltung kommen. Man kann auch einfach im Bürgerhaus vorbeischauen und sagten: „Ich möchte mich gerne beteiligen und hätte dann und dann Zeit.“ Alle sind herzlich Willkommen.
Wenn ich mitmache: Bin ich dann irgendwo Mitglied und muss ich jede Woche zum Treffen kommen?
Nein. Wir müssen ja auch bedenken: Für viele Menschen ist es extrem schwierig, neben Arbeit, Familie und Hobbys extra Zeit aufzubringen. Uns ist schon bewusst, dass das eine zusätzliche Arbeit ist. Trotzdem ist jede Meinung wichtig und soll in den Prozess einfließen. Wie wir das organisieren, müssen wir gemeinsam klären. Eine Idee ist, sich einen Samstag zu treffen, sich vier Wochen Nachdenk- und Diskussionszeit über Ergebnis zu nehmen und dann erneut zusammen zu kommen. Die Menschen, die an einem Thema Interesse haben, entscheiden selbst, wie es für sie am besten funktioniert.
Das Interview führte Annabel Trautwein
[tweetbutton]
Schreibe einen Kommentar