Das Spiel des Dichters

Ein Gedicht pro Tag. 100 Tage lang. Ohne Ausnahme. Klingt wie eine Strafarbeit? Ist doch nur ein Spiel, sagt der Dichter. Die Spielregel hat sich Robert Welti selbst auferlegt. Und eingehalten. Nun veröffentlicht der Wilhelmsburger Tag für Tag seine Gedichte. Eins von sieben – das Beste der nächsten Woche – bekommen die Leserinnen und Leser von WilhelmsburgOnline.de künftig jeden Freitag vorab. Robert Weltis Verse erzählen vom Leben und Lieben auf der Insel, von Rausch und Ernüchterung, von Heimat und Fremde. Fast immer in Reimform. Weil es Spaß macht, sagt der Diplom-Geologe, Musiker, Schulgründer, Sänger, Dichter und Lehrer. Von Strafarbeiten hält er sowieso nichts.

Gedichte sollten im Fluss entstehen, findet Robert Welti. Und auf dem Boden bleiben. „Einfach Sachen, die aus einem rausfließen, aufschreiben“ – so geht das mit der Poesie. Jedenfalls bei ihm. Denken sollte man dabei nicht zu viel. „Ich glaube, wir denken viel zu viel nach über den ganzen Kram, der so aufgeschrieben wird“, sagt er. Zum Beispiel in der Schule: Die hätte ihm fast die Lust am Dichten verleidet. Vers für Vers hätten sie die Lyrik sezieren müssen, Reimschemata rausschneiden und Rhythmen zerlegen in Jambus, Trochäus, Daktylus… „Dass Gedichte schön sind, darüber haben wir nicht gesprochen.“

In seiner eigenen Schule will Robert Welti es besser machen. Es ist eine Schule, in der Kinder sich nicht zwischen Lernen und Spielen entscheiden müssen, ohne Klassen, ohne Zensuren und nur manchmal mit Hausaufgaben. Jahrelang hat er an ihrer Gründung gearbeitet, Konzepte und Anträge geschrieben, Mitstreiter gesucht und gefunden, Datenbanken gepflegt, Behörden und Eltern überzeugt. Nebenher schrieb er Gedichte.

„Meine Freunde sagen: Ich kotze Texte“, sagt Robert Welti. 20 von den 100 Gedichten habe er in fünf Minuten geschrieben, die übrigen seien meist in einer halben Stunde entstanden, auch die in Reimform. Trotz längerer Dichterpause hatte er genug Übung: Die Texte für die Folk-Pop-Songs der Band Prinz König, die im Sommer zum zweiten Mal bei 48 h Wilhelmsburg dabei war, stammen auch aus Robert Weltis Feder. Nur manchmal habe er sich die Verse aus dem Hirn quälen müssen, sagt der Dichter. Ein mehr als sechsstündiger Versuch ist ihm besonders in Erinnerung. „Das Gedicht ist grauenhaft, ich würde es niemals jemandem vorlesen“, sagt er. In der Reihe der 100 Gedichte ist es trotzdem drin.

„Ohne Regel kein Spiel“

Dass es genau 100 werden sollten, stand von Anfang an fest. „Anfangs habe ich mir gedacht: Ich habe doch mindestens 100 Dinge, die ich loswerden und mitteilen will. Und dann habe ich beim Aufschreiben gemerkt: Es waren nur 40“, erzählt Robert Welti. Da musste er sich eben zwingen zum Dichten. Sich abends hinsetzen, trotz Unlust, und das Beste versuchen, notfalls bis spät in die Nacht. Abkürzen wäre nicht nicht in Frage gekommen, sagt er: „Ohne Regel kein Spiel.“ Hätte er den Stift hingelegt, sobald die spontane Lust am Dichten abgeflaut wäre, wären es vielleicht nur 47 Gedichte geworden, sagt der 34-Jährige. „Wem hätte ich das denn verkaufen sollen?“

Geld verdienen werde er mit der Poesie wohl niemals, meint Robert Welti. „Ich habe eigentlich nach einem Verlag gesucht, aber so einen unbekannten Dichter, den nimmt halt keiner.“ Chancen tauchten auf und wieder ab, ohne dass er sich danach ausstreckte, bis fast ein Jahr vergangen war. Dann sagte er sich: Egal, raus damit. Genau ein Jahr nach ihrem Entstehen sollten die Texte veröffentlicht werden. Weil Zeit und Eifer nicht reichten für den Bau einer eigenen Internetseite, griff er auf Facebook zurück. Dass jemand die Texte heimlich veruntreuen könnte, glaubt er nicht. „Es sind nur Gedichte“, sagt er.

Wilhelmsburg ist in seinen Versen der rote Faden, sagt Robert Welti – auch wenn es nicht immer offensichtlich sei. Aber das Gefühl, zu Hause zu sein, Heimatgedanken, die Elbe: All das taucht immer wieder auf und spiegelt den Lauf der Zeit auf der Insel wieder. Manchmal ist ein Gedicht auch sehr persönlich geraten. Eigentlich zu privat zum Veröffentlichen, wie Robert Welti sagt – nachdem er es, Regel ist Regel, trotzdem publiziert hat. „Wie ausziehen“ sei das manchmal gewesen. Aber die Reaktionen des Publikums fand er so weit in Ordnung. „Ein Gedicht schafft ja auch Abstand. Es schummelt immer irgendwie. Da ist nie alles wahr“, sagt er. Rhythmus oder Reim zwinge beim Schreiben dazu, etwas wegzulassen, anderes werde der Form halber auserwählt. „Deswegen heißt es ja Dichtung: Das ist verdichtete Information, verdichtete Gefühle.“

Heute feiert der Dichter sein Bergfest: 50 Gedichte hat Robert Welti inzwischen auf seiner Facebook-Seite www.facebook.com/robertalexanderwelti publiziert. Für die zweite Halbzeit gibt es auf WilhelmsburgOnline.de jede Woche eine Kostprobe vorab: Künftig jeden Freitag das Beste der nächsten Woche. Das erste Gedicht der Reihe hat Robert Welti schon ausgesucht. Es erscheint heute mit der Illustration von Sarah Laban unter „Geschichten und Gedanken.“

von Annabel Trautwein

 

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