Denkmäler der Insel: Ausflug in die dunkle Geschichte des Bunkers

Ein finsterer, drohender Klotz mitten in der Nachbarschaft – so nahmen viele Menschen in Wilhelmsburg den alten Flakbunker wahr, den die Nazis im zweiten Weltkrieg an der Neuhöfer Straße errichten ließen. Noch heute erinnern sich viele an die Angst und die Enge hinter den Betonwänden, wo Kinder und Erwachsene aus dem Reiherstiegviertel Schutz vor den Bomben suchten. Die Flugabwehrkanonen verstummten bald, doch den Bunker wurde Wilhelmsburg nicht los. Nun soll er in eine bessere Zukunft weisen – als Energiebunker der internationalen Bauausstellung. Trotzdem soll seine Vergangenheit sichtbar bleiben, sagt Margret Markert von der Geschichtswerkstatt Wilhelmsburg. Zum Tag des offenen Denkmals führte sie am Samstag durch die Bunkerhistorie.

Wie eine mittelalterliche Festung sollte der Bunker wirken. Adolf Hitler und seine nationalsozialistischen Baumeister legten viel Wert auf eine Architektur, erzählt Margret Markert. Der Bau sollte die Macht ihres Reiches demonstrieren. Um das umzusetzen, zwangen die Nazis Hunderte von Zwangsarbeitern, Kriegsgefangenen und KZ-Häftlingen zur Schwerstarbeit. Für die Menschen auf der Elbinsel waren die ausgehungerten und ärmlich gekleideten Männer und Frauen ein alltäglicher Anblick – in vielen Wilhelmsburger Firmen schufteten Menschen aus Frankreich, Polen, Belgien, Holland oder der Sowjetunion unter Zwang. Die Industrie an den Ufern des Reiherstiegviertels galt als kriegswichtig, der Bunker mit seinen Geschützen sollte die britischen und amerikanischen Bomber von ihr fernhalten. Dass er mitten im Wohngebiet stand, erfüllte für die Nazis auch einen psychologischen Zweck: „Der Krieg greift diesmal nach den Herzen unseres Volkes“, schrieb das Propagandablatt „Die Woche“ im Juli 1944, „nichts und niemand ist von Gefahr und Zwang zum Kämpfen ausgenommen.“

Kampf gegen die Alliierten – das war der vorrangige Zweck des Flakbunkers, erzählt Margret Markert. Rund 200 Menschen bedienten die vier Gefechtsstände auf dem Bunkerdach, Soldaten, Zwangsarbeiter und die sogenannten Flakjungs, die mit 16 aus dem Gymnasium rekrutiert wurden. In nur drei Fällen protestierten Eltern dagegen, berichtet die Historikerin. „Das ist auch ein Zeichen dafür, dass die Propaganda funktioniert hat.“ Dabei zeigten die damals hochmodernen Flak-Geschütze kaum Wirkung, wie Margret Markert erzählt. Für die Briten seien sie nur ein „teures Spielzeug“ der Nazis gewesen.

„Der Bunker hat mir das Leben gerettet“

Den Kindern und Erwachsenen im Wohngebiet ringsherum bot der Bunker Schutz vor den Bomben der Briten und Amerikaner. An den Fliegeralarm und die Angst erinnert sich Rudolf Milde, der bis 1959 im Reiherstiegviertel lebte, noch heute. Auf der Führung mit Margret Markert erzählt er: „Erst kam der Alarm, dann drängten die Leute hinein und die Flak fing an zu schießen. Die Flieger kamen in Wellen, alle 10 bis 20 Minuten.“ Als 13-Jähriger habe er im Bunker gehaust, von August 1944 bis zum Kriegsende. „Der Bunker hat mir das Leben gerettet. Ich war damals schon sicher, dass man ihn nicht zerstören konnte“, sagt er.

Nach dem Krieg machte sich eine Spezialeinheit der britischen Armee daran, den Koloss an der Neuhöfer Straße zu sprengen – ein delikater Vorgang, sollten doch die Häuser ringsherum unbeschadet stehen bleiben. Aus sicherer Entfernung schauten die Wilhelmsburger zu, wie der Sprengstoff den Bunker kurz auseinander zu reißen schien. Doch das Bauwerk blieb stehen, äußerlich fast unversehrt. Einige Kinder der Nachkriegszeit durchstreiften die Trümmer in seinem Inneren auf der Suche nach gefährlichen Abenteuern, doch sonst blieb der Bunker ungenutzt. Die Stadt prüfte mehrere Vorschläge zum endgültigen Abriss oder zum Umbau, konnte jedoch keines der Vorhaben umsetzen.

Ehemalige Kriegsanlage soll Wilhelmsburg mit sauberer Energie versorgen

Als die Ruine zu bröckeln begann und die Menschen in der Umgebung gefährdete, musste eine Lösung her, erzählt Margret Markert. Die internationale Bauausstellung (IBA) legte ein Konzept für das inzwischen denkmalgeschützte Gebäude vor: Als „Energiebunker“ sollte es künftig als Kraftwerk dienen. 2011 öffneten Bauarbeiter die Fassade, um 25.000 Tonnen Schutt aus der Ruine zu baggern. „Der schwerste Bagger, den man auftreiben konnte, hat da zwei Wochen lang Krach gemacht“, erzählt der zuständige Statiker, Professor Peter Bartram. Trotz Einsturzgefahr sei alles gut gegangen. „Der Bunker, dieser Koloss, ist unheimlich gutmütig“, sagt er. Heute versorgt der sogenannte Energiebunker mit einer Mischung aus Solarenergie und Strom aus Biomethan und Erdgas bereits 800 Haushalte in der Nachbarschaft. Von 2014 an will der Betreiber Hamburg Energie zudem die Abwärme der benachbarten Nordischen Oelwerke nutzen, Holzhäcksel sollen künftig als weiterer Brennstoff dienen. Ein 20 Meter hoher Wasserspeicher bunkert die Energiereserven.

Die neue Mission des Bunkers verheißt Gutes für Wilhelmsburg: In zwölf Jahren soll die Insel ihren Strom komplett aus seinen Energiequellen beziehen. Bis 2050 sollen sich die Menschen im Stadtteil auch mit Wärmeenergie selbst versorgen können, sagt Simona Weisleder, die das Projekt für die IBA betreut. Auch für die Historikerinnen und Historiker der Geschichtswerkstatt sind das gute Aussichten – dennoch sollte die Vergangenheit des Bunkers nicht aus dem Blickfeld geraten, sagt Margret Markert. Seit Jahren erforschen sie und ihre Mitstreiter die Bunkerhistorie. Sie untersuchten alte Dokumente und Bilder, sprachen mit Zeitzeugen, präsentierten den Stand ihrer Recherchen im benachbarten Park und setzten sich gemeinsam mit Jugendlichen mit der Geschichte auseinander. Viele ältere Wilhelmsburger unterstützten die Geschichtswerkstatt mit Erlebnisberichten und privaten Fotos. Margret Markert möchte die Arbeit an der historischen Ausstellung gerne fortsetzen, auch nach der IBA. Doch der Vorschlag fand bisher wenig Anklang, sagt sie. „Die Stadt ist nicht bereit, das weiter zu fördern.“

von Annabel Trautwein

 

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Tipp:

Zum Tag des offenen Denkmals ist der Bunker (Neuhöfer Straße 7) von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Am Sonntag um 10.30 Uhr bietet das Denkmalschutzamt eine Führung an. Die Forschungsergebnisse der Geschichtswerkstatt veranschaulichen würfelförmige Ausstellungsflächen in und um den Bunker. Mit Hilfe eines Smartphones können Besucherinnen und Besucher den QR-Code darauf einscannen und Zeitzeugenberichte anhören oder Filmsequenzen sehen.


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