Im alten Amtshaus an der Kirchdorfer Straße erwacht die Geschichte Wilhelmsburgs zum Leben: Trachten und Möbel, Briefe und Schularbeiten, Werkzeuge und Haushaltswaren aus vergangenen Jahrhunderten erzählen davon, wie die Menschen lebten und arbeiteten, als es auf der Elbinsel noch keine Fabriken oder elektrischen Strom gab. Im Museum Elbinsel Wilhelmsburg ist das Vergangene sprichwörtlich zum Greifen nah. Zum Tag des offenen Denkmals laden die ehrenamtlichen Historiker wieder zur Zeitreise ein.
Alles begann mit einer vertrackten Liebesgeschichte: Wäre Herzog Georg Wilhelm von Braunschweig-Lüneburg seiner Eleonore nicht begegnet, gäbe es Wilhelmsburg wohl gar nicht, erzählt Dr. Jürgen Drygas, Vorsitzender des Museumsvereins. Die französische Hugenottin war auch dem Herzog nicht abgeneigt, doch als Flüchtling nicht gerade eine gute Partie. „Sie war bitterarm – zwar von Adel, aber doch nicht standesgemäß“, erzählt Jürgen Drygas. „Da musste also Besitz her.“ Der verliebte Herzog griff tief in die Taschen, kaufte zu seinem kleinen Besitz weiteres Land hinzu und gründete die Elbinsel Wilhelmsburg, die er seiner Angebeteten vermachte. Eine stattliche Mitgift – doch der Herzog hatte noch ein Problem, wie Jürgen Drygas sagt: „Er hatte schon eine Braut. Die war ihm schon zugesagt, die musste er noch irgendwie loswerden.“ Also schloss Georg Wilhelm einen Deal mit seinem jüngeren Bruder: Der übernahm die Verlobte und überholte dafür den Älteren in der Thronfolge.
So beginnt auch eine Adelsgeschichte, die heute noch zu den meist erzählten Liebesdramen Wilhelmsburgs zählt: Das Schicksal der Gräfin Sophie Dorothea, die zwangsverheiratet wurde und die Königin von England hätte werden können – hätte sie sich nur nicht auf die Affäre mit dem Grafen von Königsmark eingelassen… Auch davon erzählt das Museum der Elbinsel, doch vor allem widmet es sich der Geschichte der einfachen Menschen. Es erzählt von ihrer Arbeit auf Weiden und Feldern, den beschwerlichen Handelswegen der Melkhöker, dem Kampf mit den Fluten der Elbe. Die Stunden auf alten Wilhelmsburger Schulbänken, die Waschtage und das Kochen und Einmachen in der Bauernküche – all das machen die Historikerinnen und Historiker des Museumsvereins im wahrsten Sinne des Wortes greifbar. „Wir sind ein Museum zum Anfassen“, sagt Jürgen Drygas.
Schaurige Hinterlassenschaften im Kellergewölbe
Das ehemalige Amtshaus an der Kirchdorfer Straße, das heute das Museum beherbergt, ist selbst ein Zeugnis Wilhelmsburger Geschichte. Sein ältester Raum stammt aus dem Jahr 1624 – der alte Vorratskeller des früheren Adelssitzes Stillhorn. „Das war ein richtiges Schlösschen mit Erkern und Giebeln.“ Nach 100 Jahren aber war die ganze Pracht morsch oder abgerissen. Auf seinen Fundamenten, über dem alten Kellergewölbe, wurde das Amtshaus errichtet. Ein besonderer Überrest des früheren Schlösschens ist dem Museum erhalten geblieben: Die Tür des gutseigenen Kerkers, in deren Holz die schmachtenden Insassen ihre Namen kerbten: Roberts, Timanns, Rubbert – „also Namen, die es auch heute auf der Insel noch gibt“, sagt Drygas.
Der Herzog Georg Wilhelm jedoch hat mit seiner Familie nie in dem prachtvollen Haus gewohnt. „Das hier war immer Amtssitz“, sagt Jürgen Drygas. Im Amtshaus saß die Verwaltung, Steuern wurden eingetrieben, Verbrecher verurteilt. „Es gab hier auch einen Galgen“, sagt der Museumsvorsitzende. Der Name „Galgenbrack“ verrät noch heute, wo er einmal stand. Das Amtshaus, heute eins von drei anerkannten Denkmälern auf der Elbinsel, wird inzwischen für erfreulichere Amtshandlungen genutzt – „Sie können hier jeden vierten Freitag im Monat heiraten“, sagt Jürgen Drygas und fügt scherzhaft hinzu: „Wenn Sie mal nichts anderes vorhaben.
Geschenke von Wilhelmsburger Familien
Zum Tag des offenen Denkmals am Sonntag lädt der Museumsverein zu Kaffee und Kuchen, Flohmarkt und natürlich zur Zeitreise durch die Ausstellung ein. Zur Feier des Tages zeigen die Historikerinnen und Historiker einige besondere Stücke – etwa eine Kollektion Wäsche aus vorindustriellen Zeiten. Viele der Gegenstände, die den Wilhelmsburger Alltag von damals erlebbar machen, sind Geschenke von Menschen auf der Elbinsel, erzählt Jürgen Drygas. „So etwas tut immer sehr gut – das zeigt ja, dass wir angenommen sind. Es ist also auch eine Anerkennung für unsere Arbeit“, sagt er. Etwa 10.000 ehrenamtliche Stunden im Jahr wenden er und die vielen Mitstreiter im Verein für das Museum auf. Ein Einsatz aus Leidenschaft, für den der Vorsitzende gerne noch mehr Menschen begeistern möchte. „Unterstützer sind uns immer willkommen“, sagt er.
von Annabel Trautwein
Tipp:
Zum Tag des offenen Denkmals ist das Museum Elbinsel Wilhelmsburg im ehemaligen Amtshaus (Kirchdorfer Straße 163) von 11 bis 17 Uhr für Besucher geöffnet.
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