Was ist Ihr Verständnis von glaubhafter Bürgerbeteiligung? Gleich zu Beginn der politischen Diskussion über „Wilhelmsburger Wahlprüfsteine“ prüfte Moderator Hartmut Sauer die Direktkandidaten der Parteien SPD, CDU, Grüne, Linke und FDP auf Herz und Nieren. Mitbestimmung für Bürgerinnen und Bürger war eines der großen Themen, das der Verein Zukunft Elbinsel zur Debatte im Bürgerhaus auf die Tagesordnung gesetzt hatte. Zudem ging es auf dem Podium um den anstehenden Volksentscheid zum Rückkauf der Energienetze, die soziale Notlage von Arbeitsmigranten und die Verkehrspläne für Wilhelmsburg. Lauter heiße Eisen – die Wilhelmsburgerinnen und Wilhelmsburger machten es Metin Hakverdi (SPD), Herlind Gundelach (CDU), Kurt Duwe (FDP), Sabine Boeddinghaus (Linke) und Manuel Sarrazin (Grüne) nicht leicht.
Bürgerbeteiligung? Gerne mehr davon, bekundeten die Direktkandidaten aller Parteien. Über konkrete Ideen, wie diese Beteiligung aussehen könnte, erfuhr das Publikum im Bürgerhaus jedoch wenig. Der FDP-Kandidat Kurt Duwe schlug vor, lokale politische Gremien wie den Regionalausschuss mit mehr Rechten auszustatten. In einer solchen „kommunale Demokratie“ würden sich auch mehr Menschen engagieren, sagte Duwe. Für Sabine Boeddinghaus von der Linken wäre es damit jedoch noch nicht getan. „Durch die soziale Spaltung haben viele Menschen gar nicht die Möglichkeit, sich einzubringen“, sagte sie. Mitsprache müsse ganz anders organisiert werden als bisher. So plane die Linke etwa einen „Bürgerhaushalt“ – Geld, über das die Beiräte verfügen sollten. „Wir haben uns dafür ausgesprochen, Referenden einführen“, sagte dagegen der Kandidat der Grünen, Manuel Sarrazin. Das würde bedeuten, dass die Menschen in Hamburg künftig über Vorschläge von Bürgerschaft oder Senat direkt abstimmen könnten.
Metin Hakverdi (SPD) und Herlind Gundelach (CDU) hielten sich mit Vorschlägen eher zurück. „Tatsächlich brauchen wir da passgenaue Formen, die wir heute noch nicht kennen, weil wir nämlich in Wahrheit noch gar keine Erfahrung damit haben“, sagte Hakverdi. Auf jeden Fall aber werde Bürgerbeteiligung in Zukunft immer wichtiger. „Bürgerbeteiligung ist notwendig“, sagte auch Herlind Gundelach. „Aber irgendwann muss auch entschieden werden, und dazu haben wir in unserer Verfassung entsprechende Gremien.“ Die Entscheidenden müssten sich jedoch alle Argumente ernst nehmen und anschließend auch plausibel begründen, wie sie zu ihren Beschlüssen gelangt seien.
Energienetze: Was hat die Stadt vom Rückkauf?
Zum Thema Rückkauf der Energienetze forderte Moderator Hartmut Sauer zwei Kandidaten zum Duell gegeneinander auf. Metin Hakverdi erklärte zu Beginn der Debatte mit Sabine Boeddinghaus, im Prinzip befürworte er die Idee eines Stromnetzes in öffentlicher Hand. „Ich glaube, es war ein schwerer Fehler, die Netze zu verkaufen“, sagte er. Nun aber komme es darauf an, was die Stadt für ihr Geld bekomme, wenn sie die Netze zurück erwirbt. Bei einem vollständigen Rückkauf könne die Stadt auf Konzerne wie Vattenfall keinen Einfluss mehr nehmen. Damit sei auch die Abmachung mit Vattenfall vom Tisch, nach der der Konzern sich verpflichtet habe, ein neues, umweltfreundliches Gas-Kraftwerk für die Stadt zu bauen, sagte Hakverdi. Sabine Boeddinghaus dagegen betrachtete die Einzelheiten eines Deals mit dem Vattenfall-Konzern als zweitrangig – für die Kandidatin der Linken stand das Prinzip im Vordergrund: „Ist Energieversorgung eine öffentliche Daseinsvorsorge? Oder wird sie Privaten überlassen, die nur im Sinne haben, die Rendite zu erwirtschaften?“ Nur der vollständige Netzrückkauf ermögliche den Menschen in Hamburg, selbst zu entscheiden, wie Strom erzeugt und verteilt werden soll. Zudem komme das Geld, was zum Rückkauf nötig wäre, nicht aus dem Hamburger Haushalt, sondern aus einem Kredit. „Also lassen Sie sich nicht bange machen“, sagte Sabine Boeddinghaus. Es werde kein Geld an anderer Stelle fehlen, weil die Stadt sich den Netzrückkauf geleistet habe. Im Gegenteil: Die Stadt könne, sobald der Kredit abbezahlt sei, sichere Gewinne verbuchen. Metin Hakverdi stellte jedoch in Frage, ob diese Gewinne auch in Zukunft sicher seien – schließlich seien sie nur durch Gesetze verbrieft, und die ließen sich ändern.
Arbeitsmigranten aus Osteuropa helfen – nur wie?
Eine Einführung in die Lage der Arbeitsmigranten gab Christiane Tursi von der interkulturellen Beratungsstelle Verikom. Demnach sitzen zugewanderte Arbeiter aus Osteuropa in dreifacher Hinsicht in der Klemme: Um eine Arbeitsgenehmigung zu bekommen, müssten die Menschen oft monatelang warten. Diese Wartezeit überbrückten viele mit selbstständiger Arbeit, die faktisch eine Schein-Selbständigkeit sei – viele Arbeitgeber nutzten die Abhängigkeit der Migranten aus, indem sie nichts oder nur Hungerlöhne zahlten, berichtete Christiane Tursi. „Eine andere Sache sind die Sozialleistungen, zu denen die EU-BürgerInnen gar keinen direkten Zugang haben. Sie müssen erst einmal an Arbeit herangekommen sein, bevor sie überhaupt leistungsberechtigt sind.“ Selbst wer das schaffe, werde am Jobcenter oft abgewiesen. Zudem verschuldeten sich viele, wenn sie ärztliche Hilfe brauchen, da sie nicht krankenversichert seien und bei Eintritt in die gesetzliche Kasse in der Regel hohe Beitragssummen nachzahlen müssten.
Was soll die Politik tun, um die Not der Arbeitsmigrantinnen und Arbeitsmigranten zu lindern? Dazu hatten die Direktkandidaten sehr unterschiedlich ausgeprägte Meinungen. „Das ist in der Tat eines der größten Probleme“, sagte Herlind Gundelach. Eine konkrete Lösung könne sie aber noch nicht anbieten. „Langfristig brauchen wir eine europäische Lösung“, sagte Metin Hakverdi. Solange daran gearbeitet werde, sollte es einen Fonds für Nicht-Versicherte geben, in den alle Kassen einzahlen sollten. Auch Manuel Sarrazin von den Grünen sprach sich dafür aus, langfristig eine einheitliche Regelung für die ganze EU zu finden. Dem stimmte Sabine Boeddinghaus zu. Zudem müsse es auch für Arbeitsmigranten einen Mindestlohn geben. „Letztendlich kommen wir aus linker Sicht immer zu der Frage: Wie verteilen wir unseren Reichtum?“. Der Kandidat der FDP, Kurt Duwe, hielt es dagegen für zu schwierig, alle Sozialsysteme der EU-Staaten unter einen Hut zu bekommen. Besser seien Abkommen zwischen einzelnen Staaten. Zudem müssten ausländische Berufsabschlüsse leichter anerkannt werden – auch wegen des volkswirtschaftlichen Nutzens, den die Arbeitsmigranten Deutschland verschaffen könnten.
Weder CDU-Kandidatin noch Grünen-Kandidat glauben an Hafenquerspange
Schließlich sollten sich zwei Direktkandidaten zum Verkehr auf und um die Elbinsel äußern. Michael Rothschuh stellte in seinem Einführungsvortrag ins Thema ein Problem für die Menschen in Wilhelmsburg in den Fokus: Beim Bauvorhaben der Hafenquerspange gebe es drei Planfeststellungsverfahren für verschiedene Abschnitte der geplanten Strecke – mitreden beziehungsweise klagen könnten die Menschen in Wilhelmsburg jedoch nur in Hinblick auf das mittlere Stück. Zudem sei damit zu rechnen, dass die Verkehrsplanung auf der Insel so lange still stehe, bis geklärt sei, ob der Bund überhaupt Geld für die großen Bauvorhaben in Wilhelmsburg zahlen würde – und das könne Jahrzehnte dauern.
Der Grünen-Kandidat Manuel Sarrazin stellte sich auf die Seite der Kritiker, die die Strecke quer durch den Süden der Elbinsel ablehnen. „Die Hafenquerspange ist nicht nur verkehrlich fragwürdig. Es ist auch absolut unrealistisch, dass der Bundesverkehrswegeplan sie finanziert“, sagte er. Herlind Gundelach stimmte ihm zu: „Ich gehe auch davon aus, dass ein Großteil der Verkehrswegeplans in Richtung Sanierung geht und nicht in Richtung Neubau.“ Nichtsdestotrotz brauche die Stadt eine „leistungsfähige Verbindung zwischen A1 und A7“. Michael Rothschuh kritisierte daraufhin, dass gerade CDU und Grüne das Projekt im vergangenen Jahr vorangetrieben hätten. „Sie verunmöglichen jede vernünftige Planung“, warf er den Kandidaten vor. Manuel Sarrazin und Herlind Gundelach wandten daraufhin beide ein, sie hätten aus ihren persönlichen Bedenken nie ein Geheimnis gemacht. Was als Duell geplant war, mündete in Einverständnis.
von Annabel Trautwein
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