Das Schlagzeug peitscht den Herzschlag hoch, die Gitarristen greifen in die Saiten und treffen Nervenstränge, der Bass raunt einen vertrauten Unterton und der Frontmann röhrt ins Mikrofon: „Groß geworden auf der Insel…“ Selbst wer Feinripp noch nicht kennt, glaubt ihm sofort. Straßenlärm, Gestank, Lambrusco pur und „tierisch harter Rock“ – na klar, so muss es gewesen sein für die Halbstarken damals in Wilhelmsburg. Der Pubertät sind die Musiker von Feinripp längst entwachsen, doch die alten Zeiten lassen sie nicht los. Samstagabend bei Kirchdorf Rocks! wollen sie das Festivalpublikum dorthin entführen – zurück zu den Wurzeln des Inselrock.
Wilhelmsburg ohne die Band Feinripp? Schön wäre das nicht, aber möglich. Feinripp ohne Wilhelmsburg dagegen – undenkbar. Die Insel ist für Nils Sternberg, Dirk Schulenburg, Michael Jessen, Thomas Krohn, Tanja Benecke und Alexander Strunk mehr als nur ein Zuhause. Sie ist der Grundstein ihrer Musik. „Pubertät“ erzählt von Rausch und Freiheit auf Wilhelmsburger Straßen, wo „Helga“ ihr Unwesen treibt und „Werner“ sein spätes Glück findet. Der genügsame Stauer ohne Schulabschluss und die liebenswerte Wuchtbrumme mit Lederkluft und Bierfahne sind Feinripps hausgemachte Prototypen. Sie verkörpern den Stil der Band – Leadsänger Nils Sternberg nennt es „Arbeiterklasse 'raushängen lassen“ – und tauchen immer wieder in ihren Stücken auf. Jeder Songschreiber hat sie aufs neue überzeichnet und das Klischee bis zur Groteske übertrieben. „Helga und Werner kommen aus einer Wilhelmsburger Schicht, wie man sie sich in Blankenese vorstellt“, sagt Nils Sternberg.
Bandprobe im Kinderzimmer – seit 1989
Standorttreu wie Werner und Helga ist auch Feinripp selbst: Seit 1989 proben die Musiker im Kinderzimmer eines Bandmitglieds. Damals waren Schlagzeuger Thomas Krohn, Gitarrist Dirk Schulenburg und Sänger Nils Sternberg noch als „Tüddelbüddel“ unterwegs, später traten sie mit Verstärkung auf – als Feinripp, in passenden Unterhemden. Gitarrist Michael Jessen kam dazu, der einzige Profimusiker der Band. Bernd Feddersen ist berufsbedingt abgetreten, unterstützt die Band aber nach wie vor bei den Proben, wo es traditionell ein Mindesmaß an Weizenbier zu vernichten gilt. Gemessen an der fast 25-jährigen Bandgeschichte ist Sängerin Tanja Benecke neu dabei: Bei der Rock-Revue „Traumziel Wilhelmsburg“ stand sie 2012 erstmals am Mikrofon.
Die Revue „Traumziel Wilhelmsburg“ ist Feinripps Paradestück, das Werk ihres schmerzlich vermissten Bandmitglieds Steven Clark. „Eine Rock-Revue war sein Traum“, erzählt Nils Sternberg. Der Profimusiker und Produzent, der bei Feinripp Keyboard spielte, schuf gemeinsam mit der Band ein Bühnenspektakel über die Geschichte der Elbinsel, von der Ära der Herzogin Sophie Dorothea über die Sturmflut 1962 bis zum Beginn der Bauarbeiten für die internationale Gartenschau. Es wurde eng im Kinderzimmer: 15 Musiker und Schauspieler probten nun dort für die Vorpremiere 2011 bei Kirchdorf Rocks! und die Uraufführung im Frühjahr darauf im Bürgerhaus, die begeistert aufgenommen wurde. Steven Clark hatte sein „Traumziel“ erreicht, doch kurz darauf begann sein Abschied. Er wurde so schwer krank, dass seine Band ihren Auftritt beim folgenden Rockfestival schweren Herzens ohne ihn plante. Zwei Wochen vor dem Festival, das Steven Clark selbst ins Leben gerufen hatte, starb er. „Wir haben gleich gesagt: Kirchdorf Rocks! muss trotzdem laufen“, sagt Nils Sternberg. Ihr Freund hätte es nicht anders gewollt – da waren sich alle sicher. Auf der Bühne gedachten sie ihm auf besondere Art: Tanja Benecke sang „Someone Like You“ von Adele zur Klavierbegleitung, die Steve Clark selbst gespielt und aufgenommen hatte. „Wir haben uns hinter Tanja gestellt und geheult wie die Schlosshunde“, erzählt der Feinripp-Frontmann.
Amateure aus Überzeugung
Kirchdorf Rocks! ist den Feinrippern Herzenssache geblieben. „Wir sind Achim und Bernd sehr dankbar, dass sie das weiterführen“, sagt Nils Sternberg. Ein Rockfestival auf dem Dorf, wo sonst eher Blaskapellen oder Männergesangsvereine zu erwarten wären, sei schon etwas Besonderes. Mehr als Headliner des Festivals wollen die Musiker von Feinripp gar nicht werden. Zu ihrer bislang einzigen CD „Schichtwechsel“ musste Steve Clark sie erst überreden, heute spielen sie etwa drei bis fünf Gigs im Jahr. „Wir hätten auf jeden Fall mehr machen können“, sagt der Leadsänger. Aber die Feinripper sind – mit Ausnahme von Michael Jessen – Amateure aus Überzeugung. Professionell zu spielen fänden sie viel zu stressig, sagen sie, und Stress sei Gift für die Freundschaft. Die steht bei Feinripp an oberster Stelle, sie hält sogar Seitensprüngen stand.
Beinahe wäre nämlich Schlagzeuger Thomas Krohn mit der bekannten Rockband Nickleback fremd gegangen. Die Stars aus den USA suchten einen Ersatzdrummer für ihre Deutschland-Tournee, der Feuerwehrmann aus Wilhelmsburg ging zum Casting und verpasste sein Ticket haarscharf. Die ersten beiden durften mit auf Tour, Thomas Krohn wurde Dritter von mehr als 250 Bewerbern – als einziger Hobbyschlagzeuger. Heute ist die ganze Band stolz auf den Erfolg ihres Drummers. Niemals hätten sie an seiner Treue gezweifelt, sagen seine Freunde. Sie sollten Recht behalten: Nachdem sie ihr Votum bekannt gegeben hatte, erkundigte sich die Jury bei Thomas Krohn, ob er denn sonst eine Band von Rang und Namen habe. „Ja“, antwortete der Wilhelmsburger. „Feinripp.“
von Annabel Trautwein
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Info:
Wer mehr über Feinripp erfahren möchte, findet die Band im Internet unter www.feinripp.info.
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