Kunstgenuss von Deich zu Deich

Überall auf der Elbinsel gibt es am Wochenende Kunstschätze zu entdecken. Von Georgswerder über das Reiherstiegviertel bis nach Kirchdorf-Süd öffnen Künstlerinnen und Kulturmacher ihre Ateliers, stellen ihre Werke aus und bieten Aktionen zum Mitmachen an. WilhelmsburgOnline.de hat sich einige Schauplätze schon vorher angesehen, mit Künstlerinnen über ihre Ideen gesprochen und verrät, was – zum Beispiel – es in den unterschiedlichen Winkeln der Insel zu entdecken gibt.

Gleich hinter dem ehemaligen Zolltor geht es los: Sieben Ateliers und Kulturorte öffnen im Haus Witternstraße 2 ihre Türen. In einem davon arbeitet die Künstlerin Katja Sattelkau, die nicht nur eigene Werke zeigt, sondern auch zum Mitmachen anregen will. Kinder von drei bis zehn Jahren können im Atelier herausfinden, was jenseits des Malbuchs künstlerisch möglich ist – zum Beispiel, mit einer einzigen Farbe ein lebendiges Bild zu gestalten. Um 15 Uhr bricht bei Katja Sattelkau die rote Stunde an. Dann gibt es Buntstifte und Stoffe zum Aufkleben nur in verschiedenen Rottönen. Um 16 Uhr wechselt die Farbe zu Gelb, um 18 Uhr beginnt die blaue Stunde. „Die Kinder werden gefordert, ihre Fantasie einzusetzen“, sagt Katja Sattelkau, die auch an der Elbinselschule Kunst unterrichtet. Viele Kinder haben sich schon gemeldet und wollen mitmachen.

Auch bei ihren erwachsenen Gästen will die Künstlerin Kreativität spielerisch hervorkitzeln. Am späten Samstagabend, wenn in vielen Kunststätten schon das Licht aus ist, lädt sie zum „Mitternachtsmalen“ ein. Auch hier gibt es Pastellkreiden, Buntstifte und Acryl nur in drei Farben. Dafür spielt die Pianistin Natalie Stenzel live im Atelier – eine Inspirationquelle sowohl für die Kunst als auch für die Musik, wie Katja Sattelkau sagt. Vor zwei Jahren führte sie gemeinsam mit der Musikerin Anne Wiemann das Experiment beim Festival 48 h Wilhelmsburg vor. „Wir haben beide festgestellt, dass die Farben, die ich verwendet habe, Einfluss auf ihre Musik haben“, sagt Katja Sattelkau. Auch sie selbst habe je nach Musik andere Farben gewählt. „Diese Erfahrung möchte ich anderen auch ermöglichen“, sagt sie.

Spuren eines sich wandelnden Stadtteils

Fotos und Bilder, Filme, Installationen und Skulpturen zeigen die acht Frauen und Männer, die im Künstlerhaus Georgswerder an der Rahmwerder Straße ihre Ateliers öffnen. Eine von ihnen ist Bianka Buchen, die ihre Inspiration oft im Werdegang von Orten findet. In dem Projekt „Sichtbar/Unsichtbar: Eine Untersuchung“ widmet sie sich dem Reiherstiegviertel. Gemeinsam mit Peter Birke dokumentiert die Künstlerin, wie sich ihre Nachbarschaft in der Veringstraße verändert. Welche Läden verschwinden, welche Geschäfte siedeln sich neu an? Was gab und gibt es dort zu kaufen? Seit 2008 fotografieren immer wieder die Geschäfte, kaufen jeweils ein Produkt für ihr Archiv, sprechen mit den Ladeninhabern. „Wir fragen nach: 'Was hat sich für Sie verändert?'“, sagt Bianka Buchen.

Was viele noch für ein Phantom, ein Gerücht halten, macht das Projekt „Sichtbar/Unsichtbar“ zum Greifen deutlich: Die Gentrifizierung des Reiherstiegviertels hat längst begonnen. Doch wie fühlt sie sich an? Was ändert sich für die Menschen, die heute in der Nachbarschaft wohnen und einkaufen? Spiegeln die Schaufenster der Veringstraße den Wandel? Diesen Fragen wollen Bianka Buchen und Peter Birke mit dem Projekt auf die Spur kommen. Kommentarlos dokumentiert sie, wie lange sich Läden behaupten, die auf andere Geschmäcker und kleinere Geldbeutel zielen als die der Kundschaft, die sich das Hamburger Stadtmarketing in Wilhelmsburg wünscht. Und sie hält fest, wie sich neue Geschäfte mit ihrem Sortiment ins Stadtbild fügen. Bianka Buchen und Peter Birke geht es nicht darum, Beweise für eine Gentrifizierung zu sammeln. Die Ausstellung zeigt den Wandel als Prozess, an dem Menschen durch ihre alltäglichen Entscheidungen mitwirken. „Wilhelmsburg wird von den Planerinnen und Planern oft als 'Modell' gesehen, als wäre es ein Reagenzglas, in dem das reiche Hamburg nach Belieben die Puppen tanzen lassen kann“, schreiben Peter Birke und Bianka Buchen über das Projekt. „In Wirklichkeit ist es nicht so.“ Viele setzen sich kritisch mit den Veränderungen im Stadtteil auseinander – das machen die Momentaufnahmen der Ausstellung deutlich. Sie ist am Samstag von 14 bis 19 Uhr und am Sonntag von 12 bis 18 Uhr in der Rahmwerder Straße 3 zu sehen.

Wachsendes Kunstwerk im freien Feld

Im Reiherstiegviertel am Ufer des Veringkanals zeigt auch Kathrin Milan, die Organisatorin der Ateliertage, ihre Werke. In einem der Bauwagen in ihrem bunten Garten zeigt sie Landschaftsgemälde, zudem stellt Kiki Jonas dort ihre Fotografien aus. Beim Stadtmodell können Kinder und Erwachsene selbst kreativ werden. Ytongsteine, Farben und allerhand Werkzeug liegen bereit.

Seit 2007 gestalten Kinder und Jugendliche aus der Nachbarschaft gemeinsam mit der Künstlerin das Stadtmodell. „Es ist ein begehbares Modell von Wilhelmsburg, das mit gärtnerischen Mitteln angelegt ist“, erläutert Kathrin Milan. Weil es im öffentlichen Park neben dem Interkulturellen Garten liegt, lässt es sich jederzeit umgestalten. So ist es auch gedacht, sagt die Künstlerin. „Es ist sozusagen ein kreativer Spielplatz.“ Der Garten am Veringkanal ist für viele ein fester Treffpunkt. Jedes Wochenende kommen Kinder und Jugendliche aus der Nachbarschaft vorbei und bauen das Stadtmodell weiter. „Für viele ist das hier der gute Ort, wo sie auch am Nachmittag nach der Schule vorbeikommen können. Wir machen dann zum Beispiel Feuer zusammen oder backen Stockbrot“, erzählt Kathrin Milan. Hier kennen sie sich aus und es gibt immer etwas zu tun. Die Kunst entsteht spielerisch nebenbei und lässt das kleine bunte Wilhelmsburg auf der Wiese wachsen.

Neugieriger Blick aufs Anderssein

„Grenzenlose Liebe“ ist das Thema des Fotoprojektes, das die Küstlerin Maria NIFI Xerisoti am Samstag von 15 bis 19 Uhr und Sonntag von 14 bis 18 Uhr im Freizeithaus Kirchdorf-Süd ausstellt. Ihre Bilder zeigen Paare, die aus unterschiedlichen Ländern stammen. „Ich wollte ein Projekt zur Völkerverständigung machen“, erläutert die Fotokünstlerin. Weil es ihr wichtig war, Frauen und Männer aus verschiedenen Quartieren zu zeigen, durchstreifte sie mehr als 30 Hamburger Stadtteile und lernte dabei viele aufgeschlossene Menschen kennen. „Ich möchte in erster Linie, dass meine Fotografien als Porträts von Liebenden, Mann-Frau, Frau-Frau, Mann-Mann, gesehen werden“, sagt Maria NIFI Xerisoti. „Zum Glück kennt wahre Liebe keine Grenzen. Man verliebt sich eben in einen Menschen, da ist nicht die erste Frage, woher er oder sie kommt.“ Eine binationale Beziehung habe aber noch etwas besonderes an sich: „Paare unterschiedlicher Herkunft müssen offener, toleranter und respektvoller miteinander umgehen, sonst klappt es mit der Beziehung nicht“, sagt die Künstlerin. „Die Bereitschaft, die Sprache des Anderen zu verstehen und zu sprechen, ist eine der größten Herausforderungen.“

Die Fotokünstlerin weiß, wovon sie spricht: Auch sie und ihr Mann stammen aus verschiedenen Ländern. Dass ihr Partner nicht nur sie, sondern auch die Kultur ihrer Heimat verstehe, sei ihr immer wichtig gewesen, sagt Maria NIFI Xerisoti. Sie findet:„Die Herkunft eines Menschen sollte immer eine Rolle spielen.“ Alles andere wäre ihrer Ansicht nach fatal. „Das hieße doch, dass einer der beiden die Identität aufgeben müsste.“ Kulturen sollten sich nicht ausschließen, sondern einander bereichern. Deswegen sei es wichtig, dass Menschen sich für das Andere und Andersartige interessieren. Die Fotos ihres Projekts „Grenzenlose Liebe“ zeigen Menschen, die dank dieser Offenheit ihr Glück gefunden haben. Nicht nur in der Liebe lohnt sich die Neugier auf das Fremde, sagt Maria NIFI Xerisoti. Schon ein Ausflug nach Wilhelmsburg sei für viele Hamburger eine Reise ins Unbekannte – und daher umso interessanter, findet die Künstlerin. „Es ärgert mich, wenn ich von einheimischen Hamburgern hören muss, dass sie nie dort waren und nicht das geringste Interesse haben, diesen für sie unbekannten Ort zu erkunden.“ Für Maria NIFI Xerisoti ist Wilhelmsburg inzwischen ein Stadtteil, in den sie immer wieder gerne zurückkehrt – auch wenn sie nicht von der Insel stammt.

von Annabel Trautwein

 

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Tipp:

Maria NIFI Xerisoti möchte ihr Projekt „Grenzenlose Liebe“ auf ganz Hamburg und später auf ganz Deutschland ausweiten. Dazu sucht sie Paare insbesondere aus Wilhelmsburg, der Veddel und Harburg, die Lust haben, sich von ihr Fotografieren zu lassen. Weitere Infos gibt es im Internet unter www.grenzenlose-liebe.de.


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