Lampedusa in Wilhelmsburg

Recht und Ordnung: Was der Hamburger Senat darunter versteht, hat Mohammed Bansse am 12. Oktober erlebt. Vor dem Hauptbahnhof wurde er von Polizisten festgenommen und zur Wache gebracht, ohne Begründung. Seinen Anwalt anrufen durfte er nicht. „Sie haben mein Telefon genommen und ausgeschaltet“, erzählt der Mann von der Elfenbeinküste. Dann sollte er ein Dokument unterschreiben, das er nicht lesen konnte. „Das sind deine deutschen Dokumente“, sagte die Polizei. Mohammed Bansse weigerte sich. Als er sich auch sträubte, fotografiert zu werden, kopierten die Beamten die Papiere, die ihm die italienischen Behörden gegeben hatten. Elf Stunden hielten sie ihn fest, dann brachten sie ihn mit anderen Afrikanern zur erkennungsdienstlichen Behandlung, maßen seine Körpergröße, nahmen seinen Fingerabdruck. „Danach wurden wir freigelassen“, erzählt Mohammed Bansse am Montagabend im Wilhelmsburger Infoladen.

Die Geschichte ist eine von vielen, die seit dem 11. Oktober nahezu täglich Menschen auf Hamburgs Straßen treibt. Auch in Wilhelmsburg regt sich Protest und Solidarität mit den Afrikanerinnen und Afrikanern, die in Hamburg um Bleiberecht und Arbeitserlaubnis kämpfen. Was trieb die Menschen zur Flucht übers Mittelmeer? Wie kamen sie nach Hamburg und zur Kirche auf St. Pauli? Was geschah bei den Polizeikontrollen und wie geht es nun weiter? Das wollten die rund 30 Menschen, die sich am Montagabend in den Infoladen an der Fährstraße drängten, von den Betroffenen direkt erfahren. Mohammed Bansse, Alason Ali und Michel Yao kamen auf die Elbinsel, um davon zu erzählen.

Eingesperrt ohne erkennbaren Grund

„Ich persönlich wurde am Samstag um elf Uhr festgenommen“, berichtet Alason Ali. Er habe seine Papiere gezeigt – die italienischen Dokumente, mit denen er aus Lampedusa fortgeschickt worden war. Die Papiere seien in Ordnung, habe der Polizist gesagt. Trotzdem wurde der Afrikaner mitgenommen. Auf der Wache musste er sich ausziehen, die Polizisten nahmen ihm ab, was er bei sich trug und sperrten ihn in eine Zelle. „Von 11 Uhr bis 18.30 Uhr wurde ich dort festgehalten“, sagt Alason Ali. Am selben Tag seien etwa zehn Menschen festgenommen worden, mussten ihre Fingerabdrücke abgeben und erhielten die Anweisung, sich mit ihren Papieren bei der Ausländerbehörde zu melden. „Die Situation war chaotisch für uns“, erzählt Ali. „Wir haben den Krieg erlebt, wir haben die Flucht erlebt. Wir waren wirklich traumatisiert.“

Der Krieg in Libyen – damit fängt die Fluchtgeschichte vieler Afrikanerinnen und Afrikaner an, die über das Mittelmeer nach Europa kamen. Die drei Männer, die im Infoladen an der Fährstraße ihre Geschichte erzählen, erlebten ihn als Arbeitsmigranten aus nächster Nähe. Alason Ali stammt aus Niger, einem Land in Westafrika, das zu den ärmsten der Welt zählt. Das Nachbarland Burkina Faso, die Heimat von Mohammed Bansse, ist zudem hoch verschuldet. An der Elfenbeinküste, wo die Familie von Michel Yao lebt, herrscht seit 2002 Krieg. Alle drei Länder waren bis 1960 Kolonien Frankreichs. „Nur in Libyen gab es Aussicht auf Arbeit“, sagt Michel Yao. Viele dunkelhäutige Afrikaner zogen dorthin, um Geld für sich und ihre Familien in der Heimat zu verdienen. Doch als in Libyen der Bürgerkrieg gegen Gaddafis Regime ausbrach, traf die Not die Einwanderer am härtesten. Alason Ali berichtet von Bomben, die wenige Meter von ihm einschlugen und alles in Brand setzten, von Hetzjagden auf Schwarze und Fluchthelfer, die nur Menschen mit heller Haut annahmen. Erst als die Bombardements der Nato anfingen, hätten die Schlepper auch Dunkelhäutige mitgenommen. Gepäck und persönliche Gegenstände mussten sie abgeben. „Wir hatten nichts mehr“, erzählt er.

Filmaufnahmen dokumentieren die Flucht übers Meer

Ein wackliger Film, mit einer Handykamera aufgenommen, bringt die Bilder aus dem Cockpit eines der Boote auf die Leinwand im Infoladen. Schweigend kauern die Menschen nebeneinander, manche haben Kleidung auf dem Kopf zum Schutz gegen die Sonne, einige liegen am Boden. Ringsherum nichts als Wasser. „Das ist die Situation, die wir alle erlebt haben“, sagt Alason Ali. Er erzählt, von dem Gefühl, Orientierung und Hoffnung zu verlieren und die Familien zu Hause im Stich gelassen zu haben. „Ich hätte nicht gedacht, dass wir es schaffen“, sagt er. Sie landeten in einem Camp in Lampedusa, wo die italienischen Behörden sie mit Papieren für den Schengenraum ausstatteten und nach Hamburg verfrachteten. Zuerst seien sie im Winternotprogramm untergekommen, erzählt Alason Ali. Als die Container zumachten, schlug er sein Lager in der Europapassage auf. Mohammed Bansse kam mit 24 anderen Geflüchteten am Rödingsmarkt unter, wurde jedoch bald von der Polizei weggeschickt. Damals sei die Idee entstanden, die Gruppe Lampedusa in Hamburg zu gründen, sagt Bansse.

„Wir haben nicht den NATO-Krieg in Libyen überlebt, um auf Hamburgs Straßen zu sterben“ – mit dieser Ansage, dreisprachig aufgedruckt auf ein rotes Banner, prescht im Mai 2013 eine Gruppe von Geflüchteten über den Rathausmarkt. Es ist ein ungewohntes Bild für Hamburg: Hunderte von dunkelhäutigen Männern und Frauen demonstrieren in den Shoppingmeilen der Innenstadt für ihre Rechte. Am Rathaus drängt die Gruppe ins Foyer, vorbei an einem Polizeibeamten, und verlangt ein Gespräch mit dem Bürgermeister. Olaf Scholz geht nicht darauf ein, die Gruppe Lampedusa in Hamburg aber hat es in die Öffentlichkeit geschafft. Schließlich nimmt die St. Pauli-Kirche sie auf, gibt der Gruppe Obdach und kümmert sich um finanzielle und rechtliche Unterstützung. Als Anfang Oktober der Tod von Hunderten von Männern, Frauen und Kindern vor der Küste Lampedusas die europäischen Medien aufschreckte, hätten viele Geflüchtete auf Unterstützung der deutschen Behörden gehofft, sagt Alason Ali. Drei Tage später begann die Hamburger Polizei mit den Kontrollen von dunkelhäutigen Menschen auf St. Pauli.

Kontrollen gestoppt

„Wir sehen sie jetzt nicht mehr“, sagt Alason Ali. Dank der Solidarität vieler Menschen in Hamburg hätten die Kontrollen aufgehört. Wie geht es nun weiter? Die Gruppe Lampedusa in Hamburg verhandelt mit dem Senat. Er sei froh über die Gesprächsbereitschaft der Stadt, sagt Alason Ali. „Aber ihre Bedingungen passen uns nicht.“ Der Senat wolle ihnen eine Aufenthaltserlaubnis über sechs Monate geben, einschließlich Unterkunft und 350 Euro pro Monat. Danach solle in Einzelfallprüfungen entschieden werden, ob die Menschen bleiben dürften oder nicht. Doch die Gruppe wolle keine Wohnungen und kein Geld, sagt Alason Ali. „Wir verlangen nur das Recht zu arbeiten.“ Dieses Recht soll für alle gelten. „Wir sind eine Gruppe. Es ist ungerecht, wenn manche arbeiten dürfen und manche nicht.“ Alle europäischen Staaten hätten sich an den Bombardements auf Libyen beteiligt, sagt Alason Ali – deshalb seien sie alle in der moralischen Pflicht, den Geflüchteten das Recht auf Arbeit einzuräumen. „Wir haben Kinder, Mütter und Väter, die wir unterstützen müssen“, sagt der Nigrer. Hamburg habe die Macht und die Mittel, der Gruppe zu helfen – etwa mit dem Paragraphen 23 des Aufenthaltsgesetzes, der den Landesbehörden erlaubt, bestimmte Gruppen das Bleiberecht zu gewähren.

Am kommenden Samstag will die Gruppe Lampedusa in Hamburg mit Tausenden Unterstützerinnen und Unterstützern für dieses Recht auf die Straße gehen. „Ich wünsche mir, das jeder mit vier oder fünf Freunden kommt, wenn es geht“, sagt Alason Ali. „Die Demonstrationen helfen uns sehr, präsent zu bleiben.“ Aufmerksamkeit und Solidarität – das ist die Antwort der drei Männer im Infoladen, als sich die dort versammelten Leute erkundigen, wie sie helfen können. Neben der bundesweiten Demonstration am Samstag gibt es auch jeden Mittwoch von 16.30 bis 18 Uhr Protestzüge am Steindamm. Dort steht auch ein Zelt mit Informationsmaterial, Plakaten und Flyern, das rund um die Uhr offen ist. „Wir werden nie aufhören, den Menschen für ihre Solidarität zu danken“, sagt Alason Ali. „Ihr seid hier unsere Familie.“

von Annabel Trautwein

 

[fb_button] [tweetbutton]

 

Tipp:

Der Dokumentarfilm „Lampedusa auf St. Pauli“ ist bald im mobilen Kino des Vereins Insel-Lichtspiele zu sehen. Der Film beginnt am Sonntag, 10. November, um 17 Uhr in der Emmaus-Kirche (Rotenhäuser Damm 11) . Der Einlass beginnt um 16 Uhr. Anschließend ist ein Gespräch mit Menschen aus der St. Pauli-Kirche, Unterstützerinnen und Unterstützern und dem Regisseur Rasmus Gerlach geplant. Der Eintritt ist frei.


Beitrag veröffentlicht

in

von

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert