Ist es eine Sünde, wenn eine Muslima einen Christen heiratet? In der Ayasofya Camii ist der interkulturelle Dialog am Tag der offenen Moschee schon am frühen Nachmittag in vollem Gang. Ein deutsch-türkisches Paar ist zu Gast und berichtet von einer muslimischen Bekannten, die wegen ihres andersgläubigen Ehemanns von der Mutter drangsaliert wurde. Hatte die Mutter aus islamischer Sicht Recht? Das wollen die beiden sich nun von einem Imam erklären lassen.
„Wenn sie sich bewusst entschieden hat, ist es in dem Moment eine Sünde“, antwortet Mehmet Enes Nas mit Hilfe seines Dolmetschers Fatih Demir. So seien die religiösen Regeln, die Frau werde sich dafür rechtfertigen müssen – vor Gott, aber keinesfalls vor der Mutter. Die beiden Gäste bleiben skeptisch. Auch dass Glaube und Seelenheil der Kinder nach islamischem Verständnis vom Glauben des Vaters abhängen, überzeugt sie nicht. Der Einfluss der Mutter sei doch in der Regel viel bedeutender. „Richtig!“, meint Leyla Bozkaya von der Ayasofya Frauengemeinde und fällt dem Imam ins Wort. Es sei aber auch nicht gerade islamisches Ideal, wenn Männer ihre Frauen mit der Erziehung allein ließen. Fazit: Es läuft nicht alles so, wie der Prophet Mohammed es gelehrt hat. Die religiösen Regeln in den Wind zu schreiben kommt für die Muslime am Tisch trotzdem nicht in Frage.
"Esset, trinket, aber verschwendet nicht"
Während die Botschafterinnen und Botschafter der Gemeinde sich bei Tee und Gebäck mit ihren Gästen unterhalten, senken einige Männer zum verspäteten Mittagsgebet die Stirn auf den weichen Teppich. Am Tag der offenen Moschee hat hier beides nebeneinander Platz: Hingabe an Allah und kritische Fragen zum Islam. Die Ayasofya Gemeinde ist darauf eingestellt. Plakate, die die islamische Haltung zu Themen wie Demokratie oder Frauenrechten erläutern sollen, schmücken den Raum wie eine Galerie des Glaubens. Eine Wand ist dem Umweltschutz gewidmet, dem diesjährigen Motto zum Tag der offenen Moschee. Den Muslimen ist das ein wichtiges Anliegen, wie Fatih Demir erklärt. Der Grundsatz „Esset, trinket, aber verschwendet nicht“ sei heute mindestens so aktuell wie zu Zeiten des Propheten. Prompt erklingt Vogelgezwitscher – das Handy des Imams.
Die Glaubensbrüder der Yeni Camii an der Korallusstraße hat es derweil ins Freie gezogen. Bis 14 Uhr warteten die Muslime auf Gäste, dann zogen sie zum Fußballspielen auf den benachbarten Bolzplatz um. Als sich doch noch Besuch einstellt, ist Imam Necmettin Köksal sofort zur Stelle. Die großen Moscheen seien am 3. Oktober immer besser besucht, erklärt Murat Oncü, der für ihn übersetzt. Die Yeni Camii ist die kleinste in Wilhelmsburg. Der Gebetsraum, ein schlichtes Zimmer mit Raufasertapete und Neonlicht, bietet nicht einmal für die Hälfte der Gemeinde Platz. 185 Personen seien offiziell Mitglied, sagt Necmettin Köksal. Wie viele zum Freitagsgebet kommen, hänge auch vom Wetter ab: Wenn es nicht regnet, beten zusätzlich zu rund 60 Gläubigen drinnen bis zu 50 Menschen draußen zwischen den Hochhäusern. Zum Tag der offenen Moschee lädt die Gemeinde trotzdem ein, schließlich sei ihr der Austausch mit anderen Religionen wichtig. „Toleranz – das brauchen wir“, sagt der Imam.
Beim islamischen Bildungszentrum Said-i Nursi im Eckhaus zwischen Veringstraße und Rotenhäuser Straße ist die Tür geschlossen. Der Tag der offenen Moschee ist hier ein Tag wie jeder andere, zumal die Gemeinde zu keinem der vier Dachverbände gehört, die ihn veranstalten. Trotzdem heißen die Muslime dort Besucher willkommen. „Die Moschee ist absolut offen“, sagt ein Mitglied der Gemeinde. Etwa zehn Leute seien schon da gewesen, eine einzelne Dame, ein Grüppchen Studenten und einige aus der Nachbarschaft. Der junge Mann empfängt den Besuch in einer Mischung aus Café und Klassenzimmer, wo sich einige Männer zum Tee treffen und sonst Freizeitprogramm und Unterricht für Kinder angeboten wird. Der Gebetsraum, ein schlichter Saal mit Folie auf den Fensterscheiben, liegt nebenan. „Das ist hier viel mehr als eine Moschee“, sagt er. Die Gemeinde sei vor allem aus der Sehnsucht nach kultureller Heimat entstanden: Die Mitglieder sind überwiegend Zaza, eine Volksgruppe aus dem Osten Anatoliens. Die islamische Gemeinde in Wilhelmsburg zählt etwa 50 offizielle Mitglieder, zum Freitagsgebet kommen mehr als doppelt so viele. „Die Moschee wird voll“, sagt das Gemeindemitglied.
Freude in der Muradiye Camii: Der neue Imam ist da
Vor dem Gebetshaus der Muradiye Moschee an der Eckermannstraße heißt ein großes Transparent die Gäste zum Tag der offenen Moschee willkommen. Etwa 20 Leute seien gekommen, sagt der Gemeindevorsitzende Ishak Kocaman. Aufgeregt ist er aus einem anderen Grund: Vor wenigen Stunden ist Ibrahim Akbulut, der neue Imam, aus der Türkei eingetroffen. Er soll noch am selben Tag in das Gemeindehaus einziehen. Zwei Monate lang haben Kocaman und seine Glaubensgenossen die Wohnung für den Hoca renoviert, nachdem dessen Vorgänger kurz nach dem Ramadan seine fünfjährige Dienstzeit in Wilhelmsburg beendet hatte. Die Zeit ohne Imam sei anstrengend gewesen, sagt Ishak Kocaman. Nun hofft er, dass vor allem die Jugendarbeit der Gemeinde Fahrt aufnimmt. Um Platz für junge Leute zu schaffen, wollen die Muslime ihr Gebetshaus, das früher eine Kirche war, erweitern. „Wir haben eine schöne Moschee“, sagt der Vorsitzende. Beim Freitagsgebet biete sie etwa 400 Menschen Platz. Auch Nicht-Muslime seien jederzeit willkommen. „Es gibt viele Tage der offenen Tür hier“, sagt Ishak Kocaman.
Mehr Platz wünschen sich auch die Musliminnen und Muslime der Fatih Moschee am Rotenhäuser Damm. Derzeit beten sie in einem ehemaligen Wohnhaus, statt einem großen Gebetsraum gibt es viele kleine Zimmer. Zum Freitagsgebet sei das komplette Obergeschoss voll, sagt Imam Ahmet Yasar. An Feiertagen reicht der Platz nicht, dann weichen die rund 200 Muslime auf das Nachbarhaus aus, das ebenfalls der Gemeinde gehört. Auch am 3. Oktober hatte die Fatih Gemeinde Zulauf: Etwa 50 Personen waren bis zum Abendgebet da, um sich durch das Gebäude führen zu lassen. Der Tag der offenen Moschee sei unheimlich wichtig, sagt der Imam. Auch wenn die Fatih Gemeinde von 1976 die älteste in Wilhelmsburg sei – die Scheu vor der fremden Religion müssten viele erst überwinden. „Hier in Wilhelmsburg ist das Gott sei Dank anders“, meint Ahmet Yasar.
von Annabel Trautwein
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