Die Sozialberatungsstelle für Migranten im Rathaus Wilhelmsburg soll bleiben – dafür sind am Montag viele Menschen auf die Straße gegangen. Nach einer Kundgebung vor dem Rathaus zogen sie in einer spontanen Demonstration zur Regionalstelle des Jugend- und Sozialdezernats. Dort erklärte ein Teil der Gruppe dem Regionalleiter Martin Kloszowski, was die Bedürftigen vor seiner Tür forderten: Weitermachen mit der allgemeinen Sozialberatung im Rathaus Wilhelmsburg – und zwar für alle Menschen ausländischer Herkunft. Welche Behörde die Stelle schafft, sei völlig egal, sagen die Betroffenen. Hauptsache, sie bekommen auch in Zukunft eine verständliche Antwort auf lebenswichtige Fragen.
„Schluss mit der Ausgrenzung, Diskriminierung und Benachteiligung von hilfebedürftigen Menschen!“ Mit Protestschildern und einer Kundgebung vor dem Rathaus machten viele Männer und Frauen ihre Kritik deutlich. Sie forderten: „Kein weiterer Stellenabbau im ASD-Wilhelmsburg!“ Der Stadt Hamburg warfen sie vor, für Prestigeprojekte wie IBA und igs Millionen auszugeben, gleichzeitig aber die Sozialberatung für Migranten einzusparen. „Wir fordern ASD auf, Hasan Cinar wieder im Rathaus Wilhelmsburg als Berater einzusetzen“, hielten die Bedürftigen dagegen. Der Allgemeine Soziale Dienst (ASD) müsse sich nach dem richten, was die Menschen im Stadtteil brauchen – und nicht danach, welche Behörde wie viel Geld einsparen soll.
Beratung in allen Fragen des Alltags
Wer hilft, wenn die Rente nicht reicht? Welche Pflichten hat ein Vermieter? Was tun, wenn ein Kind auf die schiefe Bahn gerät? Mit all diesen Sorgen konnten sich Menschen in Wilhelmsburg bisher an Hasan Cinar wenden. Der Sozialberater half Menschen ausländischer Herkunft, mit dem Alltag und den Behörden in Deutschland fertig zu werden. Hunderte von Bedürftigen vertrauen auf seinen Rat. Doch das Bezirksamt hat beschlossen, die Stelle ohne Ersatz zu streichen. Hasan Cinar, der offiziell beim Jugendamt arbeitet, soll sich um andere Dinge kümmern. Die Not der Bedürftigen sollen andere Beratungsstellen im Stadtteil auffangen.
„Die Sozialberatungsstellen von der BI-Wilhelmsburg und Verikom-Wilhelmsburg sind hoffnungslos überfüllt und überlaufen“, kritisierte Sibel Karasu als Sprecherin der Demonstranten. Durch ein Megafon las sie die Erklärung der Protestgruppe vor. Hasan Cinar stehe den bedürftigen Menschen im Stadtteil seit mehr als 25 Jahren zur Seite. Auch wegen seiner Hilfsbereitschaft außerhalb der Dienstzeit werde er sehr geschätzt und respektiert. Als mehrsprachiger Berater unter demselben Dach wie Jobcenter und Ortsamt konnte er bei Problemen mit Behörden schnell, kostenlos und unkompliziert helfen. „Gerade dem Stadtteil Wilhelmsburg, in dem sehr viele Bürger mit Migrationshintergrund, aber auch sehr viele inzwischen Eingebürgerte leben, darf diese außerordentlich wichtige Dienstleistung nicht vorenthalten werden“, erklärte Sibel Karasu von der Alevitischen Gemeinde, die die Aktion zugunsten ihrer Wilhelmsburger Mitglieder unterstützte. Ihr Mitstreiter Mustafa Kilic, der selbst von Geburt an blind ist, betonte zudem die Bedeutung der Sozialberatungsstelle für Menschen mit Behinderung. Auch sie hätten darunter zu leiden, wenn die Stelle ersatzlos gestrichen werde.
Spontaner Protestzug zur Behörde
Obwohl nur eine Kundgebung vor dem Rathaus angemeldet war, zogen kurz darauf 80 bis 100 Menschen über die Mengestraße und die Georg-Wilhelm-Straße bis vor die Tür des Jugend- und Sozialdezernats für Wilhelmsburg und die Veddel. Begleitet wurde der Zug von zwei Polizeibeamten auf Fahrrädern und einem Streifenwagen, den der Polizist Jens-Peter Flügger extra angefordert hatte, um die spontane Demo zu ermöglichen. Vor der Behörde am Reinstorfweg verlasen die Aktivistinnen und Aktivisten erneut ihre Erklärung, dann suchten sie den Regionalleiter des Fachamts für Jugend- und Familienhilfe, Martin Kloszowski auf.
„Viele Menschen in Wilhelmsburg fühlen sich sehr benachteiligt und ausgegrenzt“, erläuterte Hasan Erkan im Namen der Bedürftigen. Dass die Stelle im Rathaus gestrichen werde, sei für sie unverständlich – zumal das Jugendamt die Beratung in ihrer bisherigen Form ja fast 26 Jahre lang ermöglicht habe. „Sie fragen mich als Leiter dieser Stelle. Da kann ich nur sagen: Ich bin formal nicht zuständig“, antwortete Martin Kloszowski, der nach seiner Mittagspause von der Demonstration überrascht worden war. „Für unseren Zuständigkeitsbereich bieten wir Beratung an“, sagte er. Auch die geplante Stelle zur Erziehungsberatung in türkischer Sprache könne aller Voraussicht nach zum 1. Januar 2014 starten. „Dass es darüber hinaus Bedarfe gibt, muss benannt werden. Aber ich bin da der falsche Ansprechpartner“, sagte der Regionalleiter. Es sei auch nicht seine Entscheidung gewesen, die Stelle zu streichen. Er habe nur dem Bezirksamt Auskunft gegeben, ob das Jugendamt auf die Arbeit von Hasan Cinar in der bisherigen Form angewiesen sei.
Damit wollten sich die Aktivisten nicht zufrieden geben. „Wie die Behörden das unter sich klären, ist Sache der Politik“, sagte Hasan Erkan. Das Angebot müsse sich nach dem Bedarf im Stadtteil richten. Außerdem nütze die Jugendhilfe wenig, wenn nicht auch die Erwachsenen in bedürftigen Familien Hilfe bekämen. Die vorhandenen Sozialberatungsstellen in Wilhelmsburg seien mehr als ausgelastet. „Die Menschen können nicht einmal einen Sitzplatz finden“, sagte Hasan Erkan, der selbst als Sozialberater bei Verikom arbeitet. Die Gruppe habe bereits mehr als 800 Unterschriften für den Erhalt der Stelle gesammelt, einen Antrag beim Petitionsausschuss der Bürgerschaft eingereicht und dem Bezirksamt Mitte ihre Forderungen geschickt. „Wir wollen ihre Unterstützung dabei. Als Fachmensch erwarten wir von Ihnen auch, dass Sie sich dafür einsetzen“, machte Hasan Cinar deutlich. Das werde er, versprach Martin Kloszowski – auch wenn er selbst seinen Einfluss geringer einschätzte als die Aktivisten. Am kommenden Mittwoch treffe er sich mit seinem Chef, dem Leiter des Jugendamtes, zur Leitungsrunde. Dort werde er das Anliegen der Aktivistinnen und Aktivisten ansprechen. „Grundsätzlich finde ich das Anliegen absolut berechtigt“, sagte der Regionalleiter.
von Annabel Trautwein
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