Dicke Luft im Reiherstiegviertel: Zank um Gestank geht weiter

Die Menschen im östlichen Reiherstiegviertel können vorerst wieder aufatmen: Der Gestank, der aus der Umgebung der Nordischen Oelwerke durchs Quartier gezogen ist, hat sich etwas gelegt. Zuvor hatten sich Anwohner aus der Veringstraße beschwert – der Geruch sei so extrem, dass das Lüften ihrer Wohnung unmöglich werde. Ein ganz anderes Bild der Lage zeichnen die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) und die Nordischen Oelwerke (NOW): Sie sehen keinen Grund für dicke Luft in der Nachbarschaft.

Tagelang blieben bei Sabine U. in der Veringstraße alle Fenster zu – lüften sei gerade nicht möglich, berichtete sie im Stadtteilbeirat. „Wenn man den Geruch erst einmal in der Wohnung hat, geht der nicht wieder raus.“ Seit mehr als 10 Jahren lebt die Wilhelmsburgerin in Sichtweite zu den Nordischen Oelwerken am Veringkanal. „Wir wussten um die Fabrik, als wir eingezogen sind“, sagt sie. Unangenehme Gerüche vom anderen Kanalufer habe sie damals nur selten wahrgenommen. Inzwischen aber hat sich die süßlich-gallige Abluft der Fabrik für sie und viele Nachbarn zum Dauerproblem entwickelt. Immer wieder werden Proteste laut, einige Anwohner klagten sogar vor Gericht. Die Facebook-Gruppe „Uns stinkt's mit den Nordischen Ölwerken“ zählt 158 Mitglieder. Seit Jahren prüfen und protokollieren die Behörden, auf den Tagesordnungen von politischen Stadtteilgruppen ist der Gestank ein wiederkehrendes Thema. „Aber so extrem wie neulich hat es noch nie gestunken“, sagt Sabine U. aus der Veringstraße. Bis zum Vogelhüttendeich strömte der Gestank.

Wie kam es dazu? Christian Halfmann von den Nordischen Oelwerken hat keine Erklärung. „Wir haben an unseren Produktionsprozessen nichts geändert“, sagte er auf Nachfrage von WilhelmsburgOnline.de anlässlich der neuesten Beschwerden. Die NOW würden zu Unrecht beschuldigt, meint der Geschäftsleiter. Die Glycerin- und Fettsäuren-Produktion sei nicht der einzige Betrieb in Wilhelmsburg, der unangenehme Abluft verbreitet. Zudem würde die Fabrik im Vier-Wochen-Takt von verschiedenen Behörden kontrolliert und lege jedes Mal, wenn es Beschwerden gebe, Messdaten über Windrichtung, Windstärke, Produktionszeiten und -Materialien bei der BSU vor. Am 12. Dezember habe es die letzte Kontrolle gegeben.

Widersprüche und unkonkrete Aussagen

„Wir sind keine Parfümerie“, sagt Christian Halfmann. Eine „Katzenkocherei“, wie die Fabrik im Stadtteil oft genannt wird, seien die Nordischen Oelwerke aber erst Recht nicht. „Es sind bei uns noch nie Tierkadaver verarbeitet worden“, sagt der Geschäftsleiter. Dass in der Fabrik am Veringkanal tote Tiere ausgekocht würden, sei ein Gerücht, das sich hartnäckig halte. Früher habe der Betrieb tierische Fette als Rohstoffe verwendet heute stelle er ausschließlich Glycerin und Fettsäuren aus pflanzlichen Rohstoffen her. Die Internetseite der Nordischen Oelwerke dagegen widerspricht dieser Darstellung. Dort heißt es: „Tierische Fette werden aus Rindern, Schafen und Schweinen gewonnen. Diese Rohstoffe werden durch NOW weiterverarbeitet, aufgespalten und destilliert.“

Dass die Produktion am Veringkanal regelmäßig kontrolliert wird, stimmt nach Angaben der BSU. Die Aussage des NOW-Geschäftsleiters, dass das im Vier-Wochen-Takt geschehe, erscheint der Behörde jedoch „viel zu hoch angesetzt“, wie Sprecher Volker Dumann auf Nachfrage von WilhelmsburgOnline.de mitteilt. „Unsere BSU-Expertin ist routinemäßig mindestens einmal pro Jahr persönlich vor Ort, bei besonderen Anlässen natürlich auch öfter“, schreibt er. Darüber hinaus äußert der Sprecher nur wenig konkretes: „In ähnlichen Abständen dürfte das Amt für Arbeitsschutz bei den NOW sein, und eventuell kommt auch der Bezirk mit Anliegen zum Thema Gewerbe.“ Wer wann was genau überprüft, könne der Betrieb selbst besser sagen, teilt der BSU-Sprecher mit. Das gleiche sagt Christian Halfmann von den Nordischen Oelwerken über die BSU.

BSU: Beschwerden nehmen ab

Laut Stadtentwicklungsbehörde ist die Geruchsbelastung der Nachbarschaft durch die Fabrik aber ohnehin zurückgegangen. Sprecher Volker Dumann führt das zurück auf die Zahl der Beschwerden: 2011 hätten sich 61 Mal Leute aus dem Stadtteil beklagt, 2012 seien es 17 Beschwerden gewesen und 2013 – bis zum 23. Dezember – neun. Ob die Messdaten aus den Kontrollen der Fabrik dasselbe Bild Zeichnen, ließ er offen. Um die Situation der Nachbarinnen und Nachbarn zu verbessern, habe die BSU Ende 2012 Maßnahmen angeordnet, die ihrem Sprecher zufolge „mit Sicherheit zu weniger Geruchsbelästigungen führen werden“. Die Nordischen Oelwerke sollten ein Tankfeld modernisieren und die Fettspalt- sowie die Abwasseranlage auf den neuesten Stand bringen. Ob das bereits geschehen ist und geholfen hat, ließ der BSU-Sprecher ebenfalls offen.

Dauerhafte Linderung stellt Anwohnerin Sabine U. noch nicht fest. „Es bleibt ein Glücksspiel“, sagt sie. Zweifel, ob die Nordischen Oelwerke die Geruchsquelle sind, hat sie keine. „Wir können schon sehr genau unterscheiden, ob es die Ölfabrik unter der Köhlbrandbrücke ist oder die NOW“, sagt sie. Der Geruch der Oelwerke sei unverkennbar. „Wenn man am Kanal spazieren geht, ist es noch mal heftiger. Von diesem Geruch kann einem echt schlecht werden.“ Vorerst kann Sabine U. aufatmen: Kurz vor Weihnachten hat sich der Gestank wieder gelegt. „Hoffen wir mal, dass das so bleibt“, sagt die Wilhelmsburgerin.

von Annabel Trautwein

 

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Kommentare

3 Antworten zu „Dicke Luft im Reiherstiegviertel: Zank um Gestank geht weiter“

  1. Avatar von Manuel Humburg

    In der Tat stellt sich die Frage: WIE WOHNVERTRÄGLICH SIND DIE NORDISCHEN ÖLWERKE? Bei einem "Pegelstand Elbinsel" am 22.9.2011 haben wir uns mit diesem Thema ausführlicher befasst.Fotos und zahlreiche Dokumente: http://forum-wilhelmsburg.de/wie-wohnvertraeglich-sind-die-nordischen-oelwerke/ Nach den Kriterien der GIRL (Geruchs Immissions Richt Linie) werden im Wilhelmsburger Westen die Geruchs-Grenzwerte für Wohnungsbau mindestens um das 2 fache, teilweise das 5 fache überschritten. Überwacht und genehmigt von "Amt für Immissionsschutz und Betriebe" in der BSU wurden von den Nordischen Oelwerken (NOW) 2011 umfangreiche Modernisierungs-und Sanierungsmaßnahmen durchgeführt. Im Auftrag der NOW  hat der TÜV die Wirksamkeit der Maßnahmen bewertet: Bei konsequenter Umsetzung sei mit einem Rückgang der Geruchs – EMISSIONEN um 55% zu rechnen. Das wesentliche Kriterium der Geruchsbelästigung ist gemäß GIRL aber die IMMISSIONSSEITE. Diese nimmt laut TÜV “nicht im gleichen Maße ab“. “Im Nahbereich der NOW ist der Transportweg … zu den Immisionsorten zu gering, um die Geruchsemissionen bis unter die Geruchsschwelle zu verdünnen. An weiter entfernten Orten …. dagegen “ergibt sich eine geringere Geruchsbelastung im Sinne der GIRL” (TÜV-Gutachten 2011) Ein weiteres Problem ist die EXPLOSIONSGEFAHR. Die Wohnhäuser in der Veringstraße sind nur 150 Meter von den Tanks entfernt. Wer erinnert sich noch an die "gewaltige Explosion" am 30.7.2001, als ein Tank mit Glycerin in die Luft flog? Die Halle stand in Flammen. Die größte Sorge der 60 Feuerwehrleute im Einsatz war: "In unmittelbarer Nähe stehen noch andere Tanks, gefüllt mit einer hochexplosiven Flüssigkeit. Jede Sekunde kann alles in die Luft fliegen" (berichtet das Hamburger Abendblatt) Für die Hafencity  wurde die Kaffeerösterei kurzerhand weit in den westlichen Hafen verlagert. Dafür hat Hamburg 50 Millionen in die Hand genommen.        

  2. Avatar von Michael Rothschuh
    Michael Rothschuh

    Danke für den gut recherchierten Bericht. Wichtig ist für die BewohnerInnen: Die Lage wird daran gemessen, ob und in welcher Häufigkeit Beschwerden eingehen. Also: nicht einfach resignieren, sondern sich immer wieder beschweren, wenn es stinkt. Dann gibt es mehr Chancen, dass es auch politisch als Problem gesehen wird.

    1. Avatar von Nina Klütz
      Nina Klütz

      Ja, dem kann ich nur zustimmen. Man darf sich nicht einfach mit den Gegebenheiten abfinden. Je mehr Menschen sich beschweren, desto größer wird der Druck auf Politiker und Behörden, etwas zu unternehmen. Eine Freundin zog vor kurzem an den Veringkanal und fühlt sich mittlerweile so belästigt durch den Geruch, dass sie überlegt, dort wieder wegzuziehen! Und ich kann dies nur bestätigen…Ich selbst wohne zwar auf der Veddel, wo mir des öfteren der Kakaogeruch um die Nase weht, aber dieser Geruch ist harmlos gegen den wiederlichen Gestank, der mir oft bei Spaziergängen am Veringkanal entgegenschlägt!! Widerspricht das nicht der von der Stadt so viel beschworenen Aufwertung des Wohnquartiers Reiherstieg?!!

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