Sonntagmorgens über den Flohmarkt auf dem Stübenplatz schlendern, alte Schätze bewundern oder ein Schnäppchen schießen – darauf freuen sich viele Menschen auf der Insel. Von April bis November bauen dort Privatleute ihre Stände auf und bieten ausgemustertes Geschirr, getragene Kleidung, selbst gekochte Marmelade, gebrauchte Geräte oder Spielzeug zum Kauf an. „Die Leute haben schon gefragt, wann es nächstes Jahr wieder losgeht“, sagt Gudrun Toporan-Schmidt vom Team der Tafel, die den Flohmarkt organisiert. Doch nun ist die Frage, ob es überhaupt wieder losgeht. Der Bezirk will den Flohmarkt nicht mehr zulassen. Laut Verbraucherschutzamt gefährden die Stände die Sonntagsruhe. Der Tafel droht nun ein Verlust von mindestens 4.000 Euro pro Jahr.
„Das Fachamt Verbraucherschutz hat unsere Dienststelle darüber in Kenntnis gesetzt, dass private Flohmärkte aufgrund der Feiertagsschutzverordnung sonntags nicht mehr stattfinden dürfen“ – so steht es in einem Schreiben aus dem Bezirksamt, das WilhelmsburgOnline.de vorliegt. Der Flohmarkt auf dem Stübenplatz gilt als „geeignet, die Sonntagsruhe zu stören“, weil sich dort Menschen versammeln und sich mit ihren Käufen und Verkäufen öffentlich bemerkbar machen. Das dürfen sie aber nicht – die Feiertagsschutzverordnung des Landes Hamburg verbietet es. Die Verordnung stammt aus dem Jahr 1957, seit mehr als zehn Jahren gibt es den Flohmarkt auf dem Stübenplatz. Bisher gab es damit nie Probleme. Jahr für Jahr schickte das Bezirksamt die Genehmigungen raus. Nun soll damit Schluss sein.
Wer könnte sich von dem Flohmarkt gestört fühlen? Beschwert hat sich noch nie jemand, sagen Gudrun Toporan-Schmidt, Sille und Werner Müller und vom Tafel-Team. Für sie ist die Nachricht eine Katastrophe. Die Tafel braucht die Einnahmen aus dem Flohmarkt dringend, sagen sie. Von allen, die einen Stand aufbauen, nehmen die Flohmarkt-Veranstalter 2,50 Euro Gebühr pro Meter. Im Vergleich zu anderen Märkten ist das sehr wenig, aber bei 30 bis 50 Ständen an jedem ersten und dritten Sonntag im Monat von April bis November kommt doch einiges zusammen. „Das sind 4.000 bis 4.500 Euro im Jahr, die uns dann fehlen“, sagt Gudrun Toporan-Schmidt.
Flohmarktstände finanzieren Hilfe für Bedürftige
Die Standgebühren fließen komplett in die Kasse der Wilhelmsburger Tafel. Die Einrichtung versorgt bedürftige Menschen im Stadtteil mit Lebensmitteln, die sonst auf dem Müll landen würden: Manche Läden und Supermärkte legen die Waren, die sie nicht mehr verkaufen konnten, für die Tafel beiseite. Die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer holen sie ab und verteilen sie auf die drei Ausgabestellen der Insel: Das Alte Deichhaus am Stübenplatz, das Gemeindehaus St. Raphael im Bahnhofsviertel und das Gemeindehaus Kirchdorf. In den Gemeindehäusern gibt es einmal pro Woche eine Lebensmittelausgabe und vorher Frühstück oder Mittagstisch. Das Deichhaus bietet beides, an drei Tagen in der Woche. Fünf Mal pro Woche versorgt das Team dort Nachbarinnen und Nachbarn mit Lebensmitteln. Je nach Tag sind es 40 bis 60 Personen, sagen die Teamhelfer.
Auch wenn die Lebensmittel gespendet sind und das Team der Tafel unbezahlt arbeitet – ohne Geld läuft es nicht. Gudrun Toporan-Schmidt zählt einige Ausgaben auf: Die Stromrechnung für das Deichhaus, das sind knapp 600 Euro im Monat. Benzin für den Transport der Lebensmittel kostet 600 bis 700 Euro im Monat. Dazu kommen der TÜV und Reparaturkosten, auch für das Deichhaus. In diesem Jahr sei schon fünf Mal eingebrochen worden, erzählt Werner Müller. Auch Lebensmittel wurden dabei gestohlen. „Ich weiß nicht, wie oft die Fenster hier schon neu gemacht worden sind“, sagt Gudrun Toporan-Schmidt. Die Schäden müsse der Verein alleine zahlen. Auch die Weihnachtsfeier für bedürftige Nachbarinnen und Nachbarn kostet Geld. „Das geht alles vom Flohmarkt ab.“
Wie könnte der Markt weitergeführt werden? Volker Schenk vom Verein Arbeitsloseninitiative Wilhelmsburg hat sich beim Bezirksamt erkundigt. Die Aktivitäten der Tafel laufen über den Verein, auch die Genehmigungen für den Flohmarkt trafen bisher bei Volker Schenk ein. Über den Ausschuss für Wohnen und soziale Stadtentwicklung hat er schon einen Antrag an die Bezirksversammlung eingereicht, die den Fortbestand des Flohmarkts sichern soll. Doch bislang erhielt der Wilhelmsburger auf seine Anfragen immer nur eine Antwort: Das Gesetz verbietet den Flohmarkt am Sonntag. Sollte er fortgeführt werden, dann bitte an einem Wochentag. Das Team im Alten Deichhaus sieht darin keine Chance. „An einem anderen Tag, das würde gar nicht gehen“, sagt Werner Müller. Gudrun Toporan-Schmidt stimmt ihm zu: „Am Samstag haben wir hier den Markt, von Montag bis Freitag gehen die Leute arbeiten – da geht doch keiner zum Flohmarkt.“
Ausnahme nur für kommerzielle Märkte
Eine Ausnahme macht der Senat bei seiner Feiertagsschutzverordnung: Kommerzielle Flohmärkte dürfen auch am Sonntag stattfinden. Das Verbraucherschutzamt schreibt: „Gibt es neben privaten Anbietern aber min. 12 gewerbliche Anbieter, so kann ein Antrag auf Festsetzung eines Spezialmarktes (gebührenpflichtig) gestellt werden. Für diese Spezialmärkte gilt die Ausnahme: 4x jährlich mit 1 Monat Abstand“. Mit anderen Worten: Wenn die Stadt selbst daran verdienen kann, steht die Sonntagsruhe auch mal an zweiter Stelle.
Für das Team der Tafel bringt das nichts. Trotzdem hoffen die Helferinnen und Helfer, weitermachen zu können. „Es muss sein“, sagt Gudrun Toporan-Schmidt. Etwa 80 Unterschriften hat sie schon gesammelt für den Erhalt des Flohmarkts. Es könnten locker noch mehr werden, sagen die Helfer. Dass sie damit etwas erreichen, kann das Team vorerst nur hoffen. „Der Flohmarkt muss bleiben“, sagt Sille. „Es hängt viel davon ab.“
von Annabel Trautwein
Info:
Die Wilhelmsburger Tafel bietet in der Woche folgende Termine an:
- Dienstag – Freitag und Samstag im Alten Deichhaus (Vogelhüttendeich 55):
- Bonausgabe: ab 12.30 Uhr (samstags ab 12 Uhr)
- Lebensmittelausgabe: ab 13 Uhr (samstags ab 12.30 Uhr)
- Frühstück: Dienstag – Donnerstag 8.30 – 10 Uhr
- Mittagstisch: Dienstag – Donnerstag 11.30 – 12.30 Uhr
- Dienstags im Gemeindehaus St. Raphael (Jungnickelstraße 21):
- Bonausgabe: 10 Uhr
- Frühstück: 11 – 13 Uhr
- Lebensmittelausgabe: 13 Uhr
- Mittwochs im Gemeindehaus Kirchdorf (Kirchdorfer Straße 170):
- Bonausgabe: 10 Uhr
- Mittagstisch: 12 – 13 Uhr
- Lebensmittelausgabe: 13 Uhr
weitere Infos im Internet unter www.ai-w.de/pages/projekte/wilhelmsburger-tafel.php
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