Straßenszene

S-Bahn Veddel, zweite Dezemberhälfte. Menschen und ihre Weihnachtseinkäufe drängen sich durch die Bustür der 13. Beinahe hätten sich zwei Bekannte übersehen. Der Mann trägt noch seine Dienstjacke von der Hochbahn. Die Frau, die sich neben ihn setzt, seufzt in den Kragen ihrer Daunenjacke. „Und was machst du Weihnachten?“ „Urlaub“, sagt der Mann, „wenn man denn mal darf.“

Er darf dieses Jahr. Seine Belegschaft ist in Gruppen eingeteilt, erklärt er. Alle sieben Jahre ist seine Gruppe dran, dann ist wieder sechs Weihnachtsfeste lang Dienst angesagt. „Hast du ein Glück“, sagt seine Bekannte. „Bei uns ist im Dezember immer komplett Urlaubssperre.“ Ambulanter Pflegedienst eben, da ist im Winter immer mal jemand krank, und wenn dann noch Leute Urlaub machen… Sie winkt ab. Weihnachten wird sie wieder mit dem Rad von Tür zu Tür fahren, Kundinnen und Kunden pflegen, wie an jedem anderen Arbeitstag auch. Schneeflöckchen, Weißröckchen? Na, lieber nicht. Sonst kommt sie kaum voran mit ihrem Fahrrad.

Während für viele Menschen am 24. Dezember spätestens zum Ladenschluss die Uhren stehen bleiben, machen manche einfach weiter. Zurücklehnen und durchatmen ist nicht drin – ihr Job ist einfach zu wichtig für uns alle. Und die, die ihn machen, sind zu wenige zum Teilen. Also gehen sie zur Schicht, zum Einsatz, zum Dienst, ins Geschäft. Irgendwer muss ja.

Wer es sich auf dem Sofa gemütlich machen kann, merkt davon in der Regel wenig. An Arbeit zu denken gehört sich zu Weihnachten ja auch nicht, meinen viele. Der Alltagsstress fängt früh genug wieder an. Lieber verbringen wir ein paar schöne Tage mit der Familie, packen Geschenke ein und aus oder backen Kekse. Erst wenn in der Weihnachtsbäckerei der Zucker ausgeht, fällt es auf: Die Geschäfte sind zu. Dann rettet uns der Kiosk an der Ecke – Gott sei Dank! Oder besser gesagt: Dem Menschen hinterm Tresen sei Dank. Einer von vielen, die einfach weiter machen. Selbstverständlich ist das nicht.

von Annabel Trautwein

 

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Kommentare

Eine Antwort zu „Straßenszene“

  1. Avatar von Martin

    Danke Annabel  für diesen Beitrag. ich gehöre ja auch zur Gruppe derjenigen, für die Weihnachten und alle anderen Feiertage ganz normale Arbeitstage sind – in der ambulanten Pflege. Dieses Jahr hab ich allerdings ausnahmsweise mal Glück und alle Weihnachtstage frei, muss dafür aber auch Silverster und Neujahr Doppeldienste schieben, wenn die Kollegen frei haben, die Weihnachten für mich "mit" arbeiten. Aber so ist das nun mal, und als ich mir den Beruf ausgesucht habe, wusste ich schon, dass genau dieser Pferdefuss dazu gehört. Um so mehr werd ich es geniessen, mal diese besonderen Tage im Jahr nicht arbeiten zu müssen. Dir ein frohes Fest und einen guten Rutsch 🙂  

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