Wie gelingt der Bau von bezahlbaren Wohnungen in Wilhelmsburg? Über dieses Thema streiten Politiker, Fachleute und Betroffene der Insel derzeit besonders heftig. Auch die Internationale Bauausstellung (IBA) sollte Lösungen finden für einen lebenswerten Stadtteil, der Platz genug für alle bietet. Was ist dabei für Mieterinnen und Mieter auf der Insel herausgekommen? Die Ergebnisse der IBA sind umstritten: Während Planer und Politiker hinter das Motto „Aufwertung ohne Verdrängung“ einen Haken setzen, fürchten Fachleute wie der Soziologe Peter Birke vom Arbeitskreis Umstrukturierung Wilhelmsburg eine steigende Wohnungsnot auf der Elbinsel.
„Mitten in Hamburg suchte die IBA Antworten auf die dringendsten Fragen der modernen Stadt, um Projekte für die Zukunft der Metropolen zu zeigen“ – so fasst die IBA im Rückblick ihre Aufgabe zusammen. Der Bau günstiger Wohnungen spielte dabei jedoch eine Nebenrolle. Insgesamt hat die IBA auf der Elbinsel Wilhelmsburg nach eigenen Angaben 817 neue Wohnungen bauen lassen oder geplant – davon 377 mit öffentlicher Förderung. Der Bau von neuen Wohnungen ist nach Darstellung der IBA auch ein Mittel gegen Verdrängung von Menschen aus dem Stadtteil, weil das zusätzliche Angebot den Konkurrenzkampf um Wohnungen entschärfen soll. Bei der Frage nach Gentrifizierung hält sich die IBA auch zugute, dass sie Bildungschancen oder das Kulturangebot im Stadtteil verbessert habe. Damit sei das Leben in Wilhelmsburg auch für diejenigen lebenswerter geworden, die schon lange hier sind.
Dass Menschen mit wenig Geld verdrängt werden, weil das Leben auf der Insel teurer wird, hält die IBA eher für ein gefühltes Problem. Die Neubauten sind zwar auch für zahlungskräftigere Menschen aus anderen Stadtteilen Hamburgs gedacht – das bestreiten die Planer nicht. Ein Verdrängungseffekt sei aber nicht erkennbar. Das schließt die IBA aus einer jährlichen Umfrage, dem IBA-Strukturmonitoring. Zwar müssten Mieterinnen und Mieter auf der Insel insgesamt mehr Geld für Wohnraum zahlen als vor Beginn der Bauausstellung. Doch verglichen mit dem Rest der Stadt – so argumentierte Geschäftsführer Uli Hellweg zum Abschied – seien die Steigerungen immer noch unter dem Durchschnitt. „Es gibt einen Anschluss Wilhelmsburgs an eine durchschnittliche Mietentwicklung in Hamburg“, sagte er. Die Stadt müsse die Kostensteigerungen nun im Blick behalten – und gegensteuern, wenn sich abzeichne, dass die Mieten für die Alteingesessenen unerträglich teuer werden.
„Mietsteigerungen von über 30 Prozent“
Doch die Not ist längst da, sagt Peter Birke vom Arbeitskreis Umstrukturierung Wilhelmsburg. Der Wissenschaftler, der früher im sogenannten Weltquartier lebte und nun im nördlichen Reiherstiegviertel wohnt, ist spezialisiert auf das Thema Stadtentwicklungspolitik und ihre sozialen Folgen. „Wenn Uli Hellweg im Zusammenhang mit dem Stichwort 'Gentrifizierung' von einer 'unbegründeten Befürchtung' der Bevölkerung spricht, dann fühlt man sich als Einwohner des Stadtteils verhöhnt“, sagt er. Denn die Zahl der neu gebauten Wohnungen reiche bei weitem nicht aus, um alle zu beherbergen, die allein im Laufe der IBA nach Wilhelmsburg gezogen sind. Das wirke sich auch auf die Preise aus, die die Vermieter heute verlangen. „Insbesondere im Reiherstiegviertel ist das sehr spürbar“, sagt Peter Birke. „Bei Neuvermietungen kann dort seit Anfang der 2000er Jahre nahezu eine Verdreifachung der Mietpreise nachgewiesen werden. Aber auch im gesamten Stadtteil haben die Kaltmieten kräftig angezogen, während weder die Einkommen der meisten WilhelmsburgerInnen gestiegen sind noch die Sätze der Leistungen nach dem SGB II.“ Auch Peter Birke bezieht sich auf die Angaben aus dem IBA-Strukturmonitoring, kommt aber zu einer anderen Darstellung als die Auftraggeber: „Im Projektzeitraum der IBA kann von einem Anstieg der Kaltmieten von über 30 Prozent ausgegangen werden“, sagt er. „Das kommt fast an das exorbitante Niveau von St. Pauli heran.“
Der Wohnungsmarkt auf der Insel wird enger – das ergibt auch ein Anruf von WilhelmsburgOnline.de beim Verein „Mieter helfen Mietern“. Wie in ganz Hamburg sei es inzwischen auch in Wilhelmsburg für viele Menschen schwer, eine bezahlbare Wohnung zu finden, sagt eine Mitarbeiterin des Mietervereins. „Sogar in Quartieren, die teils äußerst schlechte Wohnbedingungen bieten, gibt es mittlerweile Wohnraummangel“, sagt Peter Birke. „So lässt sich selbst im Korallusviertel insbesondere für Menschen mit niedrigem Einkommen kaum noch Wohnraum finden. Diese Entwicklung spielt Wohnungsbaugesellschaften wie der Gagfah in die Hände.“ Schon seit Jahren gelten die Hochhäuser der Gagfah nahe des S-Bahnhofs Wilhelmsburg als Beispiel für einen verantwortungslosen Umgang mit Mieterinnen und Mietern. Immer wieder werden Klagen und Proteste laut, denen zufolge die Gagfah zwar die Mieten erhöht, jedoch kaum etwas unternimmt, um die maroden Gebäude zu erhalten. Die Notlage in den Mietshäusern des Bahnhofsviertels linderte die Bauausstellung nicht. Die IBA habe zwar versucht, auf die Gagfah einzuwirken, sagt die Mitarbeiterin des Mietervereins – doch die Wohngesellschaft wollte offenbar nicht mitmachen.
„Weltquartier“ – schöner wohnen oder schöner Schein?
Auf die Frage, wo nun die weniger zahlungskräftigen Menschen in Wilhelmsburg bleiben sollen, antwortete die IBA immer wieder mit einem Projekt: Dem „Weltquartier“ rund um die Weimarer Straße. Hier sollen Wohnungen in Abstimmung mit den ursprünglichen Mieterinnen und Mietern modernisiert worden sein. Die Mieten sind laut IBA durchschnittlich um nur 13 Cent pro Quadratmeter gestiegen, öffentlich gefördert und sollen in den kommenden 30 Jahren nicht weiter steigen. Niemand sei aus dem „Weltquartier“ gedrängt worden, sagt die IBA. Peter Birke, der 2004 selbst dorthin zog, sieht das anders. „Vergleicht man die Ausgangslage um 2005 und die derzeitigen Mieten, so ergibt sich eine klare und massive Steigerung“, sagt er. In vielen Wohnungen erreiche die Verteuerung den Grad, der im Wilhelmsburger Durchschnitt üblich ist. Zudem seien Wohnungen vergrößert worden. „Das führt dazu, dass insbesondere für die BezieherInnen von Niedriglöhnen und Lohnersatzleistungen der Verbleib im Quartier unerschwinglich wird.“ Nur 40 Prozent der früheren Mieter sind bisher zurückgekehrt – das sagt eine Sprecherin der SAGA GWG, die die Wohnungen vermietet, auf Anfrage von WilhelmsburgOnline.de. 559 Wohnungen sind bisher fertig, 184 sollen noch folgen. Dass der Prozentsatz noch steigt, glaubt die SAGA-Sprecherin nicht. „Das ist sogar eine sehr hohe Rückkehrquote, verglichen mit ähnlichen Bauvorhaben“, sagt sie. Warum viele weg bleiben, kann auch sie nur vermuten – untersucht werde das nicht.
Wie wird sich der Wohnungsmarkt in Wilhelmsburg nach der IBA entwickeln? Es kommt nun auf die Stadt an, sagt Peter Birke. Pläne und Entwürfe für neue Mietshäuser auf der Insel entstehen bereits. Die Stadt setzt auf den sogenannten Drittel-Mix: Sozialwohnungen, Mietwohnungen und Eigentum sollen zu gleichen Teilen gebaut werden. Peter Birke reicht das nicht – dafür seien schon viel zu viele Sozialwohnungen vom Markt verschwunden. „Neubauten dürfen in einem Stadtteil wie Wilhelmsburg keine Luxuswohnungen sein, für Reiche gibt es in Hamburg mehr als genug Wohnraum“, sagt er. Die Stadt müsse vielmehr die Verluste von Sozialwohnungen der vergangenen und kommenden Jahre ausgleichen. Außerdem müssten Vermieter wie die GAGFAH gestoppt werden. „Die Stadt muss den MieterInnen im Korallusviertel endlich zuhören“, kritisiert er. Wohnungsbau dürfe zudem nicht auf Kosten der Lebensqualität in ärmeren Stadtteilen gehen, indem dort Grünflächen mit Eigentumswohnungen bebaut werden. „Die Voraussetzung ist meines Erachtens, dass der Senat seine Vorstellung aufgibt, Wohnungsbau sei im Grunde identisch mit der Förderung der Immobilienwirtschaft“, kritisiert Peter Birke. Würde etwa die SAGA nicht mehr profitorientiert wirtschaften, um immer höhere Gewinne an den Hamburger Haushalt abzuführen, wäre eine „Aufwertung“ tatsächlich möglich – „ohne, wie in Wilhelmsburg, die soziale Existenz tausender Menschen zu bedrohen.“
von Annabel Trautwein
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