Corinna Peters-Leimbach sagt Wilhelmsburg Adieu. Die Pastorin macht sich nach 14 Jahren auf der Elbinsel auf zu einer neuen, noch unbekannten Pfarrstelle. In Wilhelmsburg hat sie viel bewirkt – nicht nur als Pastorin und Seelsorgerin, sondern auch als starke Stimme in der Wilhelmsburger Stadtteilpolitik. Ihre letzte Predigt hält sie bei ihrem Abschiedsgottesdienst am Samstag um 15 Uhr in der Kreuzkirche.
Kaum war Corinna Peters-Leimbach im Frühjahr 2000 in Wilhelmsburg angekommen, wurde sie gebraucht. Dringend. Sofort. In der Schule schräg gegenüber vom Pastorat war gerade ein sechsjähriger Junge von einem Kampfhund tot gebissen worden. In solcher Not Trost zu spenden, das ist ein Job für Profis. Corinna Peters-Leimbach übernahm die Seelsorge, kümmerte sich Tag für Tag um die Kinder an Volkans Grundschule. Der nächste Kriseneinsatz folgte knapp drei Monate später: Ein Mann hatte im Schwendtnerring drei Menschen getötet und kurz darauf Geiseln genommen, eine Mutter mit Sohn und Tochter. Die Kinder konnten befreit werden – wieder war Corinna Peters-Leimbach zur Stelle, um ihnen in ihrer Angst beizustehen. „Das war mein Einstand in Wilhelmsburg“, sagt sie.
Noch heute kommen die alten Bilder hoch, wenn ihr ein Kampfhund begegnet, sagt sie. Doch auch wenn die schweren Erlebnisse nachwirken – ihr Bild von der Insel und ihren Menschen erschütterten sie nicht. „So ein Dreifachmord kann überall passieren, das hat nicht unbedingt etwas mit Wilhelmsburg zu tun“, sagt die Pastorin. „Und nicht nur in Wilhelmsburg gibt es Kampfhunde.“ Das sahen damals viele anders: Medien verbreiteten das Bild vom sozialen Brennpunkt, die Elbinsel wurde als die Bronx von Hamburg gebrandmarkt. „Das war der Beginn meines Stadtteilengagements“, erzählt Corinna Peters-Leimbach. Sie schloss sich der Zukunftskonferenz an, wurde Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft Zusammenleben und schrieb mit am Ergebnisbericht, dem sogenannten Weißbuch. Corinna Peters-Leimbach begleitet nicht nur, sie mischt sich ein. Seit 14 Jahren macht sie Stadtteilarbeit in verschiedenen Gruppen und Gremien. „Das gehört für mich auch dazu, dass Kirche sich da engagiert, wo die Menschen wohnen und leben, und dass sie sich für alle einsetzt – nicht nur für die eigenen Gemeindeglieder“, sagt sie.
"Die Leute sind so, wie sie sind, gut und richtig"
Eine feste Wirkungsstätte hat die Pastorin nicht. „Mal bin ich im Bürgerhaus, mal im Westend, mal in den verschiedenen Kirchengemeinden auf der Insel“, sagt sie. „Kein Tag gleicht dem anderen.“ Anfangs predigte sie als Gemeindepastorin in der St. Raphael-Kirche und in der Kreuzkirche, feierte mit den Gläubigen im Bahnhofsviertel Gottesdienste, Taufen und Trauungen. Sie begleitete Senioren und jugendliche Konfirmanden und stand den Menschen in ihrer Umgebung als moralische Stütze im Alltagsleben zur Seite. Die Sorgen der Nachbarinnen und Nachbarn sind ihr vertraut: „Armut, Migration, Existenzsicherung. Das sind für mich ur-biblische Themen“, sagt sie. Trotzdem fühle sie sich oft machtlos. „Ich kann die Leute nur bestärken, dass sie so, wie sie sind, gut und richtig sind. Und dass man in Deutschland nicht nur etwas wert ist, wenn man ein Bruttojahreseinkommen von 60.000 Euro hat. Aber das finde ich auch schwer, das auszuhalten. Vor allem, weil ich in einer anderen Position bin. Ich weiß eben, wie ich mir morgen etwas zu essen kaufe.“
Als Wilhelmsburg Schauplatz wurde für die internationale Gartenschau (igs) und die Internationale Bauausstellung, wechselte Corinna Peters-Leimbach von der Gemeinde in eine Projektpfarrstelle. Ihre Aufgabe: Die igs im Auftrag der Kirche mitgestalten und zugleich die Entwicklung Wilhelmsburgs im Zuge der Großveranstaltungen kritisch begleiten. In der „Welt der Religionen“ baute sie den Lebenspfad mit auf, auf dem Menschen symbolisch die Stationen ihres Lebens abschreiten konnten – eine besonders schöne Erinnerung, wie sie heute sagt. „Wir haben unglaublich viele Begegnungen mit Menschen gehabt, kirchennah wie kirchenfern, und sind in Gespräche gekommen. Da gab es sehr viele berührende Momente.“ Besonders im Gedächtnis geblieben ist ihr ein über 80-jähriger Mann, der auf zwei Gehhilfen ankam. „Bei der Station Konfirmation, wo man sich über ein Seil hangeln konnte, legte er beide Gehhilfen ab und sagte: Das muss ich doch noch mal versuchen, ob ich das nicht packe. Er ist tatsächlich rübergeklettert. Das war ein sehr bewegender Moment“, erzählt sie.
Die igs als Fluch und Segen für Wilhelmsburg
Dass die Gartenschau auch bei vielen Wut und Ärger ausgelöst hat, ist Corinna Peters-Leimbach bewusst. „Ich muss auch mein Engagement rechtfertigen“, sagt sie. Die Gartenschau sei ein Segen für Wilhelmsburg, wenn sie das Leben im Stadtteil besser mache – und zugleich ein Fluch, weil Aufwertung auch immer die Gefahr einer Gentrifizierung mit sich bringe. „Ich habe versucht zu gucken: Was dient den Menschen hier? Dass zum Beispiel die Spielplätze erhalten bleiben nach der Gartenschau, das ist ein großer Gewinn für die Kinder hier im Stadtteil“, sagt die Pastorin.
Der Kontakt zum Wilhelmsburger Alltag ist ihr wichtig. Auch wenn sie heute in Harburg lebt, geht sie gern mit ihrem Mann auf der Insel spazieren oder kauft im Stadtteil ein. „Dann kriege ich ein besseres Gespür für das, was hier los ist.“ Sie erzählt, wie sie bei Budni am Vogelhüttendeich zum ersten Mal Bio-Fleisch entdeckte. „Das war so das erste Aha-Erlebnis, an dem ich merkte: Okay, jetzt verändert sich was im Stadtteil“, sagt die Pastorin. Vieles erfährt sie auch im Gespräch mit Leuten aus der Nachbarschaft. „Für mich sind Wilhelmsburgerinnen und Wilhelmsburger sehr ehrliche Menschen“, sagt sie. „Die sagen sehr genau, was sie denken. Was sie gut finden, und was sie schlecht finden. Das ermöglicht einen Austausch, und das kommt mir entgegen.“
Nach 14 Jahren nimmt Corinna Peters-Leimbach nun Abschied von Wilhelmsburg. Drei Monate hat sie nun frei. Ihr erstes Ziel: Eine Woche in einem Kloster zur Ruhe kommen. Danach möchte sie mit ihrem Mann auf Jesu Spuren nach Israel reisen. „Da freue ich mich schon drauf“, sagt sie. Was danach kommt, weiß sie selbst noch nicht. Alles zwischen Flensburg und der polnischen Grenze ist möglich, denn in diesem Gebiet vergibt die Nordkirche Pfarrstellen. Am liebsten würde sie in Hamburg bleiben, zu mit und bei den Menschen ihrer Gemeinde zu arbeiten und sich zugleich politisch einzumischen. „So wie hier“, sagt Corinna Peters-Leimbach.
von Annabel Trautwein
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