Kritische Standpunkte, Alltagsgeschichten und Neues aus der Nachbarschaft – seit 20 Jahren hält der Wilhelmsburger Inselrundblick die Menschen im Stadtteil auf dem Laufenden. Monat für Monat fasst die Zeitung „von Vielen für Alle“ zusammen, was auf der Insel los ist und wo etwas schief läuft. Das damalige Sprachrohr der Protestbewegung von 1994 ist seiner Tradition treu geblieben und gleichwohl an seinen Ansprüchen gewachsen. Nun feiert die Redaktion den runden Geburtstag mit Sonderseiten zu Geschichte und Perspektiven des Blatts. Denn trotz aller Freude ist klar: Auch die Zukunft hält einige Herausforderungen bereit.
20 Jahre ehrenamtliche Arbeit haben sich gelohnt: Der Wilhelmsburger Inselrundblick (abgekürzt: WIR) ist aus dem Stadtteil nicht mehr wegzudenken. Streitschriften zu Verkehr und Stadtteilplanung, Appelle zum Erhalt der Inselnatur und für bessere Bildungschancen, Berichte und Geschichten aus dem Wilhelmsburger Alltag – für all das hat der Inselrundblick einen Platz frei. Vereine und Initiativen im Stadtteil machen hier ihre Termine bekannt. Die Leser tragen mit ihren Meinungen zu aktuellen Debatten bei. Marianne Groß, Mitgründerin der Redaktion, ist zufrieden: „Der Inselrundblick ist immer noch ein Faktor für das Selbstbewusstsein und das Zusammengehörigkeitsgefühl der Wilhelmsburger.“
Von der Flüstertüte der Protestbewegung zum eigenständigen Medium
Dass ihre Stadtteilzeitung nun schon 20 Jahre gelesen wird, ist für die ehrenamtlichen Macherinnen und Macher selbst eine Überraschung. „Am Anfang ging es vor allem darum, ein Sprachrohr für die Initiativen zu sein, die sich damals gründeten“, erzählt Sigrun Clausen. Stein des Anstoßes war 1994 die Müllverbrennungsanlage, die der SPD-Umweltsenator Fritz Vahrenholt den Wilhelmsburgern vor die Nase setzen wollte – kaum nachdem der Schreck über das Dioxin, das aus dem Müllberg in Georgswerder sickerte, verdaut war. Aus dem Protest entstand eine breite Bürgerbewegung, die ihr eigenes Medium bekommen sollte. Dennoch war der Inselrundblick immer unabhängig, wie Mitgründer Axel Trappe betont: „Wir haben von Anfang an einen eigenen Verein gegründet. Wir waren also nicht nur ein Bestandteil der Bürgerbewegung.“
Als die Arbeit der Initiativen und Gruppen immer professioneller wurde, stellte das auch den Inselrundblick vor neue Aufgaben. „Es gibt die Entwicklung, dass immer mehr Organisationen Pressearbeit machen und ihre Pressemitteilungen abgedruckt sehen möchten“, erläutert Sigrun Clausen. „Das ist dann aber nicht mehr, was wir unter einem Sprachrohr für die Bevölkerung und die Aktiven verstehen. Deshalb war es uns wichtig, auch tatsächlich redaktionell tätig zu werden, um ein Gegengewicht zum 'Verlautbarungsjournalismus' zu haben.“ Heute sehen die Schreiberinnen und Schreiber ihr Blatt eher als Forum der öffentlichen Debatte, in dem der Inselrundblick als publizistisches Organ auch selbst Position bezieht.. „Es gibt auch ehemalige Redaktionsmitglieder und altgediente Leser, die das kritisieren“, sagt Hermann Kahle. „Manche finden uns zu links.“
Druck- und Produktionskosten machen den Inselrundblick teurer
Mit dem zunehmenden Anspruch steigt auch der Finanzdruck auf die Redaktion. Denn auch wenn die Macher mit viel Idealismus dabei sind – ganz ohne Honorar ist die Arbeit nicht machbar. Zudem sind die Druckkosten gestiegen. Um Geld zu sparen, will die Redaktion nun die Auflage zurückfahren – von etwa 7.000 Stück auf 6.500. Auch der „Herzog“ steht auf der Kippe: Sofern sich kein Sponsor für den Comic findet, soll Georg Wilhelms Zeit auf der Insel bald endgültig der Geschichte angehören.
Auf Sonderseiten in jedem Heft will die Redaktion nun ihre Arbeit und finanzielle Lage publik machen, aber auch den runden Geburtstag feiern. In der Januar-Ausgabe, die derzeit im Stadtteil verteilt wird, blicken die Schreiber zurück auf ihre Gründungsidee und den Wandel des Inselrundblicks. Zudem bittet sie die Leser um Hilfe – durch Beitritt zum Verein, Spenden oder Werbeanzeigen. Auch Post mit moralischer Unterstützung oder aufrichtiger Kritik ist der Redaktion willkommen. Viele Menschen haben schon Hilfe angeboten, heißt es im aktuellen Heft. Marianne Groß ist zuversichtlich, dass es noch mehr werden: „Ich habe das Gefühl, dass viele Wilhelmsburger stolz sind, ihre eigene Stadtteilzeitung zu haben, die es auch schon so lange gibt.“
von Annabel Trautwein
[fb_button] [tweetbutton]
Wer ist WIR?
Marianne Groß, Axel Trappe und Jürgen Könecke sind die Inselrundblick-Macher der ersten Stunde. Heute arbeiten auch Sigrun Clausen, Hermann Kahle, Klaus-D. Müller, Jörg Ehrnsberger und Mariano Albrecht im Team mit. Die Buchhaltung macht Gerda Graetsch, Roswitha Stein zeichnet den Comic und hat das Layout gestaltet. Unterstützt wird die WIR-Redaktion von etwa zehn freien Schreiberinnen und Schreibern und rund 15 Austrägerinnen und Austrägern.
Schreibe einen Kommentar