Lauter Protest, ein gepanzertes Polizeiaufgebot und ein verbogener Zaun – darin gipfelte am 1. Mai 2013 der Euromayday-Umzug vor dem Haupteingang der internationalen Gartenschau (igs). Nun steht ein junger Mann aus Wilhelmsburg vor Gericht: Julian B. wird vorgeworfen, er habe das igs-Gelände illegal, also ohne gültige Eintrittskarte, betreten. Außerdem soll er Polizisten verletzt haben, als die ihn festhalten wollten. Beim Prozessauftakt am Amtsgericht Harburg aber drehte sein Anwalt den Spieß um: War der Einsatz der Polizei auf dem igs-Gelände überhaupt gerechtfertigt?
Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung, Erschleichen von Leistungen, Widerstand, versuchte Körperverletzung, Körperverletzung – das sind die Anklagepunkte, die der Staatsanwalt dem Wilhelmsburger Julian B. beim Prozessauftakt am Montag zur Last legte. Er sei zuerst ohne Eintrittskarte in das igs-Gelände eingedrungen, habe sich dann der Polizei widersetzt und dabei „mehrere Personen körperlich misshandelt“, trug der Ankläger vor. Ein Polizist habe eine „bläuliche Schwellung am Ringfinger“ davongetragen, seine Kollegin „blutige Einrisse an den Nagelbetten“ erlitten. Schon im vergangenen Jahr wurde Julian B. per Strafbefehl aufgefordert, eine Geldstrafe zahlen: 900 Euro, aufgeteilt auf 60 Tagessätze à 15 Euro. Doch der 27-Jährige legte Einspruch ein – deshalb soll er sich nun vor dem Amtsgericht Harburg verantworten.
„Natürlich war ich am 1. Mai 2013 auf dem igs-Gelände“, stellte Julian B. gleich zu Beginn der Gerichtsverhandlung klar. Auch dass er wie tausende andere beim Euromayday gegen die Gartenschau protestiert hatte, stritt er nicht ab, im Gegenteil. Ausführlich listete er die Gründe auf, die ihn dazu bewogen hatten: Die Fällung tausender Bäume, gegen die der Umweltverband BUND bereits die Stimme erhoben hatte. Sein Eindruck, gestützt durch eine Umfrage in der MoPo, die Gartenschau habe für Menschen im Stadtteil keinen Nutzen. Die Misswirtschaft der Stadt, die die Großveranstaltung trotz konkreter Warnungen ins Minus manövriert habe. Die Sperrung eines öffentlichen Raums zugunsten wirtschaftlicher Interessen. All das sei Teil eines politischen Fahrplans, dem die Stadt auch heute noch folge, sagte Julian B. Er berief sich dabei auf Pläne des Bezirksamtes, den Inselpark auch in Zukunft nachts zu schließen, und zitierte ausführlich aus dem Interview mit Bezirksamtschef Andy Grote auf WilhelmsburgOnline.de. „Die Proteste sind nicht nur legitim. Sie sind nötig, weil die igs ökologisch ein Desaster ist, weil sie finanziell ein Desaster ist und weil dies alles lange Zeit ignoriert wurde“, fasste Julian B. zusammen. Etwa 20 Menschen, die den Prozess von der Zuschauerbank aus verfolgten, klatschten Beifall.
Richterin will von politischen Beweggründen nichts wissen
Seitenweise referierte der Angeklagte die Beweggründe, die ihn nach eigener Aussage am 1. Mai 2013 auf die Straße und auf das igs-Gelände getrieben hatten. Das wollte sich die Richterin zunächst nicht alles anhören. „Das ist hier jetzt nicht der Raum für politische Äußerungen“, unterbrach sie den Angeklagten. Als dessen Anwalt auf der Erklärung bestand, ließ sie Julian B. weiter vortragen, blätterte jedoch nebenher in einem Buch – zur Empörung des Verteidigers. „Folgen Sie eigentlich noch, oder lesen Sie primär?“, erkundigte er sich. Er forderte den Staatsanwalt auf, das Verhalten der Richterin zu Protokoll zu geben, doch der sah dazu keinen Anlass. Die Ausführungen von Julian B. seien schließlich nichts Neues. Über eine Gegendarstellung gelang es dem Verteidiger schließlich, das Verhalten der Richterin aktenkundig dokumentieren zu lassen.
Es war nicht der erste formale Einwand des Verteidigers: Noch bevor die Anklage verlesen wurde, beantragte er, das Verfahren auszusetzen, weil aus seiner Sicht wichtige Unterlagen in der Akte fehlten. Es sei überhaupt nicht ersichtlich, auf welcher Rechtsgrundlage sein Mandant überhaupt in Gewahrsam genommen worden sei. „Es geht um die Frage: Waren diese Polizisten rechtmäßig auf dem Gelände oder nicht?“, sagte er. Wenn nicht, sei noch zu klären, ob die Beamten überhaupt ein gültiges Ticket hatten. „Die Polizeibeamten sind nicht Angeklagte“, hielt der Staatsanwalt dagegen. Was genau der Auftrag der Polizei gewesen sei, lasse sich auch in der Zeugenbefragung klären. Die Richterin stimmte ihm zu – zum Missfallen der Zuschauerinnen und Zuschauer, die ihrem Ärger hörbar Luft machten.
Polizist: Nur eine Anweisung ausgeführt
So fand sich der erste Polizist im Zeugenstand in der Lage wieder, vor allem die Hintergründe seines Einsatzes erläutern zu müssen. Was er gegen Julian B. unternommen hatte, war dem Beamten noch gegenwärtig: Er habe ihn auf Anweisung eines Kollegen hin aufgefordert, seinen Ausweis vorzuzeigen. Da befand sich Julian B. schon auf dem igs-Gelände. Als der sich trotz mehrfacher Aufforderung, den Pass zu zeigen, weigerte und zurückwich, habe er ihn am Arm festgehalten, doch der junge Mann habe sich losgerissen, erzählte der Polizist. Als er Julian B. erneut fassen wollte, habe der die Arme des Beamten weg geschlagen und sei in den Park davongerannt. Erst später seien sie sich wieder begegnet, berichtet der Polizist, und zwar vor der neuen Schwimmhalle. Dort hätten ein Kollege und eine Kollegin versucht, Julian B. und eine zweite Person zu durchsuchen, um die Personalien festzustellen. Sie hätten den 27-Jährigen dazu an die Gebäudewand gestellt, doch er habe um sich getreten. Daraufhin hätten ihn die Polizisten zu dritt bäuchlings am Boden festgehalten, ihm Handschellen angelegt und durchsucht. Anschließend wurde Julian B. im Gefangenentransporter zur Sammelstelle in die Stresemannstraße gebracht, berichtete der Polizist. Er selbst sei ohne Verletzungen davon gekommen, seine Kollegin jedoch sei an der Handinnenfläche verletzt worden – jedenfalls habe sie dort später ein Pflaster getragen.
Warum wurde ausgerechnet Julian B. in Gewahrsam genommen? Wer erteilte die Anweisung, ihn festzuhalten? Diese Fragen beantwortete der Zeuge vor Gericht nicht. Der polizeiliche Auftrag sei gewesen, „Personen, die dem Aufmarsch angehören“, vom igs-Gelände fern zu halten, sagte der Polizist. Julian B. sei der Einzige gewesen, den er an dem Tag kontrolliert habe. Warum ausgerechnet ihn? Er habe nur eine Anweisung ausgeführt, antwortete der Polizeibeamte. Ihm selbst sei Julian B. nicht tatverdächtig vorgekommen. Er habe auch niemanden über den Zaun klettern sehen, sondern über einen Funkspruch davon erfahren. Den Kollegen, der ihn angewiesen habe, Julian B. festzuhalten, kenne er nicht. „In dem Moment habe ich es einfach umgesetzt und mir keine Gedanken gemacht“, sagte der Polizist bei der Zeugenbefragung.
Urteil frühestens im Mai
„Sie sind repressiv tätig geworden. Dafür brauchen Sie möglicherweise einen Grund“, sagte der Verteidiger von Julian B. dem Beamten im Zeugenstand. Auch wenn es nur um eine Personenkontrolle gehe, brauche die Polizei konkrete Anhaltspunkte. Der Befragte habe aber für das, was er selbst unternommen habe, keinen konkreten Verdacht als Begründung geliefert. „Es bleibt hier völlig offen, woher eigentlich ein Tatverdacht gegen Herrn B. entstanden sein soll“, kritisierte der Anwalt. Weitere Zeugen sollen noch zur Klärung des Falls beitragen. Der nächste, auch ein Polizist, soll am 3. März vernommen werden. Danach sind zwei weitere Polizeibeamte an der Reihe. Ein Urteil im Prozess gegen Julian B. wird voraussichtlich nicht vor Mai fallen: Am 9. Mai soll die letzte Zeugin aussagen.
von Annabel Trautwein
Hinweis:
Wer den Prozess mit eigenen Augen weiterverfolgen möchte, kann das tun – die Verhandlung ist öffentlich. Der nächste Termin ist angesetzt für Montag, 3. März, um 13:30 Uhr im Amtsgericht Hamburg-Harburg (Bleicherweg 1)
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