igs-Prozess: Wilhelmsburger zu Geldstrafe verurteilt

Gut ein Jahr nach dem Polizeieinsatz auf dem Gartenschau-Gelände und den Protesten am Zauntor ist ein Wilhelmsburger vor Gericht verurteilt wurden. Julian B. Muss 1200 Euro zahlen, aufgeteilt auf 80 Tagessätze. Dem Urteil der Richterin am Amtsgericht Harburg zufolge beging er Körperverletzung, versuchte Körperverletzung und Hausfriedensbruch, erschlich sich Leistungen, weil er das igs-Gelände ohne Ticket betreten hatte, und machte sich des Widerstands schuldig. Julian B. sieht das nach wie vor anders: Er bezweifelt, dass die Polizei überhaupt dazu berechtigt war, ihn auf dem Gartenschau-Gelände festzuhalten.

Tausende Menschen zogen am 1. Mai 2013 mit dem Protest-Umzug Euromayday durch die Straßen von Wilhelmsburg. Als die Demo vor dem igs-Eingang eintraf, erwartete sie ein Polizeiaufgebot mit Schlagstöcken und Pfefferspray. Der Protest wurde handfest, die Polizei suchte nach Übeltätern – nun wurde ein Wilhelmsburger verurteilt. Julian B. fiel im Park den Polizisten in die Hände, die ihn offenbar für verdächtig hielten. Sie verlangten seine Papiere, versuchten ihn festzuhalten, griffen ihn nach seiner Flucht in den Park wieder auf, hielten ihn am Boden fest und fesselten ihn, um ihn durchsuchen zu können. Warum ausgerechnet ihn? Hatte die Polizei Anlass, ihn zu verdächtigen? Und was hatten die Beamten überhaupt auf dem Gelände der Gartenschau GmbH zu suchen? Diesen Frage versuchte der Verteidiger von Julian B. im Laufe des rund dreimonatigen Gerichtsverfahrens zu klären.

Vier Polizeibeamte traten in dem Prozess gegen Julian B. als Zeugen auf. Aus ihren Aussagen schloss das Gericht: Der Wilhelmsburger hatte sich ohne ein Ticket in den Park geschlichen und die Internationale Gartenschau Hamburg GmbH, die dort das Hausrecht ausübte, um ihr Eintrittsgeld gebracht. Die Anklagepunkte Hausfriedensbruch und Erschleichen von Leistungen galten damit als erwiesen – auch wenn die Zeugen sich nicht alle gleichermaßen daran erinnern konnten, Julian B. überhaupt nach einem Ticket gefragt zu haben. „Diese Vernehmung wird von den Prozessbeteiligten sehr unterschiedlich erinnert und gewürdigt“, sagte der Verteidiger von Julian B. im Gespräch mit WilhelmsburgOnline.de.

Für den Rechtsanwalt ist die Frage nach dem Ticket einer der Knackpunkte des Prozesses. Denn wenn sein Mandant gar nicht danach gefragt wurde – wieso sollte die Polizei ihn dann verdächtigt haben? Vor Gericht nannten die Zeugen unterschiedliche Gründe: Der Wilhelmsburger sei aufgrund seiner Kleidung aufgefallen, er habe Sympathie mit den Demonstranten vor dem igs-Gelände gezeigt. Eine Zeugin sagte nach Angaben des Verteidigers, Julian B. sei mit „Gesinnungsleuten“ im Park unterwegs gewesen. Der Rechtsanwalt fasste das als Hinweis auf ein rechtswidriges Vorgehen der Polizei auf – in Deutschland darf niemand nur aufgrund seiner oder ihrer Gesinnung verfolgt oder bestraft werden. Was sollte also die politische Einstellung von Julian B. zur Sache tun? Der Verteidiger hakte nach: „Welchen Zusammenhang sieht die Zeugin zwischen Gesinnung und ihrer polizeilichen Tätigkeit?“ Diese Frage helfe bei der Aufklärung des Falls nicht weiter, beanstandete der Staatsanwalt. Außerdem sei es nicht Aufgabe der Zeugin, rechtliche Bewertungen vorzunehmen, erläuterte er auf Nachfrage von WilhelmsburgOnline.de. So sah es auch die Richterin. Die Zeugin schwieg.

Repression oder Vorsichtsmaßnahme?

„Es geht um die Frage: War es legitim, Herrn B. sofort mit repressiven polizeilichen Maßnahmen zu belegen?“, erläutert der Verteidiger. Dazu hätten die Polizeibeamten auf dem igs-Gelände seinem Mandanten ein Vergehen nachweisen müssen, um ihn festnehmen zu dürfen. War es so? Oder nahm die Polizei ihn in Gewahrsam, weil sie mögliche Straftaten verhindern wollte? Auch dazu wollte der Verteidiger von der Polizistin im Zeugenstand Antworten hören. Die Zeugin aber schwieg – zurecht, wie die Richterin im Nachhinein entschied. Die Frage sei nicht rechtmäßig. „Die Richterin war der Auffassung, die Zeugin müsse nur schildern, ob und wie sie eine Person festgenommen habe. Ob es sich hierbei um eine repressive oder präventive Maßnahme handele, sei vom Gericht zu prüfen“, erklärt der Staatsanwalt. Julian B. sagt dazu: „Wir hatten den Eindruck, dass die Polizei das selbst gar nicht klar gehabt hat.“ Auch für seinen Anwalt ist die Sache noch nicht vom Tisch: „Man sieht, dass wir da einen wunden Punkt getroffen haben.“

Uneins blieben Verteidiger und Richterin auch in der Frage, ob Julian B. Körperverletzung vorgeworfen werden könne. Die Verletzungen, die eine Polizistin nach dem Einsatz auf dem Gartenschau-Gelände geltend machte, können dem Wilhelmsburger offenbar nicht zur Last gelegt werden. In der Zeugenbefragung sagte die Frau, sie habe sich an ihrer Handfessel selbst verletzt. „Ich wurde aber trotzdem deswegen verurteilt“, sagt der Wilhelmsburger. Die Staatsanwaltschaft teilt auf Nachfrage von WilhelmsburgOnline.de mit: „Es kommt vor, dass Staatsanwaltschaft und Gericht das Ergebnis einer Beweisaufnahme anders bewerten als die Verteidigung. So lag der Fall auch hier, weshalb der Angeklagte auch wegen Körperverletzung verurteilt wurde.“

Julian B. soll nun zahlen: 80 Tagessätze à 15 Euro hat ihm die Richterin aufgebrummt. Der Staatsanwalt hatte im ursprünglichen Strafbefehl nur 60 Tagessätze gefordert. Dass die Strafe nun härter ausfällt, ist laut Staatsanwaltschaft nichts außergewöhnliches: Bei einem Strafbefehl wird vorausgesetzt, dass ein Beschuldigter die Vorwürfe annimmt und damit ein Geständnis ablegt. Dafür fällt die Strafe geringer aus als im Strafgesetzbuch vorgesehen. „Wenn ein Angeklagter gegen den Strafbefehl Einspruch einlegt und – was natürlich sein gutes Recht ist – den Vorwurf bestreitet, muss er, wenn er verurteilt wird, gegebenenfalls auch mit einer höheren Strafe rechnen“ erläutert der Staatsanwalt.

Für Julian B. und seinen Rechtsanwalt ist das letzte Wort noch nicht gesprochen – sie wollen das Urteil anfechten. Kommt es zur Berufung, steht ein neuer Prozess vor dem Landgericht Hamburg an. Einen einsamen Kampf müsste der Wilhelmsburger wohl nicht befürchten: Bei seinem Prozess am Amtsgericht Harburg begleiteten ihn an jedem Hauptverhandlungstag 10 bis 15 Unterstützerinnen und Unterstützer in den Gerichtssaal. Sogar bei den nur rund 10 Minuten langen Sprungterminen sei Publikum dabei gewesen, sagt sein Anwalt: „Das war eine tolle Prozessbegleitung.“

von Annabel Trautwein

 

[fb_button] [tweetbutton]


Beitrag veröffentlicht

in

von

Schlagwörter:

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert