Wahltag in Wilhelmsburg

Zehn Kreuze für die Bezirkswahl, eins für Europa – viele Wilhelmsburger stimmten am Sonntag über die Politiker in Hamburg Mitte und das Europaparlament ab. Diesmal waren nicht nur Deutsche gefragt. Jeder Wilhelmsburger und jede Wilhelmsburgerin ab 16 konnte mitbestimmen, welche Parteien und Politiker in die Bezirksversammlung kommen und wer in Zukunft über wichtige Fragen im Stadtteil entscheidet. Den meisten jedoch schien dieses Recht nicht so wichtig. Ein Streifzug durch Wilhelmsburger Wahllokale.

Die Wahlbeteiligung? Amin Rasheed seufzt. Seit sechseinhalb Stunden stehen die Türen im Wahllokal 13701 in der Ganztagsschule Fährstraße offen, etwa 800 Namen stehen im Wählerverzeichnis, 93 Leute haben ihre Stimme abgegeben. 11,6 Prozent Wahlbeteiligung – ein ernüchterndes Ergebnis für 14.25 Uhr. „Drüben ist es auch viel besser“, sagt der Wahlbezirks-Vorsitzende und deutet auf den Flur. Am anderen Ende liegt das Wahllokal 13702, da stehen rund 1.600 Wahlberechtigte auf der Liste, etwa 200 sind bisher erschienen. „Kurz vor 18 Uhr werden vielleicht einige noch kommen“, sagt Amin Rasheed. Er hat Erfahrung, fünf Mal war er schon als Wahlhelfer im Einsatz. Auch Ingrid Kanthack, die zum zweiten Mal Stimmzettel ausgibt, ist optimistisch. Viele Jüngere waren wohl am Samstagabend lange unterwegs und schlafen noch aus, vermutet sie. Jugendliche waren bisher noch gar nicht da. „Die meisten waren zwischen 25 und 40“, sagt Amin Rasheed. Dass Senioren ausbleiben, könnte auch an den Stufen vor dem Schulgebäude liegen: Barrierefrei ist das Gebäude nicht.

Für Christine und Jan aus dem Reiherstiegviertel ist das kein Hindernis. Sie kommen mit ihrem Baby auf dem Arm und wechseln sich ab: Wer gerade nicht in der Wahlkabine zu tun hat, passt auf die Kleine auf. „Jede Wahl ist wichtig“, findet Christine. Wichtiger noch als die Europawahl ist ihr die Abstimmung zur zukünftigen Bezirksversammlung. „Das betrifft mich direkt“, sagt sie. Jan dagegen hat sich vor allem über die Europawahl schlau gemacht und die Bezirkspolitik eher „mitgewählt“. Was die Volksvertreter der EU entscheiden, gelte schließlich für alle Mitgliedsstaaten. „Wenn man es genau nimmt, ist die Wahl sogar wichtiger als die Bundestagswahl“, sagt er.

Post nicht angekommen? Portugiese aus Kirchdorf kann bei Europawahl nicht abstimmen

Auch Carlos de Freitas liegt die Abstimmung zur Europawahl am Herzen. Doch als der Portugiese aus Kirchdorf in der Windmühle Johanna seine Stimme abgeben will, gibt es ein Problem: Sein Name taucht auf der Liste der Wahlberechtigten zur Europawahl nicht auf. Thomas Hermann, der Vorsitzende im Wahlbezirk 13608, erkundigt sich bei der Wahlleitung im Bezirksamt. Carlos de Freitas müsste Post vom portugiesischen Konsulat bekommen haben, heißt es. Damit hätte er sich zur Europawahl anmelden können. „Aber ich kann mich nicht erinnern, irgendetwas bekommen zu haben“, sagt der Kirchdorfer. Auch seine rumänische Lebensgefährtin sei nicht vom Konsulat informiert worden.

Für Thomas Hermann ist der Fall neu: Bis 15.30 Uhr war außer Carlos de Freitas noch niemand ohne deutschen Pass da, auch in der Schicht vorher nicht. Bei den Wählern unter 18 halte sich die Wahlbeteiligung ebenfalls in Grenzen, sagt der Vorsitzende der Wahlhelfer. Drei oder vier Jugendliche seien bisher erschienen, um ihre Stimme zur Bezirkswahl abzugeben. Ansonsten ist er zufrieden: Die Wahlbeteiligung in der Windmühle Johanna liege bereits zwischen 30 und 40 Prozent. Aus anderen Wahllokalen wurde ihm von 10 Prozent berichtet, sagt er: „Das ist natürlich niederschmetternd.“ In Kirchdorf dagegen sei zur Kaffeezeit sogar noch mit einem leichten Anstieg zu rechnen. „Man wohnt hier eben gutbürgerlich“, sagt Thomas Hermann. „Da achten die Leute noch auf ihre bürgerliche Pflicht.“ Auch Carlos de Freitas nutzt die Chance, zumindest auf den Listen zur Bezirkswahl seine Kreuze zu setzen. „Ich bin ja froh, dass ich meine Stimme noch abgeben kann“, sagt er. Beim Konsulat will er noch mal nachfragen.

Wähler ohne deutschen Pass sind auch im Bildungszentrum Tor zur Welt an der Krieterstraße seltene Gäste. „Bisher haben wir nur deutsche Personalausweise gesehen“, sagt Brigitte Clausen, Vorsitzende im Wahlbezirk 13604. Ausländische Namen dagegen haben die Wahlhelferinnen schon oft abgehakt – mehr als deutsche, schätzen sie. „Jugendliche hatten wir fast gar nicht“, berichtet Brigitte Clausen. Zufrieden ist sie mit der Wahlbeteiligung noch nicht: Etwa 100 Wählerinnen und Wähler zählt das Team bis 15 Uhr, 1246 Wahlberechtigte stehen auf der Liste. Immerhin haben 93 Personen schon per Briefwahl abgestimmt, sagt die Vorsitzende. Damit kommt das Wahllokal immerhin auf rund 15 Prozent. Ob es noch mehr werden? „Das wollen wir doch hoffen“, sagt Brigitte Clausen.

Eine Wahlbeteiligung von 10 bis 11 Prozent, zwei Stunden vor Abstimmungsschluss – für Kirchdorf-Süd sei das normal, sagt Regina Deinert. Wie üblich hilft sie am Karl-Arnold-Ring aus, wo drei Wahllokale im Schulgebäude untergebracht sind. Ihr Bezirk hat die Nummer 13616. „Wir haben immer eine schlechte Wahlbeteiligung hier“, sagt sie. Nur bei der letzten Bezirkswahl habe sie eine Überraschung erlebt: „Da hatten wir 25 Prozent.“ Heute könne das Team froh sein, wenn es noch 12 Prozent werden. Auch in den beiden Wahllokalen nebenan sei auffallend wenig los, sagt ihr Sohn Philipp. Bei früheren Wahlen hätten die Leute dort zeitweise Schlange gestanden, diesmal sei kein Mensch zu sehen. „Viele Wähler sagen: Die Politiker kennen wir überhaupt nicht“, erzählt Philipp Deinert. Das könnte auch der Grund dafür sein, dass bisher nur vier oder fünf Jugendliche da waren, um ihre Stimme für die Bezirksversammlung abzugeben. Ausländische Wähler sind zahlreich erschienen – vor allem Leute aus EU-Ländern. „Da hatten wir eine ganze Menge“, meint Philipp Deinert. Ob sich wohl noch mehr Nachbarn aus der Siedlung auf den Weg machen, bevor die Türen schließen? „Erwarten tun wir es nicht“, sagt Regina Deinert. „Aber wir hoffen es.“

von Annabel Trautwein

 

 

Wie hat Hamburg abgestimmt?

Die Ergebnisse der Europawahl werden noch am Sonntagabend ausgezählt. Wer die Ergebnisse direkt verfolgen möchte, findet eine Übersicht der in Hamburg erzielten Ergebnisse beim Statistischen Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein. Um ca. 21:30 Uhr hat die SPD mit 33,8 Prozent die Nase vorn. Diesem Zwischenstand zufolge liegt die Wahlbeteiligung zur Europawahl in ganz Hamburg bei etwa 42,7 Prozent.

Die Stimmen zur Wahl der Bezirksversammlungen werden erst am Montag ausgezählt. Ab Mittag ist laut Landeswahlamt mit den ersten Ergebnissen zu rechnen. WilhelmsburgOnline.de informiert so schnell wie möglich über den Ausgang der Wahlen für den Bezirk Hamburg-Mitte und die Ergebnisse aus den Wahllokalen auf der Elbinsel.

 

 

[fb_button] [tweetbutton]


Beitrag veröffentlicht

in

von

Schlagwörter:

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert