Was heißt hier Beteiligung?

Stressig, frustrierend und trotzdem alle Mühen Wert – so sieht Bürgerbeteiligung in Hamburg aus der Insider-Perspektive aus. Nicht nur in Wilhelmsburg, auch auf St. Pauli, in Othmarschen, St. Georg oder Winterhude geraten engagierte Menschen in Konflikt mit der Politik der Volksvertreter. Beim Beteiligungsforum „Mitreden – Entscheiden – Selbermachen“ kamen Aktive aus ganz Hamburg im Bürgerhaus zusammen. Sie berichteten von ihrem Kampf gegen Entscheidungen von oben und suchten nach besseren Wegen. Dabei wurde deutlich: Das Mitgestalten von Staates Gnaden reicht nicht zum glücklich werden – doch ganz ohne den Staat scheint es auch nicht zu gehen.

Mehr Bürgerbeteiligung! In Wahlkampfzeiten ist das eine beliebte Forderung. Selbst regierende Politiker, die im Einzelfall auch ohne das Okay der Bürger über deren Alltag entscheiden, sind dafür. Doch was ist bisher aus dem Versprechen geworden? Das wollten der Verein Zukunft Elbinsel Wilhelmsburg, der Einwohnerverein St. Georg und Mehr Demokratie e.V. genauer wissen. Sie luden zum hamburgweiten Beteiligungsforum ins Wilhelmsburger Bürgerhaus ein. Etwa 100 Leute kamen – Aktivisten, Interessierte, Frustrierte, Politikerinnen und Politiker mit und ohne Mandat. Sieben Stunden lang tauschten sie Erfahrungen aus, definierten ihre Ziele und fühlten anschließend den gewählten Volksvertretern auf den Zahn. Die Wilhelmsburger Initiatoren sind zufrieden mit dem Ergebnis: „Es gab nicht nur ein vielstimmiges Klagelied, sondern vor allem einen kraftvollen Blick nach vorn“, fasst der Verein Zukunft Elbinsel zusammen.

Geschenkt oder gefürchtet? Mitsprache im Beirat

Wo geht der Bürger hin, wenn er sich einbringen will? Die Stadt Hamburg hat zu diesem Zweck Stadtteilbeiräte vorgesehen. In etwa jedem zweiten Stadtteil, auch in Wilhelmsburg, tragen die ehrenamtlichen Beiratsmitglieder Wünsche und Beschwerden aus ihren Nachbarschaften zusammen und geben den gewählten Politikern im Regionalausschuss ihres Bezirks Empfehlungen auf den Weg. Sie beraten die Entscheidungsträger, um das Beste für ihren Stadtteil rauszuholen. Beiräte und Bezirksgremien sollten also Partner sein – doch damit ist es in der Praxis nicht weit her, berichtete Michael Joho aus St. Georg. Seiner Erfahrung nach sehen viele Bezirkspolitiker den Beirat als Störfaktor und ziehen es vor, sich nicht reinreden zu lassen. Diese Geringschätzung mache sich auch finanziell bemerkbar, kritisierte Michael Joho: So solle dem Beirat in St. Georg nach 35 Jahren der Geldhahn zugedreht werden, weil das entsprechende Förderprogramm endet. Einige Beiräte machen auf eigene Faust weiter – auch der Wilhelmsburger Stadtteilbeirat, der nun auf Geld von Privatfirmen angewiesen ist. Doch ob die Stimme eines Beirats ernst genommen wird, ist laut Michael Joho noch nicht gesichert. „Wir brauchen neue Rechte. Wir wollen auch mitbestimmen“, forderte er im Bürgerhaus. Hamburg soll dafür einen Posten im Haushalt schaffen, der genug Geld für Beiräte in allen Stadtteilen enthält – zu seinem eigenen Besten. „Damit wäre Hamburg die erste Metropole auf europäischem Boden, der eine flächendeckende Beteiligungsstruktur hat“, sagte Michael Joho.

Die gewählten Volksvertreter hatten dazu ihre eigenen Ansichten: Kurt Duwe (FDP) fand, die Beiräte sollten sich alle selbst finanzieren, statt es sich mit öffentlichem Geld bequem zu machen. Dirk Kienscherf (SPD) sicherte zu, es werde mehr Geld für die Beiräte geben – jedoch nicht für alle Stadtteile, sondern nur dort, wo es sich aus Sicht der Stadt auch lohnt. Nach Meinung von Heike Sudmann (Linke) lohnen sich Beiräte überall – schließlich würden sie auch helfen, Geld zu sparen, indem sie als Experten vor Ort unsinnige Beschlüsse verhindern.

Bürgerbegehren, Volksentscheide: Was bringt eine Liste mit Unterschriften?

Auch mit Bürgerbegehren, Bürgerentscheiden oder per Volksentscheid können Betroffene ihre Stimme geltend machen. Bezirksämter können auf den Zug aufspringen, indem sie die Ziele eines Bürgerbegehrens auf die eigene Tagesordnung setzen. Tun sie es nicht, obwohl genug Leute im Bezirk für das Anliegen unterschrieben haben, kann es zum Bürgerentscheid kommen. Dabei können die Bürger per Abstimmung einen Beschluss erwirken, der genauso viel wert ist wie das Votum der Bezirksversammlung. Das alles gibt es mit Volksbegehren und Volksentscheid auch auf landespolitischer Ebene – zuletzt im September 2013, als die Menschen in Hamburg den Senat zum Rückkauf der Energienetze zwang.

Bürgerentscheide haben jedoch in der Freien und Hansestadt schlechte Chancen, berichtete Aktivistin Angelika Gardiner von Mehr Demokratie: „In keinem anderen Bundesland ist so ein rabiater Umgang mit dem Bürgerwillen üblich wie in Hamburg.“ Da der Senat auch kommunale Themen mit dem Verweis auf „gesamtstädtisches Interesse“ einfach an sich reißen und Beschlüsse der Bezirke übergehen könne, sei mit einem Bürgerentscheid nicht viel gewonnen. Genauso sei es in Winterhude gelaufen, wo Kleingärten – ähnlich wie in Wilhelmsburg – dem Wohnungsbau weichen sollen, erzählte Uwe Puttfarcken von der Initiative „Eden für Jeden“ im Bürgerhaus. Ingo Böttcher von „Hamburgs Wilder Osten“ in Rothenburgsort berichtete, dass Bezirksämter das Eingreifen der Bürger schon im Keim ersticken könnten, indem sie wichtige Planungsunterlagen als vertraulich einstuften. Da greife dann selbst das viel gerühmte Hamburger Transparenzgesetz nicht mehr.

Die neuen Gegenspieler sind privat

Am späten Nachmittag trat im Bürgerhaus ein Mann auf, der sich – selbst wenn es ihn wirklich gäbe – um all das nicht kümmern müsste: Herr Eugen Sandstreuer von der DEGES, die als Planungsgesellschaft im Auftrag des Senats die Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße umsetzen soll. Der Wilhelmsburger Professor Michael Rothschuh war in die Rolle geschlüpft, um dem Publikum einen neuen Typ Gegenspieler vorzustellen: private Unternehmen. Begleitet von Beifall für die satirische Einlage erläuterte er, welchen Vorteil es habe, wenn Privatfirmen die Verfahren zur Bürgerbeteiligung übernehmen:„Sie wissen ja: Die Politiker verplappern sich immer wieder mal, die können das einfach nicht so gut.“ Im Fall der Reichsstraße habe die DEGES die Wilhelmsburger jedoch so erfolgreich übertölpelt, dass das Verfahren ins Handbuch des Bundesverkehrsministeriums für gute Bürgerbeteiligung aufgenommen wurde. In Wilhelmsburg werde die DEGES künftig von einem eigenen Büro aus auf die Menschen einwirken. Eugen Sandstreuer lud alle Anwesenden recht unverbindlich ein, mal vorbei zu kommen – zum Beispiel zum Kaffeetrinken.

Den engagierten Gästen im Bürgerhaus war eher nach Widerstand zumute. Durchhalten sei das A und O, sagte Angelika Gardiner – sie spreche als Mitstreiterin der Bürgerinitiative „Ohne Dach ist Krach“ aus Erfahrung: „Wir sind belogen, betrogen und getäuscht worden, man hat uns Informationen vorenthalten, wir haben sechs Verkehrssenatoren verschlissen – wir machen trotzdem weiter.“ Joachim Lau von Langenhorn 73 regte einen Erfahrungsaustausch an. „Wir haben im Nordnetz 15 Initiativen mit verschiedene Themen, aber dieselben, die uns an der Nase herumführen“, sagte er. Um Solidarität warb auch Theresa Jakob aus St. Pauli. Hier nutzten Privatfirmen wie die Holding Stage Entertainment ausgerechnet das Instrument des Bürgerentscheids, um die umstrittene Seilbahn durchzusetzen, die die Bezirksversammlung bereits mehrfach abgelehnt habe. Am 25. August wolle die Initiative 'Keine Seilbahn über unseren Köpfen' dagegen angehen. „Wir brauchen eure Unterstützung“, sagte Theresa Jakob.

Selbermachen? Die Grenzen der Feierabend-Politik

Wenn der Staat nur minimale Bürgerbeteiligung zulässt und die beauftragten Firmen die Menschen hinters Licht führen – wieso sollten sich Bürgerinnen und Bürger überhaupt auf sie einlassen? „Wir setzen gar nicht mehr auf Strukturen wie Beiräte“, sagte Stadtteilaktivist Niels Boeing von der Wunschproduktion St. Pauli. Bei den Planungen für die alte Rindermarkthalle wie auch in der Flüchtlingspolitik seien die Bürgerinnen und Bürger auf dem Weg der Selbstermächtigung ihren Interessen näher gekommen als die politischen Instanzen Hamburgs. Das Problem sei nur: Wenn das Selbermachen nach deren Ansicht zu weit geht, ist schnell Schluss. „Stadt und Bezirk haben genug Mittel, um auch selbstermächtigte Projekte platt zu machen“, sagte Niels Boeing. Zudem sei es zeitaufwändig, kräftezehrend und bisweilen auch teuer, der Stadt das Heft aus der Hand zu nehmen. Davon erzählte auch der Stadtplaner Michael Ziehl, der das Gängeviertels mit besetzte und nun als Genossenschaftsvertreter mit der Stadt um die Zukunft des Viertels streitet. „Ganz ohne die repräsentative Demokratie geht es nicht – denn so viel Zeit und Kohle haben wir als Normalbürger nicht“, fasste Niels Boeing zusammen. Er forderte: Hamburg muss eine politische Ebene schaffen, auf der Bürgerinnen und Bürger mit allen nötigen Rechten ausgestattet sind, um sich selbst zu verwalten. Dazu müsste aber die Landesverfassung geändert werden.

Wer von den anwesenden Parteipolitikern wäre dazu bereit? Diese Frage stellte nicht nur Niels Boeing in den Raum, sondern alle, die von einer Stadtplanung und -Verwaltung von oben herab genug hatten. Die Meinungen der Abgeordneten der Fraktionen gingen weit auseinander. Christoph Ploß von der CDU wollte es lieber beim Austausch am runden Tisch belassen – wenn die Bürger selbst entscheiden könnten, bestehe die Gefahr, dass alle nur das verhindern würden, was sie nicht vor ihrer Haustür haben wollten. Olaf Duge (Grüne) stimmte zu, dass die Menschen mehr darüber mitbestimmen sollten, was in ihren Quartieren geschehe.„Ich glaube aber nicht, dass wir dazu gleich eine Verfassungsänderung brauchen“, sagte er. Auch Dirk Kienscherf von der SPD hielt wenig von der Idee. Zustimmen wollten nur die Abgeordneten der kleineren Fraktionen: Piraten, Linke und FDP sagten ja zum Vorschlag einer neuen Landesverfassung. „Was wir herstellen müssen, ist Verbindlichkeit“, sagte der Pirat Sebastian Seegers.

von Annabel Trautwein

 

Mehr erfahren?

Weitere Infos zum Thema Bürgerbeteiligung gibt es hier.

 

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