Was macht die Kunst? Im Hinterhof bei Familie Wolke

Sonne im Hinterhof, ein großes altes Backsteinhaus, zwischen den Schuppen ringsherum sprießt frisches Grün – hier leben und arbeiten Bente und Rainer Wolke. Inspiration finden die Illustratorin und der Schauspieler gleich vor dem Hoftor: Auf dem Stübenplatz, wo die Stammgäste der Kioske sich mit Marktleuten und Tagelöhnern abwechseln. Im Reiherstiegviertel, das für Künstler, junge Familien und Investoren eng zu werden scheint. Wilhelmsburg bietet Raum für neue Wege und eine Bühne für das Impro-Theater des Alltags – ein guter Ort für kreative Entdecker wie Rainer und Bente Wolke.

Bevor Bente Wolke im Hinterhof ihr Atelier herrichten konnte, musste die alte Autowerkstatt weg – inklusive des Altöls, das Jahre zuvor in den Boden gesickert war. „Es gab hier eine Zeit, da wurde hier kein Wert auf nichts gelegt, und alles versandete“, sagt Rainer Wolke. Das ihnen das alte Gewerbegrundstück als Atelierfläche angeboten wurde, war für die Künstler ein großes Glück. Ihre bisherigen Ateliers wurden saniert, danach würde die Miete zu teuer sein. Die Hausverwaltung bot alternativ das Gebäude im Hinterhof an der Veringstraße an. „Ein sehr fairer Zug“, sagt Bente Wolke – trotz der vielen Arbeit, die ihr neuer Arbeitsplatz ihr noch abverlangte. „Als wir uns hier umgeguckt haben, war völlig klar, dass das sehr spannend werden würde“, sagt sie.

Heute haben beide ihren Platz im Hinterhof: In einer ehemaligen Tischlerei im Haupthaus arbeitet Rainer Wolke an seinen Schaupspiel-Projekten, Bente Wolke hat ihr Atelier in einer Holzhütte im Nachbargarten. Das Backsteinhaus beherbergt neben weiteren Arbeitsstätten auch die Wohnräume der Familie. „Sanitär ist hier ein bisschen schwach“, sagt Rainer Wolke. Der Weg zur Toilette etwa führt quer über den Hof. Auch eine herkömmliche Heizung gibt es nicht, im Winter heizen die Wolkes mit Holzöfen. Für die bald vierköpfige Familie passt es so.„Das ist ein Leben, das uns echt gut liegt“, sagt Bente Wolke.

Die beiden Künstler haben Spaß daran, ihre eigenen Wege zu finden. Rainer Wolke hat sich – nach seiner Tätigkeit in einer Elektrodenfabrik, als Landschaftsgärtner, Restaurantfachmann, Winzer und Zimmerer – eine Existenz als fechtender Schauspieler aufgebaut. Inzwischen sei die Bühne aber sehr pazifistisch geworden, sagt er. Es werde kaum noch jemand umgebracht, schon gar nicht mit Degen. Um auch ohne ständiges Vorsprechen und unliebsame Brotjobs durchs Leben zu kommen, hat der 39-Jähre eine unabhängige Figur kreiert: Hans Müritz, König der Halunken. Beim Hafenfest in Harburg etwa ist der säbelschwingende Abenteurer mit Dreispitz und Gehrock fester Programmpunkt. „Diese Figur ist mein innerer Clown“, sagt Rainer Wolke.

Auch Bente Wolke hat ein Faible für zwielichtige Helden in altmodischem Gewand: Zirkusartisten, Matrosen, Spelunkenvolk sind ihre bekanntesten Motive. In Ensembles oder als Solisten bevölkern die beweglichen Pappfiguren die Atelierräume und Wohnzimmer rund um den alten Hinterhof – Seiltänzerinnen mit gestrecktem Fuß, Kraftprotze mit Ringelhemd und Eisenhanteln. Ein wilder Haufen Hampelmänner ohne Schnüre. „Das führt uns beide auch immer wieder zusammen: Wir bevorzugen diesen nostalgischen Stil“, sagt die 36-Jährige.

Unter dem Namen „Wolke & Wildstil“ konzipieren die beiden gemeinsame Kunstprojekte. Zurzeit arbeiten sie an der Gestaltung eines Hinterhof-Spielplatzes an der Sanitasstraße: Ein großer Pottwal, der einen Reisenden auf dem Rücken trägt, soll den noch leeren Betonhintergrund beleben. Außerdem wollen Bente und Rainer Wolke die Kunststoff-Verkleidung an einer Praxis in der Fährstraße gestalten, wo sich sonst spontane Straßenmaler mit Edding und Sprayflasche austoben. „Jedes Vierteljahr müssen die reinigen“, sagt Bente Wolke. Eine künstlerisch gestaltete Fläche – so hoffen die beiden – könnte Abhilfe schaffen. „Unter vielen Streetart-Künstlern gilt ja das ungeschriebene Gesetz, das Wandbild des Kollegen zu respektieren“, sagt Rainer Wolke.

Als Künstler wollen die beiden Verantwortung übernehmen für ihren Stadtteil. Dass das einer kommerziellen „Aufwertung“ Wilhelmsburgs in die Hände spielen kann, ist ihnen bewusst. „Das ist ja eine Strategie“, sagt Rainer Wolke. „Seit Jahren wird darüber geredet, Wilhelmsburg neu zu kultivieren. Da sind Künstler und Freischaffende eine gern genommene Komponente.“ Rainer und Bente Wolke sind gern gekommen und wollen noch lieber bleiben, auch wenn der Druck der steigenden Mieten spürbar wird. Doch zu den vielen Gesichtern von Wilhelmsburg gehören für sie auch die schroffen Züge – die Drogenroute, die früher den Hinterhof querte, die zerschlagenen Flaschen auf dem Stübenplatz, der Kiosk nebenan. „Da stehen teilweise ganz schön verhaute Jungs“, sagt Rainer Wolke. „Aber die haben auch ihren Platz, genauso wie wir. Und wenn ich rausgehe, grüßen wir uns.“

von Annabel Trautwein

künstlerischer Entwurf: © Wolke & Wildstil

 

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