„Ein Geschichtenerzähler aus Wilhelmsburg!“ Als solcher betrat Eddy Winkelmann zum ersten Mal die Bühne zur Tresenshow im Schmidt Theater. Das Publikum lag unter den Tischen vor Lachen nach dieser Ansage, erzählt der Liedermacher. Wilhelmsburg, das war wohl ein Reizwort damals. „Wahrscheinlich haben die einen Drogendealer erwartet, der gerade zwei Autos geknackt hat.“ Doch nach einer halben Stunde Blues in geschliffenen, deutschsprachigen Versen war klar: Der Mann bleibt. Mitten im Trubel aus Travestie und Tequila wurde der Wilhelmsburger Eddy Winkelmann ernsthaft und endgültig Musiker. Hamburg dankt es ihm.
Seit den legendären Tresenshows im Schmidt-Theater sind 23 Jahre vergangen. Eddy Winkelmann hat sie gut genutzt. Gerade ist seine fünfte Platte „Lederseele“ erschienen. Es sind Lieder mit gelassenen Rhythmen, feinsinnigen Texten und mildem Lächeln zwischen den Zeilen. Ein Sound zum Durchatmen am Strand – ganz anders als die frivolen Liedchen aus der Zeit der Tresenshows, die schwelgerischen Balladen auf dem inzwischen vergriffenen Album „Kieselsteingeflüster“ oder dem lockeren Spott der „Goldfisch“-Platte. Ein neues Album sei immer eine Wegmarke seines Lebens, sagt Eddy Winkelmann. „Lederseele“ fühlt sich für ihn besonders gut an: „Die Platte ist die beste, die wir je gemacht haben.“ Auf der Bühne des Schmidt Theaters hat er sie vorgestellt, danach kam das Hafenkonzert im Grünspan, bei 48h Wilhelmsburg spielt er auf dem Bunker mit Blick über seine Heimatinsel. „Ich bin gefragt“, sagt Eddy Winkelmann schlicht. Er weiß, was die Fans vor den Bühnen wollen und die Leute beim Radio. Er gibt es ihnen gern, denn am Ende ist es immer noch Seins. „Ich hatte nie jemanden zu bedienen“, sagt er.
Zu viel Tiefgang für Klischees
„Treibgut und Strandperlen“, „Landgang“, „das Salz auf deiner Haut“ – natürlich ließe sich das Klischee norddeutscher Hafenromantik mit Eddy Winkelmanns Texten herrlich ausstaffieren. Das weiß er auch. „Wenn die beim Radio die Wahl haben zwischen 'Augen zu und durch' und 'Unten am Strand', ist es nicht schwer zu raten, was sie nehmen“, sagt er. Das Bild passt einfach zu gut ins Raster: Eddy Winkelmann, der Jung von der Elbe, aufgewachsen in Opas Fischladen und am Hafen, der einen ehrlichen Handwerksberuf lernte, zur See fuhr und dann, wettergegerbt, zur Gitarre griff… Aber er will das nicht. Bloß nicht. Kein Kitsch, keine Kokette, keine Elbfolklore. Dafür hat Eddy Winkelmann zu viel Tiefgang. Dass auf der Oberfläche die schönen Bilder glitzern, kann er auch nicht ändern. „Ich bin mit solchen Metaphern aufgewachsen“, sagt er. „Das Wasser steht dir bis zum Hals. Du schwimmst gegen den Strom.“ Inzwischen hätten die meisten begriffen, dass seine Worte nicht immer wörtlich zu nehmen sind. „Ich bin glücklich, dass ich das über die Jahre durchgekämpft habe“, sagt er.
Auch seine Freunde hätten ihm dabei sehr geholfen, sagt Eddy Winkelmann. Viele, mit denen er auf der Bühne steht, sind langjährige Gefährten: Uli Kringler, den Gitarristen seiner Band, den Bassisten Jens Wrede, Schlagzeuger Heinz Luchius und Matze Kloppe, den Keyboarder, kennt er seit rund 15 Jahren. „Schöne Leute, tolle Leute“, schwärmt er. Die Freundschaft ist auf der Bühne eine wichtige Komponente. „Mein Gitarrist muss schon sehen, ob ich gut drauf bin“, sagt der Frontmann. Passt ein Stück gar nicht in die Stimmung, wird es nicht gespielt. „Ich bringe es auch nicht fertig, einen Blues zu schreiben, wenn ich gerade gut drauf bin“, sagt er. Kunstfiguren könnten sich leisten, nur aufs musikalische Handwerk zu setzen. Aber er ist nun mal keine Kunstfigur.
Bandenkriege im Rialto-Kino
Eddy Winkelmann ist Wilhelmsburger. Als kleiner Junge hat er die Flut erlebt, noch heute kennt er bei Sturm und Hochwasser jederzeit den Pegelstand. Wenn in der Zeitung etwas über Wilhelmsburg steht, liest er das immer als erstes. Er feierte das Jahr 2013 mit IBA und internationaler Gartenschau, er spielte mehrere Konzerte dort. Zur Abschieds-Revue des Rialto-Kinos sang er zu einem selbstgedrehten Film über seine Helden auf der Leinwand. Er erinnert sich gern an das alte Kino, damals wurden dort die Bandenfehden zwischen Bahnhofsviertel, Reiherstieg und Kirchdorf ausgefochten, erzählt Eddy Winkelmann. „Da war gleich klar: Hier kannst du dich hinsetzen, da nicht. Sonst wandert die nächste Cola in deinen Nacken.“
„Von Istanbul bis Singapur, vom Bauchtanz bis zum Shantychor“ – so besingt Eddy Winkelmann Wilhelmsburg, „die Insel meiner Träume“. Beim Musikfestival 48h ist er als einer der bekanntesten lokalen Musiker von Anfang an dabei. Trotzdem sieht er sich nicht als Insulaner mit angeborenem Sonderstatus. „Diese Art von Patriotismus ging mir immer ab“, sagt er. Es sei weder ein Verdienst noch ein Makel, aus Wilhelmsburg zu kommen. Und warum die damals bei Corny Littmanns Ansage im Schmidt Theater so gelacht haben – das ist ihm bis heute nicht ganz klar.
von Annabel Trautwein
So klingt's:
Wer Eddy Winkelmann live erleben möchte, sollte am Sonntag, 15. Juni, um 14 Uhr auf den Bunker an der Neuhöfer Straße kommen. Der Liedermacher spielt dort im Rahmen von 48h Wilhelmsburg zusammen mit Lars Luis Linek.
Songs zum kostenlosen Reinhören aus mehreren Jahrzehnten und den einen oder anderen Schwank aus dem Leben des Musikers gibt es hier.
[tweetbutton]
Schreibe einen Kommentar