Musikbus „Jamliner“: Nächster Stopp – Pop!

Weiße Hochhäuser türmen sich rund um den Markplatz am Karl-Arnorld-Ring in Kirchdorf-Süd. Dazwischen taucht jeden Mittwoch ein bunter Fleck auf, der hier irgendwie nicht so ganz reinpassen will. Unter den leuchtenden Graffitis steckt ein alter Linienbus des HVV, umgebaut zu einem mobilen Tonstudio. Im Musikbus „Jamliner“ können Kinder eine Band gründen und sogar ihre eigene CD aufnehmen. Für viele im Viertel die einzige Möglichkeit, Musik zu machen.

Laute Töne schallen über den ganzen Platz – manchmal etwas schräg, dann wieder im Takt. Der wilde Sound zieht auch Kinder aus der Nachbarschaft an. Neugierig pressen sie ihre Nasen gegen die Fenster und klopfen an die Scheibe. Eine Tür öffnet sich. Drinnen steht Jamliner-Mitarbeiter Ivo Jaklic, 48, lässig in Jeans und Sneakers. Jeden, der zu ihm in den Bus steigt, begrüßt er mit abgewandeltem Handschlag, Knöchel an Knöchel. „Wir machen hier immer Ghetto-Faust“, sagt er. Die Kinder kichern. „Wie alt seid ihr denn?“, fragt Jaklic die kleine Bande. „Wenn ihr zwölf seid, könnt ihr hier auch mitmachen.“

Der Jamliner soll Musik in Gebiete mit geringem kulturellem Angebot bringen. Die Idee: Kindern aus Hamburgs Brennpunkten eine Chance geben, Selbstvertrauen in die eigenen Leistungen zu entwickeln. Gefördert wird das Projekt von der Staatlichen Jugendmusikschule Hamburg. Seit 2000 ist der Jamliner in Hamburg unterwegs. Gerade hat der Musikbus seinen 10. Standort in Dulsberg bekommen. Seit 2002 kommt der Bus nach Kirchdorf-Süd. Jeden Mittwoch von 10 bis 18 Uhr.

Wilhelmsburg ist einer der Standorte, die das zusätzliche Angebot am dringendsten nötig haben, findet Ivo Jaklic. „Manchmal kommt es mir so vor“, sagt Jamliner-Mitarbeiter, „als habe man diesen Stadtteil vergessen.“ Mit offenen Mündern betreten die Kinder aus der Nachbarschaft das Innere des musikalischen Mobils. „Boah! Krass!“ So etwas haben sie noch nicht gesehen: Gitarren funkeln im Scheinwerferlicht an den Wänden, ein Schlagzeug thront auf einem Podest, Mikrophone hängen von der Decke, Kabel schlängeln sich zu einem Verstärker – ein schallisolierter Bandraum und dahinter ein Tonstudio. Die Kinder dürfen sich noch kurz im Inneren des Musikbusses umgucken, dann kommt die nächste Band.

Vivian ist heute als erste da. Sie setzt sich zu Ivo Jaklic ins Tonstudio und wartet auf den Rest ihrer Band – Nathalie, Lara und Assanato. Zusammen nennen sie sich „Die Girlies“. Vivian ist die Gründerin der Band und mit 14 Jahren die Älteste. Sie will selbst einmal Musikerin werden, schreibt in ihrer Freizeit eigene Songtexte. Während sie wartet, blättert sie in der „Bravo“ und schwärmt: „One Direction – Das sind unsere Vorbilder.“ Als die anderen Girlies dazukommen, wird schnell klar: auf den ersten Blick haben die Mädchen nicht viel gemeinsam. Sie gehen in unterschiedliche Klassen an verschiedenen Schulen in Wilhelmsburg. Und dennoch – Seit etwas mehr als einem halben Jahr spielen sie in der gemeinsamen Band.

Jetzt ist ihre CD fertig. Die Girlies treffen sich heute zum letzten Mal. Noch einmal zusammen rocken: Vivian stürmt in den Bandraum und schnappt sich die E-Gitarre, Nathalie den Bass, Assanato setzt sich an das Keyboard und das Schlagzeug spielt Lara. „Wie ging das noch mal?“, Lara kann sich nicht mehr so gut an ihren Part erinnern. Die Aufnahmen sind schon eine Weile her. Ivo Jaklic greift sich zwei Sticks und zeigt ihr den Rhythmus. Tam-Chaka-Tam. „Ach so war das!“ Lara macht es ihm nach. „Klappt doch super!“, lobt der Jamliner-Lehrer. Lara strahlt.

Abgesehen von der Altersbegrenzung kann im Prinzip jeder Schüler mitmachen. „Es gibt keine Voraussetzungen“, erklärt Jaklic. Wie sie die Instrumente spielen, bringe er ihnen bei. „Aber die Kinder müssen bereit sein, regelmäßig zu kommen“, fügt der Pädagoge hinzu. Für viele Kinder sei es schwierig durchzuhalten und dranzubleiben. Oft fehle ihnen die Überzeugung oder überhaupt die Vorstellung, dass sie selbst etwas schaffen können.

Dieses Potential in den „kleinen Künstlern“ zu wecken, das macht Ivo Jaklic an seinem Job am meisten Spaß. Am Anfang lernen die Kinder die Instrumente und wie sie als Band zusammenfinden. Dann schreiben die jungen Musiker ihren eigenen Songtext, unter seiner Anleitung. Wenn der Gesang und die Instrumente einzeln aufgenommen sind, baut der Jamliner-Mitarbeiter den Song am Computer zusammen.

Das fertige Lied spielt Ivo Jaklic der Band immer noch einmal vor. Der Song der Girlies heißt „Das Leben“: „Das Leben ist gar nicht so leicht, wie es im Fernsehen immer aussieht“, erklärt Nathalie das Thema. Es geht darum, dass man sich mit Geld nicht alles kaufen kann, dass Freundschaft wichtiger ist und denen zu helfen, die noch weniger haben:

„Das Leben ist nicht immer perfekt, doch denkt dran

Manche Menschen sind so viel schlechter als Ihr dran“

Im Text haben sie ihre persönlichen Erfahrungen verarbeitet, sagen die Girlies. Ob ihnen das Lied gefällt? Nathalie ist ganz zufrieden. Assanato wirkt eher skeptisch. „Ich mag meinen Gesang nicht so“, sagt sie selbstkritisch. „Warum das denn?“, will Ivo Jaklic wissen, der von ihrer rauchigen Stimme ganz begeistert ist. „Mein Deutsch ist noch nicht so gut“, sagt die Tochter einer Nigerianerin und eines Togolesen. „Dabei spricht sie schon richtig gut, obwohl sie erst zwei Jahre hier ist“, sagt ihre Bandkollegin Nathalie.

Der Musikpädagoge hat Verständnis, aber er will die Kinder auch animieren, sich in der neuen Sprache auszuprobieren: „Es gehört zum Konzept des Jamliners, dass die Songtexte immer auf Deutsch sind.“ Für viele Kinder nicht die Muttersprache. Sie sprechen oft Türkisch, Arabisch oder, wie auch Assanato, afrikanische Sprachen. Doch im Musikbus sollen die Kinder eine gemeinsame Sprache sprechen.

Jetzt halten die Girlies endlich ihre erste gemeinsame CD in den Händen. Jedes Exemplar wird von jedem Bandmitglied stolz signiert. „Ivo, du auch!“, fordern die Mädchen und geben ihm ein Versprechen: Sie wollen einen zweiten gemeinsamen Song im „Jamliner“ aufnehmen. Denn die Musik ist das, was sie verbindet.

von Lisa-Marie Eckardt

 

Mitmachen:

Der Jamliner arbeitet vormittags mit der Schule Stübenhofer Weg zusammen, nachmittags ist das Angebot offen für alle Schüler ab 12 Jahren. Wer dabei sein will, kann sich nach den Sommerferien direkt am Bus melden. Weitere Infos gibt es auf der Internetseite des Jamliners. Ivo Jaklic ist unter der Handynummer 01791176731 erreichbar.

 

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