Bühne frei für die „Wilde 13“ – die berühmt-berüchtigte Wilhelsmburger Buslinie hat es ins Programm des Thalia-Theaters geschafft. Gerade läuft das Stück „Die Wilde 13. Vom Sitzen auf angestammten Plätzen“ in der Spielstätte „Garage“ in der Gaußstraße an. Was im Film von Kerstin Schaefer und Marco Antonio Reyes Loredo bereits anklingt, denken die Theatermacher weiter: Was tun, wenn die eigene Heimat zur Marke wird? Welche Rolle spielen die Wilhelmsburger selbst dabei? Und was tun, wenn das Leben doch wieder alles einholt?
Die „Wilde 13“ ist spät dran: Erst nachdem alle Figuren auf der Bühne ihren Wilhelmsburger Alltag vorgestellt haben, biegt der Bus um die Ecke. Alle nimmt er mit auf seiner Route, alle auf ihrem angestammten Platz, tagein, tagaus. Nur eine will weiter vorankommen: I. Zielinsky (gespielt von Marie Löcker), eine energische Frau mit visionären Ideen. Fasziniert von einer Inselgesellschaft, die alle Kulturen und Lebensformen scheinbar problemlos in sich aufnimmt, ruft sie das Projekt „Hotel Vielfalt“ ins Leben. Hier soll Wilhelmsburg als Beispiel für eine Zukunft glänzen, in denen die monokulturellen Deutschen zur Minderheit geworden sind und von den toleranten Inselbewohnern lernen sollen.
Wilhelmsburger als Botschafter der Vielfalt
Als Werbeträger für ihre Vision krallt sich I. Zielinsky die Fahrgäste aus dem Bus: Den rustikalen Walther (Günter Schaupp), dessen Gedanken am Tresen zwischen Sturmflut-Erinnerungen und schlüpfrigen Fantasien über „Burka-Mädchen“ hin- und herpendeln. Grace (Marina Wandruszka), die Busfahrerin, die mit dem Kinderwunsch ihrer Lebensgefährtin hadert und die sich mit Mühe in den Spurrillen ihres Alltags bewegt. Und Faysal (Björn Meyer), der mehr Style hat als Bushido und ständig ins Fitnessstudio geht, aber an Mädchen nicht so richtig herankommt. Die „transkulturelle dörfliche Fahrgemeinschaft“ ist das Pfund, mit dem I. Zielinsky wuchert: Die drei sollen als Symbolfiguren für die Toleranz und Offenheit Wilhelmsburgs glänzen – und natürlich mit anpacken bei der Eröffnung des „Hotel Vielfalts“. Eigensinnig, brummelig und belustigt machen die Insulaner mit. Doch als plötzlich neue Leute auftauchen, die stilistisch nicht mehr ins Konzept passen, fliegt das ganze Projekt aus der Kurve…
Wie der Kinostreifen „Wilde 13“ aus der Wilhelmsburger Filmschmiede Hirn & Wanst setzt auch das Theaterstück auf schillernde Figuren und ihre Geschichte. Doch im Film sind es echte Menschen, die ihre Hoffnungen und Träume, Schmerzen und Triumph ins Licht rücken und dem Mosaik des Inselalltags eine besondere Tiefe verleihen. Walther, Grace und Faysal sind nicht echt, sie sind Prototypen. Was sie auf der Busfahrt erleben, steht dennoch symbolisch für die Herausforderungen, die auf ein marktreifes Wilhelmsburg zukommen.
Das Theaterstück denkt weiter, was der Film andeutet: Die Insel verändert sich, wird von oben nach unten durchgeplant und umgestaltet, hier und da wird gepfuscht, wo es der schöne Schein verlangt. Im Film sind es die Wilhelmsburger selbst, die diese Entwicklung erkennbar machen und kommentieren – diejenigen aber, die den Wandel vorantreiben, bleiben unsichtbar im Hintergrund. Hier fügt das Theaterstück einen neuen Blickwinkel ein: Plötzlich stehen die Macher im Rampenlicht. Ihre Ziele, ihre Methoden, auch ihre Nöte werden sichtbar. Und wenn sie zu scheitern drohen und doch noch die Kurve kratzen, stellt sich die Frage uns allen: Was war eigentlich unsere Rolle in dem Spiel?
von Annabel Trautwein
Die nächsten Vorstellungen:
- Freitag, 26. September, 20 Uhr
- Freitag, 3. Oktober, 19 Uhr
Thalia in der Gaußstraße (Gaußstraße 190 in Altona)
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