Auf Augenhöhe mit dem Jobcenter

Frust mit dem Jobcenter ist für viele Wilhelmsburger ein Dauerthema – nun wollen Bedürftige und Verantwortliche einen ersten Schritt aufeinander zu machen. Am Montag treffen sich engagierte Hartz-IV-Empfänger und Sozialarbeiterinnen mit der Chefin des Jobcenters auf der Insel. Sonja Lorenz soll aus erster Hand erfahren, was aus Sicht ihrer „Kunden“ schief läuft. Umgekehrt wollen die Wilhelmsburger von ihr wissen, mit welchen Vorgaben und Zwängen ihre Mitarbeiter fertig werden müssen – und wie ein besseres Miteinander klappen kann. Läuft das Gespräch gut, könnte die Wilhelmsburger Initiative einen Prozess in Gang setzen, der Tausenden Menschen das Leben erleichtert.

Die Liste der Klagen ist lang: Immer wieder verschwinden Papiere in den Aktenstapeln – dann droht das Jobcenter, das Sozialgeld zu kürzen. Leute mit solider Berufserfahrung oder gar Uni-Abschluss werden in Aushilfsjobs gedrängt oder zum Putzen geschickt – ein billiger Lohn gilt mehr als ein ausländisches Zeugnis. Wer das Behördendeutsch nicht versteht, hat Pech gehabt. Und wer sich beschwert, muss damit rechnen, noch größere Probleme zu bekommen. So jedenfalls erleben es Bedürftige in Wilhelmsburg. Sie sagen: Es gibt eine Menge zu verbessern.

Konkrete Ideen dazu gibt es schon. Im Bürgerhaus hat sich eine kleine Gruppe von sogenannten Jobcenter-Kunden und Sozialarbeitern gebildet, die Verbesserungsvorschläge erarbeitet: Es sollte jedes Mal eine Quittung geben, wenn jemand Unterlagen einreicht, finden sie. Wer nicht genug Deutsch kann, muss einen Dolmetscher zurate ziehen können. Ausländische Bildungsabschlüsse sollen genauso anerkannt werden wie deutsche, und wer mehr lernen kann und will, muss dazu die Chance bekommen. Außerdem soll nicht immer nur das Jobcenter anprangern, wenn etwas nicht läuft wie geplant – auch Hilfebedürftige Menschen sollten sich beschweren können und gehört werden. Vieles davon sei heute schon Vorschrift, sagen die Sozialberaterinnen Christiane Tursi und Christel Ewert. Nun müsse dafür gesorgt werden, dass sich auch die Sachbearbeiter daran halten. „Wir wollen zumindest, dass das umgesetzt wird, was im Gesetz steht“, sagt Christel Ewert.

Auch Sachbearbeiter stehen unter Stress

Das Jobcenter auf der Elbinsel ist kein Sonderfall. Auch an anderen Standorten kommt immer wieder Frust auf, wie Hartz-IV-Empfängerinnen in der Runde berichten. Das Jobcenter in Wilhelmsburg geht sogar schon dagegen an: Anders als in anderen Stadtteilen treffen sich Sozialberater und Mitarbeiter des Jobcenters zwei Mal im Jahr, um Probleme zu besprechen. Trotzdem gibt es immer noch Frust – und zwar auf beiden Seiten. Auch die Sachbearbeiter leiden unter dem Stress an ihrem Arbeitsplatz, sagen Berater und Bedürftige in der Wilhelmsburger Runde. Das Gleichgewicht von „Fördern und Fordern“ ist gekippt. Der Fehler liegt offenbar im System.

Wie könnte eine gute Lösung für alle aussehen? Das wollen einige aus der Initiative am 10. November gemeinsam mit der Chefin des Wilhelmsburger Jobcenters erörtern. Auch die Probleme und Nöte der Sachbearbeiter sollen in dem Gespräch Platz finden. Gibt es Vorschriften von oben, Zeitdruck oder Engpässe beim Budget, die die Mitarbeiter unter Druck setzen? Was muss sich aus ihrer Sicht ändern, damit sie ihrem Auftrag gerecht werden können? „Wir können denen nicht vorschreiben, wie sie die Probleme lösen sollen“, sagt Christiane Tursi. Zuerst müssen gegenseitiges Verständnis und Respekt geschaffen werden – so hat es auch eine Initiative in Berlin gemacht, die mit vereinten Kräften und langem Atem tatsächlich Lösungen erarbeitet hat, die allen zugute kommen. Nun muss das auch in Wilhelmsburg gelingen, sagen die hier Aktiven. Das Gespräch mit Jobcenter-Chefin Sonja Lorenz am Montag soll ein Anfang sein.

Die Berliner haben jahrelang um Verbesserungen gekämpft. Auch in Wilhelmsburg machen sich die Engagierten keine Illusionen, dass ein Gespräch reichen könnte, um etwas zu bewirken. „Wir können nur einen Gesprächsanfang machen“, sagt Christel Ewert. Danach komme es darauf an, den Dialog zwischen Bedürftigen und Jobcenter lebendig zu halten. Ein Dutzend Leute reiche dazu nicht aus, meinen die Aktiven im Bürgerhaus. Sie hoffen auf Gleichgesinnte, die sich auch aufraffen und mitmachen wollen. Wer bei späteren Treffen dabei sein möchte, kann sich telefonisch unter der Nummer 040 754 18 40 oder unter 040 28 57 41 18 melden. „Wir brauchen einen Schneeball-Effekt“, sagt Christiane Tursi.

von Annabel Trautwein

 

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Kommentare

2 Antworten zu „Auf Augenhöhe mit dem Jobcenter“

  1. Avatar von
    Anonymous

    Mittlerweile ist doch schon mehr al ein Monat, seit dem Trefffen mit dem Jobcente vergangen. Was ist denn dabei raus gekommen?

    1. Avatar von WilhelmsburgOnline.de

      Dabei sein konnten wir bei dem Gespräch leider nicht. Einzelne Teilnehmerinnen berichteten uns aber, das Treffen sei sehr gut verlaufen. Die Betroffenen haben ihre Kritik angebracht, aber auch signalisiert, dass sie mit dem Jobcenter zusammen nach Lösungen suchen wollen. Das kam offenbar gut an. Die Jobcenter-Chefin Sonja Lorenz erklärte sich zu weiteren Gesprächen bereit, wie uns berichtet wurde. Die Arbeitsgruppe hatte von Anfang an das Ziel, einen langfristigen Dialog in Gang zu bringen.

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