Das war nicht leicht zu schlucken für Oberbaudirektor Jörn Walter: Wilhelmsburg als Stadtteil zweiter Klasse? Verschimmelnde Neubauten und immer mehr Lärm und Abgase? Dieses Bild präsentierte ihm der Verein Zukunft Elbinsel bei der „Pegelstand“-Debatte am Mittwochabend im Bürgerhaus. Unter dem Titel „Was nun, Herr Oberbaudirektor Walter?“ forderten die langjährigen Aktivisten ihn heraus zum Schlagabtausch über die Entwicklung Wilhelmsburgs. Jörn Walter besänftigte, erklärte, relativierte und räumte ein: „Wir sind noch lange nicht am Ende.“ Wer jedoch immer lauter protestiere, obwohl Wilhelmsburg bei der Stadtplanung schon seit Jahren bevorzugt werde, tue dem Stadtteil keinen Gefallen.
Nach Internationaler Bauausstellung, Gartenschau und „Sprung über die Elbe“ geht es wieder bergab in Wilhelmsburg – das jedenfalls befürchten die Kritiker aus dem Verein Zukunft Elbinsel. Hinweise auf einen Niedergang der Insel fanden sie einige: Die Stadt baue viel zu wenig Sozialwohnungen. Die Industrie bekomme wieder Vorrang vor den Menschen im Stadtteil. Selbst im Prestigequartier „Neue Mitte“ schimmelten die IBA-Wohnungen vor sich hin und sinke die Lebensqualität – nicht zuletzt wegen der Verkehrsplanung, bei der Hamburg wiederum den Lkw Vorfahrt lasse, während die dringend nötige U-Bahn nach Wilhelmsburg wohl nie ankommen werde. Oberbaudirektor Jörn Walter sah sich mit einem desolaten Wilhelmsburg-Bild konfrontiert.
Verkehrslärm im IBA-Quartier – Investor befürchtet Ärger mit Anlegern
„Wir sind uns nicht sicher, ob die Stadt den Sprung über die Elbe überhaupt fortsetzen will“, sagte Cornelia Stolze aus der Neuen Mitte. Bei ihrem Umzug von Eimsbüttel ins IBA-Quartier hatte sie auf eine ruhige Nachbarschaft mit hoher Wohnqualität gehofft – nun aber trage sie Oropax gegen den Verkehrslärm und müsse feststellen, dass einige Nachbarn schon wieder wegziehen. Die Technik in den IBA-Häusern funktioniere oft nicht richtig, besonders die Waterhouses schimmelten und die Stellplätze vor den Häusern würden ständig von fremden Autos zugeparkt. Zudem, ergänzte Matthias Korff, gehe das Gerücht um, die Dratelnstraße werde vierspurig ausgebaut und der Verkehr auf der Neuenlander Straße nehme zu, wenn die Wilhelmsburger Reichsstraße verlegt wird. Mehr Lärm und Abgase – das wäre für ihn als Investor und Bauherr des „Woodcube“ nicht nur ein persönliches Problem. „Das würde einen finanziellen Schaden bei uns auslösen. Ich hätte Schwierigkeiten, das gegenüber meinen Anlegern zu begründen“, sagte Matthias Korff.
Nach dem Vortrag von Jörn Walter aber schien er beruhigt. Es sei tatsächlich nicht mehr als ein Gerücht, dass die Neue Mitte mit zusätzlichem Verkehr rechnen müsse, erklärte der Oberbaudirektor. An der Dratelnstraße sei zwar künftig mit mehr Fahrzeugen zu rechnen, doch für die reiche eine zusätzliche Abbiegespur an der Kreuzung. Neuenfelder Straße und Mengestraße dagegen würden in Zukunft sogar entlastet, erläuterte Jörn Walter. „Für sie beide wird sich die Situation, was den Lärm betrifft, verbessern“, versprach er den Kritikern. Von Betriebsstörungen im Hochtechnologie-Bau könne er übrigens ein Lied singen: Im neuen, bunten Gebäude seiner Behörde an der Neuenfelder Straße müssten die Mitarbeiter erst lernen, mit der Passivhaus-Technik zurecht zu kommen. Auch der Schimmel in den Waterhouses sei wohl darauf zurückzuführen – und nicht auf Baumängel, wie Cornelia Stolze vermutet hatte.
Beim Thema öffentlicher Nahverkehr wurden sich Kritiker und Chef-Stadtplaner dagegen nicht einig – obwohl Michael Rothschuh vom Verein Zukunft Elbinsel aus seiner Sicht einen guten Vorschlag gemacht hatte: Die U4 sollte, statt in der HafenCity zu enden, bis nach Wilhelmsburg fortgesetzt
werden und auf der Trasse der heutigen Wilhelmsburger Reichsstraße bis nach Harburg fahren. Mit neuen U-Bahnstationen auf Höhe Vogelhüttendeich, Rotenhäuser Straße, Rathaus, Brackstraße und Hauland wäre Wilhelmsburg deutlich besser erreichbar, zudem könnten die Bewohner der Neuen Mitte häufiger auf ihr Auto verzichten und die alte Reichsstraße wäre gut genutzt – billiger sei der Ausbau des öffentlichen Verkehrsnetzes nirgendwo zu haben, argumentierte Michael Rothschuh. Den Oberbaudirektor überzeugte er dennoch nicht. Es lohne sich weder finanziell noch verkehrstechnisch, eine U-Bahntrasse genau parallel zur bestehenden S-Bahnstrecke zu bauen – auch wenn sie billig zu haben wäre. Schlecht angebunden sei Wilhelmsburg vor allem im Westen und Südosten. „Den 13er Bus brauchen Sie dann trotzdem noch“, sagte Jörn Walter. Außerdem gebe es in Wilhelmsburg einfach nicht genug Fahrgäste, damit sich die Strecke lohnen würde. Das sahen viele der rund 100 Zuhörer anders. Zu Stoßzeiten passten Fahrgäste kaum noch in die Bahn, kritisierten sie. Entsprechend skeptisch reagierten sie auf das zweite Gegenargument des Oberbaudirektors: „Es gibt in Hamburg dringlichere Strecken.“
Beim Thema Wohnungsbau wurde die Luft in dem überfüllten Raum noch dicker. Der Verein Zukunft Elbinsel hatte Tobias Behrens, Geschäftsführer der Firma Stattbau Hamburg, ans Rednerpult gebeten, um die Bemühungen der Stadtentwicklungsbehörde kritisch zu beleuchten. Jörn Walters Behörde kam schlecht weg dabei: Gemessen am tatsächlichen Bedarf reiche der Bau an Sozialwohnungen überhaupt nicht aus, kritisierte Tobias Behrens. Von allen Hamburgern hätten 44 Prozent Anspruch auf eine geförderte Wohnung, hinzu kämen diejenigen, die von außerhalb in die Stadt ziehen wollten – da sei der viel gelobte Mix von je einem Drittel Sozialwohnungen, gewöhnlichen Mietwohnungen und Eigentum viel zu knapp bemessen. Hinzu kam Kritik aus dem offenen Mikrofon: Die Fuß- und Radwege seien nicht sicher genug, die Stadt enttäusche jede Hoffnung auf attraktiven Wohnraum am Wasser und denke bei allem nicht groß genug.
So viel Schelte, nachdem Hamburg mehr als eine Milliarde in die Insel investiert hatte? Das wollte Oberbaudirektor Jörn Walter nicht auf sich sitzen lassen. „Es geht nicht zu sagen, dass das, was hier gemacht wurde, alles Dreck und Mist ist“, entgegnete er. Gerade in Wilhelmsburg habe die Stadt sehr gründlich geplant und viel erreicht. „Dass wir keineswegs schon alles gelöst haben, wissen wir gut“, räumte der Oberbaudirektor ein. Zum Beispiel habe die städtische Wohnungsgesellschaft SAGA GWG jahrzehntelang vor allem saniert, weshalb sie nun im Bausektor weniger schnell voran komme. Ob die Stadt grundsätzlich genug baut oder den Bedarf richtig einschätzt, wollte Jörn Walter nicht kommentieren – für diese politischen Fragen sei er als Verwaltungsfachmann nicht der Richtige. Dass Hamburg aber mit hohen Zielen an die Stadtentwicklung herangehe, sei gerade in Wilhelmsburg deutlich geworden. „Diesen Anspruch zu halten, das ist die eigentliche Herausforderung“, sagte Jörn Walter.
Nun aber stünden die Errungenschaften der Stadtplaner wieder auf der Kippe, kritisierte Manuel Humburg in seinem Vortrag zum „Hafen-Stadt-Konflikt“. Wilhelmsburg drohe zum reinen Industriegebiet zu verkommen, weil sich Wirtschaftsbehörde und Hafenbetriebe im politischen Ringen um Platz und Prioritäten immer wieder durchsetze. Nun werde offenbar ein Wohnungsbau-Areal am Haulander Weg geopfert, um Platz für die Holsten-Brauerei zu schaffen, sagte Manuel Humburg und zeigte dazu einen Ausschnitt des Hamburger Abendblatts, das Spekulationen über einen möglichen Umzug auf die Insel publik gemacht hatte. „Ein Unding“, beschied das Publikum, oder doch zumindest eine „Verlegenheitslösung“.
Von einer Lösung könne noch überhaupt keine Rede sein, stellte der Oberbaudirektor klar. Es sei noch völlig offen, wo die Brauerei hinzieht. Zwei Areale habe die Hafengesellschaft HPA schon angeboten, doch Holsten suche weiter. Dabei helfe die Stadt, weil sie die Brauerei nicht verlieren will. Die Gefahr eines Umzugs nach Wilhelmsburg halte er für „vergleichsweise gering“, sagte Jörn Walter. Dennoch werde es immer wieder zu Konflikten zwischen wirtschaftlichen und städtebaulichen Interessen kommen – gerade in Wilhelmsburg, das wegen seiner Lage zwischen Hafen und Umland für viele nur Transitgebiet sei. „Aber deswegen muss man nicht gleich den Mut verlieren“, sagte Jörn Walter. Gute Projekte wie das neue Naherholungsgebiet am Dockville-Gelände seien Signale, dass die Stadt weiterhin auf Lebensqualität in Wilhelmsburg setze. Das überzeuge nach und nach auch die Skeptiker aus Wirtschaft und Industrie, versprach Jörn Walter: „Selbst hartgesottene Hardcore-Gegner dieses Projekts sagen in kleinem Kreis: So schlecht ist das nicht.“
Oberbaudirektor wirbt für mehr Diplomatie
Eine Warnung gab der Oberbaudirektor den Wilhelmsburgern mit auf den Weg: Wer allen Zuwendungen und Fortschritten zum Trotz immer lauter protestiere, schade der Insel mehr, als dass er sie voranbringe. In keinen anderen Stadtteil außer der HafenCity habe Hamburg in den vergangenen Jahren mehr Geld gesteckt. Darüber dürften die Wilhelmsburger sich auch mal freuen, sagte Jörn Walter – „bei allem kritischen Inselgeist, den man sich auch wahren muss.“ Kompromisslose Forderungen und Proteste könnten auch nach hinten losgehen. „Dann entsteht auf der anderen Seite schnell das Gefühl: Die kriegen den Hals ja gar nicht mehr voll. Mit vernünftigem Reden kommen sie da weiter.“ Jörn Walter schloss sich damit dem IBA-Chef Uli Hellweg an, der zum Ärger des Vereins Zukunft Elbinsel geraten hatte, aus den „Schützengräben“ heraus zu kommen. Zudem bezweifelt der Oberbaudirektor, dass der Verein mit seiner Kritik für die Mehrheit in Wilhelmsburg spricht. „Mal ganz offen gesagt“, erläuterte er im Gespräch mit WilhelmsburgOnline.de, „Wenn sie hier im Stadtteil rumfragen würden, dann würden 80 Prozent schon sagen: Es ist besser und schöner geworden bei uns.“
Film zum "Pegelstand"
Hier könnt ihr euch ansehen, wie die Debatte mit dem Oberbaudirektor verlief. Dank an Klaus Schmidt und den Verein Zukunft Elbinsel fürs Filmen, Schneiden und Teilen!
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