Den Anwohnern im westlichen Reiherstiegviertel stinkt es gewaltig: Seit Jahren leiden sie unter der Geruchsbelastung durch die Produktion der Nordischen Oelwerke (NOW) am Veringkanal. Daran konnte auch die Internationale Bauausstellung IBA Hamburg nichts ändern. Dabei sollte das Städtebauprojekt doch die Firma unter Druck setzen und dafür sorgen, dass die NOW künftig verlässlich weniger Gestank ausstoßen.
Die IBA hatte einst angekündigt: "Maßnahmen der NOW führen zur Geruchsreduzierung im Reiherstiegviertel". Im Gegenzug sollte der Betrieb industrielle Abwärme an das IBA-Projekt Energiebunker liefern dürfen. So stand es in einer Pressemitteilung vom Juli 2011, mit der das Projekt öffentlich angepriesen wurde.
Recherchen von WilhelmsburgOnline.de haben nun ergeben: Die geplante Vereinbarung zwischen IBA und NOW ist nie zustande gekommen. Auf Anfrage bestätige IBA-Geschäftsführer Uli Hellweg, dass es „bei den damaligen Gesprächen zwischen IBA Hamburg und Nordischen Oelwerken zu keiner Einigung gekommen ist.“
Als Voraussetzung für den Deal nannte die IBA damals: Die Geruchsbelastung durch die Produktion der Nordischen Oelwerke müsse „deutlich zurückgehen“. Das Ziel: die NOW mit Verträgen zur Umsetzung zu verpflichten. In der Pressemitteilung von 2011 hieß es noch, die Umsetzung der Sanierungsmaßnahmen der NOW habe bereits begonnen und solle in Abstimmung mit der Behörde für der Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) bis Ende 2012 abgeschlossen werden. Doch die Anwohner im Reiherstiegviertel warten bis heute auf die Umsetzung des Bunker-Deals.
Beschwerden um das Vierfache gestiegen
Die Geduld lässt nach: Während die Zahl der Beschwerden nach der IBA-Ankündigung zunächst zurückging, stiegen die Klagen im vergangen Jahr wieder deutlich an – um das Vierfache. Die Recherche von WilhelmsburgOnline.de ergab: Hatten sich 2013 die Anwohner noch lediglich 12 Mal beschwert, gingen 2014 bereits 48 Beschwerden bei der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) ein. Noch höhere Zahlen gab es zuletzt 2011, mit 69 Beschwerden.
Die NOW behaupten seit einigen Jahren „ausschließlich pflanzliche Öle“ für die Herstellung von Mischfetten und Fettsäuren zu verwenden, obwohl selbst auf der eigenen Website bis heute noch von „tierischen Rohstoffen aus Rindern, Schafen und Schweinen“ die Rede ist. Wegen des Gestanks bei der Produktion wird der Betrieb im Stadtteil auch spöttisch „Katzenkocherei“ genannt, obwohl die Firma nach eigenen Angaben keine Tierkadaver verarbeitet.
Kontrolliert werden die NOW von der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt. Daher habe die BSU das Projekt übernommen, erläuterte IBA-Pressesprecherin Anke Hansing zunächst, „weil es ohnehin Verträge mit der Behörde geben musste“.
Doch auch wenn die BSU für die Sanierung der NOW nun zuständig ist, die Behörde setzt den IBA-Deal nicht einfach fort: „Im direktem Zusammenhang mit der IBA wurden keine Maßnahmen vereinbart“, sagte BSU-Pressesprecher Magnus-Sebastian Kutz. Das durch die IBA in Auftrag gegebene Gutachten habe jedoch unter anderem als Grundlage für eine Anordnung der Behörde 2012 gemäß Bundesimmissionsschutzgesetz (§ 17 BImSchG) gedient. Aktuell werde eine dieser Maßnahmen, die Sanierung eines Tankfelds, umgesetzt. Weitere Maßnahmen seien die Modernisierung der thermischen Fettspaltung und die Optimierung von Abwasseranlage und Sammelbecken.
Was bleibt übrig vom Bunker-Deal?
Es bleibt die Frage, was vom ehemaligen Bunker-Deal übrig bleibt. Auch nach mehrfachen Anfragen verwies die BSU zurück an die IBA. „Die IBA hat mit den NOW nichts zu tun – das ist kein IBA-Projekt“, sagte IBA-Pressesprecherin Anke Hansing. Tatsächlich war es zwischen IBA und NOW zu keiner „Qualitätsvereinbarung“ gekommen, bestätigte IBA-Geschäftsführer Hellweg nach weiteren Nachfragen. Zu den Gründen, warum das Projekt scheiterte, gab die IBA keine Antwort. Von einem Wärmeliefervertrag ist nicht mehr die Rede. Die BSU-Auflagen seien „Teil einer Genehmigung für eine Erweiterung der Anlagen“.
Unterdessen ist ein Aufatmen für die Anwohner noch lange nicht in Sicht. Erst Anfang 2017 soll die Sanierung abgeschlossen werden, gab die BSU auf Anfrage bekannt. „Ziel ist eine Vermeidung von Emissionen und die möglichst weitgehende Erfassung der noch verbleibenden“, sagte der bisherige BSU-Pressesprecher Volker Dumann. „Ein gewisses Maß an Geruchsbelästigungen ist bei einem derartigen Chemiebetrieb allerdings immer zu erwarten.“ Inwiefern sich der BSU-Vertrag von den IBA-Zielen unterscheidet, wollte auch Dumanns Nachfolger Magnus-Sebastian Kutz bisher nicht beantworten. Eine Anfrage von WilhelmsburgOnline.de nach dem Hamburgischen Transparenzgesetz läuft.
Keine neuen Messungen vor 2017
Die letzte Messung der Geruchsbelastung wurde 2008 von der BSU in Auftrag gegeben. Ein Gutachten des TÜV Nord belegt den Gestank im Wilhelmsburger Westen. Nach den Kriterien Geruchsemissionsrichtlinie (GIRL) sind die Grenzwerte für Wohnungsbau im gesamten Gebiet westlich des Wilhelmsburger Reichsstraße mindestens um das Zweifache, teilweise um das Fünffache überschritten worden.
Neue Wohnungen wurden trotzdem gebaut, neue Messungen hat die BSU nicht durchführen lassen – und auch nicht geplant, obwohl die Zahl der Beschwerden wieder stark gestiegen ist. Neue Messungen seien erst sinnvoll, wenn alle Maßnahmen umgesetzt sind, meint die Behörde dazu. Zwar werden die NOW einmal im Jahr routinemäßig von der BSU kontrolliert, „dabei werden jedoch keine Emissionsmessungen durchgeführt“, schreibt die Pressestelle auf Nachfrage von WilhelmsburgOnline.de.
In einem Gutachten von 2011 im Auftrag der NOW und unter Beteiligung der IBA hatte der TÜV die Wirksamkeit der Sanierungsmaßnahmen bewertet: Bei konsequenter Umsetzung sei mit einem Rückgang des Ausstoßes von unangenehmen Gerüchen um 55 Prozent zu rechnen. Schon damals ging aus dem Gutachten hervor, dass die Geruchsbelästigung dadurch „nicht im gleichen Maße“ abnehme. Die Stadtentwicklungs-Behörde hielt dies dennoch „für vertretbar“, weil die Grenzwerte in „weiten Teilen Wilhelmsburgs” wegen der Nachbarschaft zur Industrie ohnehin überschritten sind und „unter Würdigung der Ziele und städtebaulichen Qualitäten der IBA/igs 2013 auch aus übergeordneter Sicht eine solche Belästigung akzeptiert werden kann“.
Die Wohnverträglichkeit der NOW steht jedoch nicht allein wegen der Geruchsbelastung infrage: Im November war die Firma erneut durch einen Brand in die Kritik geraten. Bereits 2001 war es sogar zu einer schweren Explosion in dem Betrieb gekommen. „Tanklager und Fabrikationshallen mit hochexplosiven Flüssigkeiten bedeuten in unmittelbarer Nähe von Wohnhäusern ein erhebliches Sicherheitsrisiko“, wirft der Verein Zukunft Elbinsel der Firma vor. Der Verein fordert politische Entscheidungen zum Schutz der Bevölkerung und drängt auf eine Verlegung der NOW.
Für Wilhelmsburg wird es laut BSU keine Entlastung durch eine Verlegung geben: weil das Emissionsschutzgesetz es nicht fordert und weil unklar ist, wer die Kosten tragen würde. In der Hafencity hatte die Stadt die störende Kaffeerösterei kurzerhand an den Hafenrand verlegt.
Der NOW-Geschäftsführer gab auf Nachfragen keine Antwort.
- von Lisa-Marie Eckardt
- Foto: WilhelmsburgOnline.de
- Grafik: (c) TÜV Nord Umweltschutz
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