Kein wildes Wachstum mehr bei 48h Wilhelmsburg

48h Wilhelsmburg zieht andere Saiten auf. Von Jahr zu Jahr ist das Musikfestival so sehr gewachsen, dass Budget und Spielorte aus allen Nähten zu platzen drohen. Und wieder stehen Scharen von Musikern bereit, um die Insel zum Klingen zu bringen. Damit sie vom 12. bis 14. Juni alle dabei sein können, gibt es neue Ideen: Ein zwölfköpfiges Programmkomitee stimmt nun Orte und Musiker aufeinander ab. Auch die Festivalkasse soll künftig öfter klingeln. Trotzdem soll 48h Wilhelmsburg bleiben, wie es ist – ein Nachbarschaftsfest ohne Eintritt, ohne Kommerz und mit hausgemachtem Inselkolorit.

Bulgarische Pop-Interpreten, Shantychöre, Dubstep-Djs, Rocker, Jazzer und Mantrensängerinnen – etliche stimmen sich schon ein auf den Höhepunkt des Wilhelmsburger Musiksommers. 143 Anmeldungen führt das Organisationsteam von 48h Wilhelmsburg in der Liste. Wie passen die alle ins Programm? Für jeden Auftritt muss ein geeigneter Ort her, sei es ein Schaufenster, ein Wohnzimmer oder ein Bolzplatz. Jeder Ort braucht gute Technik und das Okay von den Behörden. Jede Genehmigung kostet Gebühr, die Technik kostet Miete und Einsatz von Helfern, die sich auskennen. Das Kopfzerbrechen hat schon begonnen.

Zum ersten Mal sind die Organisatoren im Bürgerhaus damit nicht allein. Ein zwölfköpfiges Programmkomitee unterstützt das Team bei der Auswahl. Die Helfer hören sich an, was die Musiker zu bieten haben, behalten das Spektrum der Stile und Genres im Blick und halten Ausschau nach neuen Konzertschauplätzen. Ausschließen sollen sie niemanden – grundsätzlich sollen alle auftreten können, die dabei sein wollen und den Elbinseln verbunden sind. Doch ganz frei nach dem Motto 'Wer kommt, der spielt' geht es auch nicht mehr. „Wir sind letztes Jahr definitiv an unsere Grenzen gestoßen“, sagt Projektleiterin Katja Scheer.

Viel Beifall, aber zu wenig Spenden

48h Wilhelmsburg wächst und wächst. Seit dem ersten Festival im Jahr 2010 hat sich die Zahl der Musiker, die dabei sein wollen, immer weiter gesteigert. Mehr als 160 Konzerte gab es im vergangenen Jahr zu sehen und zu hören – zur Freude von Publikum und Passanten. Längst zieht 48h Wilhelmsburg nicht nur Musikliebhaber aus der Nachbarschaft an, sondern Fans und Kenner aus allen Teilen der Stadt. So viele verschiedene Konzerte, dazu noch zu freiem Eintritt und gleich um die Ecke – das ist für Hamburg einzigartig, stellte die Jury des Hamburger Stadtteilkulturpreises fest und überreichte den Hauptgewinn an die Musiker und Macher von den Elbinseln. „Eine tolle Würdigung“, sagt Katja Scheer. Denn nun steht endgültig fest, dass sich der Erfolg von 48h Wilhelmsburg nicht nur in Applaus messen lässt.

Trotzdem stand das Musikfest schon kurz vor dem Aus. Die vielen Konzerte verschlangen Tausende Euro für Technik, Genehmigungen und Gagen, doch das Budget wuchs nicht schnell genug mit, berichten die Organisatoren. Auch die „Charme-Offensive“, mit der die Macherinnen und Macher um Spenden und freiwillige Beiträge warben, konnte das Loch in der Kasse nicht stopfen. Die Bilanz vom Sommer 2014 fällt ernüchternd aus: Trotz Ansturm und Applaus endete das preisgekrönte Festival mit einem fünfstelligen Minus. Für die Organisatoren war klar: So kann es nicht weiter gehen.

Mittelweg zwischen Kommerz und Pleite

Jetzt suchen sie nach einem goldenen Mittelweg, wie Steph Klinkenborg erläutert, die für die Finanzplanung von 48h zuständig ist: „Wir wollen weder Kommerz, noch wollen wir pleite gehen.“ Eintritt zu verlangen kommt für das Team nach wie vor nicht infrage. Auch mit der Idee, kommerzielle Buden aufzustellen, tun sich die Organisatoren schwer. Gerade das Selbstgemachte, Nachbarschaftliche mache den Charme von 48h Wilhelmsburg aus, erklärt Katja Scheer. Dass nicht große Marken, sondern der Kiosk oder das Stammlokal von nebenan für Speis und Trank sorgen, macht das Festival in Hamburg besonders – und so soll es auch bleiben. Für Katja Scheer und ihre Mitstreiter ist das wichtiger als ein neuer Rekord bei der Zahl der Konzerte oder Gäste. „Man kann nicht ewig wachsen, wenn man die Atmosphäre nicht kaputt machen will“, sagt sie.

Wachsen soll deshalb zunächst nur die Spendenbereitschaft im Publikum. Der Freundeskreis soll bekannter werden. Niemand soll mehr übersehen können, dass nach dem Konzert ein Hut mit Klimpergeld die Runde macht – und dass die Musiker auf dieses Geld angewiesen sind, wenn sie nicht nur mit einer glatten Null aus dem Festivalwochenende herausgehen wollen. Denn die kleinen Gagen von 50 Euro pro Kopf oder einer Pauschale für größere Gruppen hat das Organisationsteam gestrichen. Geld gibt es künftig nur noch als Kostenerstattung, damit die Bands und Solisten nicht selbst draufzahlen. „Es ist für uns nicht einfach, weil das all die Jahre anders gelaufen ist“, sagt Steph Klinkenborg. „Aber es ist auch ein Zugeständnis an die Realität.“

Auch das Programmkomitee soll darauf achten, dass 48h Wilhelmsburg nicht unkontrolliert über sich selbst hinauswächst. Einfach ist es nicht, denn nach wie vor sollen alle spielen dürfen. Doch bei der Frage, wer wann und wo auftritt, kommt es auch auf die Mischung an – bevor das Programm täglich 40 Punkrock-Konzerte oder sechs Chöre an einem Abend umfasst, sollen sich die Planer eine Alternativen einfallen lassen. Für einige wäre zum Beispiel Straßenmusik eine Lösung, sagt Katja Scheer. Bisher gilt dafür eine Regelung des Bezirks, nach der höchstens 30 Minuten und ohne Verstärker spontan draußen musiziert werden darf. Das Festivalteam hofft, noch mehr aushandeln zu können. Das käme nicht nur der Spiel- und Sangesfreude der Musiker entgegen, sondern auch der Idee von 48h Wilhelmsburg: Rausgehen, treiben lassen und den Sound der Inseln genießen.

von Annabel Trautwein

 

Dabei sein und mitreden:

Wer etwas zum Gelingen von 48h Wilhelmsburg beitragen möchte und Ideen beisteuern will, kann zu den offenen Zirkeltreffen kommen und sich einbringen. Einmal im Monat trifft sich die Runde, in der Regel um 18 Uhr. Bis zum Festivalbeginn sind es noch drei Termine: Mittwoch, 8. April, Mittwoch, 6. Mai und Donnerstag, 4. Juni. Die genaue Uhrzeit und der Treffpunkt werden hier rechtzeitig bekannt gegeben.

Fragen und Vorschläge nimmt auch Katja Scheer entgegen, per Mail unter katja@musikvondenelbinseln.de oder am Telefon unter 040-75201714.

 

 

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2 Antworten zu „Kein wildes Wachstum mehr bei 48h Wilhelmsburg“

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  2. Avatar von PauleW
    PauleW

    Das Konzept von 48h-Wilhemsburg finde ich doof. zwar soll ueberall etwas stattfinden, wenn man aber mnit dem Auto durch die Elbinsel am Samstag beispielsweise laengsgefahren ist – zugegeben: ohne auf den Plan zu schauen – dann war nirgendwo etwas los. Statt dessen trommelte spaet abends von irgendwoher Konservenmusik, und eigentlich habe ich ja nur handgemachte Live-Musik erwartet. Am Sonntag habe ich dann mich an zwei Location begeben, aber da war jeweils nur eine Handvoll Zuhoerer da. Und auch die Bands haben es wohl nicht fuer voll genommen, sie waren wohl mir der Minimalbesetzung nur aufgelaufen.

    Was ich besser finden weurde: mehrere zentrale Plaetze draussen (etwa die Marktplaetze in Kirchdorf-Sued, am Luna-Center und am Reiherstieg, gerne auch auf dem IGS-Gelaende – und vielleicht auch der Feuerwehrplatz in Moorwerder oder vor dem Parkplatz der  Ballin-Hallen oder beim Museum am Energieberg) dazu  vielleicht einige ueberdachte Locations ( Buergerhaus, Hofa, HdJs und Freizeithaus Kirchdorf-Sued, vielleicht auch bei Sohre) – und dann nur an diesen Plaetzen alles konzentrieren. Und dann eine Band nach der anderen dort jeweils aufspielen lassen.

     

    So verlaeuft sich alles. Und auch wenn ueber 60 Auftritte zuerst beeindruckend klingen, so verlaeuft es sich dennoch.

    Es erinnert mich alles ein wenig an einen Flohmarkt, welcher vor Jahren ich glaub von der damaligen Ortsgruppe der FDP organisiert wurde: der gesamte Niedergeorgswerder Deich sollte das Flohmarktgelaende sein. Natuerlich war dann zwischen den einzelnen Staenden jeweils gefuehlte 200 m Entfernung da – da  konnte keine Atmosphaere dann aufkommen.

     

     

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