Wer zieht als neuer Senator oder neue Senatorin in das bunte BSU-Gebäude in Wilhelmsburg ein? Auch nach der gemeinsamen Pressekonferenz von SPD und Grünen am Mittwoch sind noch viele Fragen offen. Fest steht: Jens Kerstan von den Grünen wird Senator für Umwelt. Den Chefposten in der Behörde, die seit 2013 im IBA-Bau an der Neuenfelder Straße ansässig ist, wird er sich jedoch teilen müssen: Das Ressort für Stadtentwicklung geben die Sozialdemokraten nicht her. Anfang der kommenden Woche will die SPD nach Angaben der Senatspressestelle bekanntgeben, wer künftig für Wohnungsbau und Stadtplanung zuständig ist. Der Koalitionsvertrag für den rot-grünen Senat aber steht. WilhelmsburgOnline.de hat nachgeschaut, was er für die Zukunft auf der Elbinsel verspricht.
Bessere Luft im Hafen, weniger Schadstoffe im Wasser der Elbe – als neuer Umweltsenator soll Jens Kerstan diese Ziele umsetzen. Um die Lage im Hafen zu verbessern, sollen etwa Schiffe, die besonders viel Dreck und Lärm ausstoßen, künftig mehr Hafengeld zahlen müssen. Auch die Pflanzen- und Tierwelt an der Elbe soll etwas besser geschützt werden. Im Vergleich zu den Zielen der SPD, der es vor allem um eine starke Hafenwirtschaft getan ist, fallen die Errungenschaften der Grünen jedoch schmal aus. Denn die dickste Kröte mussten sie am Ende doch schlucken: Die Elbvertiefung kommt, sobald sie gerichtlich beschlossen ist.
Viel zu tun gibt es auch für die künftige Senatorin oder den künftigen Senator für Stadtentwicklung. Die Zielmarken haben Olaf Scholz und die SPD schon weitgehend festgelegt. Für den Wohnungsbau etwa bleibt der Fahrplan derselbe: Mindestens 6.000 neu genehmigte und gebaute Wohnungen im Jahr sollen es werden, davon mindestens 2.000 geförderte. Die städtische SAGA GWG soll laut Koalitionsvertrag jährlich 1.000 Wohnungen errichten, die Flächen dazu will die Stadt bereitstellen. Gute Nachrichten gibt es für Menschen, die auf barrierefreie Wohnungen angewiesen sind: Der Senat verspricht, alle geförderten Wohnungen so zu bauen, dass Menschen mit und ohne Behinderung gleichermaßen gut darin leben können. Neubauquartiere wie die geplanten Siedlungen zwischen Assmann-Kanal und Jaffe-Davids-Kanal in Wilhelmsburg sollen allesamt inklusiv gestaltet werden. Als Vorbild gilt dem Senat dabei das inklusive Planungs- und Beteiligungsverfahren „Eine Mitte für Alle“ in Altona.
Hilfe für Mieter in prekärer Lage
Ein weiteres Ziel des neuen Senats in Hinblick auf bessere Wohnverhältnisse betrifft Wilhelmsburg besonders: Dort, wo immer mehr Menschen in problematischen Wohnverhältnissen leben, sollen die Fachleute der Stadt gegensteuern. Das soll auch Arbeiterinnen und Arbeitern aus anderen Ländern helfen, die heute bisweilen in Kellerräumen oder Treppenhäusern hausen müssen und dafür Miete zahlen. Die Entwicklung der Mieten will der Senat – neben anderen Quartieren in Hamburg – vor allem im Reiherstiegviertel im Blick behalten. Hier soll weiterhin geprüft werden, ob eine Soziale Erhaltensverordnung nötig ist, um Kostenexplosionen bei der Miete zu verhindern. Gegen Spekulationen mit leerstehenden Wohnungen will der Senat stadtweit vorgehen, ebenso soll die Mietpreisbremse Landesrecht werden.
Am Stadtentwicklungsprogramm für Wilhelmsburg, dem sogenannten Rahmenkonzept Zukunftsbild 2013+, will der Senat trotz Kritik einiger Gruppen von der Insel festhalten. „Die verlegte Wilhelmsburger Reichstraße wird gebaut. Die Entwicklung der Wohnquartiere erfolgt durch die IBA Hamburg GmbH“, heißt es im Koalitionsvertrag. Die Belastung der Insel durch Lkw-Verkehr aus dem Hafen soll sinken. Die neue Landesregierung stellt den Wilhelmsburgern dazu in Aussicht, „keinen durchgängig vierspurigen Ausbau der Dratelnstraße“ zu planen. Der Oberbaudirektor Jörn Walter hatte vor der Wahl bei einer Veranstaltung in Wilhelmsburg noch gesagt, für den zukünftigen Verkehr auf der Dratelnstraße reiche eine zusätzliche Abbiegespur.
Wenig konkrete Ideen für bessere Beteiligung
In Punkto Bürgerbeteiligung bleibt der Koalitionsvertrag schwammig. Bei Stadtentwicklungsprojekten sollen die Menschen vor Ort künftig mehr mitreden können. Was genau das bedeutet, sagt der Senat jedoch nicht. Er verspricht lediglich: „Bei Planverfahren, die vor Ort umstritten sind, insbesondere auch wenn zu diesen Bürgerbegehren betrieben werden, soll die lokale Bevölkerung mit Hilfe zusätzlicher Beteiligungsangebote in die Gestaltung der Vorhaben eingebunden werden.“ Die von der BSU veranstaltete „Stadtwerkstatt“ soll weiterlaufen. Ebenso bekennt sich der neue Senat zu den Stadtteilbeiräten, die laut Koalitionsvertrag auch über die Laufzeiten von Förderprogrammen hinaus die Beteiligung von Menschen in ihren Quartieren gewährleisten sollen. Einen eigenen Geldtopf als festen Haushaltsposten, wie ihn etwa der Stadtentwicklungsbeirat Wilhelmsburg fordert, sieht der Senat aber nicht vor.
Hamburg soll fahrradfreundlicher werden – auch darauf will der Grüne Jens Kerstan ein Auge haben. Über den Ausbau des Radverkehrs waren sich die beiden Parteien so einig, dass er sogar Investitionsschwerpunkt werden soll. Bessere Radwege und mehr Fahrradstraßen, ausreichend Stellplätze für Räder und mehr Stadtrad-Stadtionen sollen dafür sorgen, dass der Anteil der Radfahrer am Straßenverkehr bis in die 20er Jahre auf ein Viertel anwächst. Zudem sollen Radfahrer dort, wo es keine Gefahr bedeutet, auch bei vorhandenen Radwegen auf der Straße fahren und in möglichst vielen Einbahnstraßen auch gegen die Fahrtrichtung der Autos unterwegs sein dürfen. Auch die Radstrecke über die Norderelbe soll besser werden. Darüber hinaus halten die Verkehrspläne des neuen Senats wenig für Wilhelmsburg bereit: Die U4 soll nach bisherigem Stand nur bis zu den Elbbrücken fahren – ein Ausbau der Trasse Richtung Süden ist nur für den Fall vorgesehen, dass die Olympischen Spiele 2024 tatsächlich nach Hamburg kommen. Die S-Bahn Richtung Harburg soll „in jedem Fall“ verstärkt werden, doch eine zusätzliche Strecke ist nicht geplant. Auch beim Fährverkehr gucken die Wilhelmsburger in die Röhre: Die Linie 62 zwischen Finkenwerder und den Landungsbrücken soll ausgebaut werden, die Fährverbindung zwischen Wilhelmsburg und Stadt wird im Koalitionsvertrag dagegen gar nicht erwähnt.
Herumliegenden Müll effektiver entsorgen
Ein anderes Thema, das viele Wilhelmsburger beschäftigt, geht der Senat jedoch erklärtermaßen an: Der Müll auf Straßen und Plätzen soll weniger werden. Dazu soll vor allem besser geprüft und abgesprochen werden, wer welche Flächen sauber halten muss. Auch Bürgerinnen und Bürger sollen leichter mit der Stadt kommunizieren und Müll melden können. Dazu setzt der Senat auf die schon existierende Hotline „Saubere Stadt“. Die App dazu soll überprüft und weiterentwickelt werden. Zudem will der Senat sogenannte Müllsünder stärker zur Kasse bitten: Bis zu 8.000 Euro sollen für verbotenes Abladen künftig fällig werden.
Diese Maßnahmen waren bisher ein Job für die BSU an der Neuenfelder Straße und der ihr unterstehenden Ämter und städtischen Firmen. Wer als Ressortchef zuständig sein wird, ist noch unklar.
Sobald der neue Senat seine Arbeit beginnt, übernimmt Jens Kerstan einen Teil der Aufgaben, für die bisher die Senatorin für Stadtentwicklung und Umwelt verantwortlich war. Jutta Blankau (SPD) hatte schon vor der Wahl angekündigt, dass sie nicht erneut für den Posten antreten wird. Die scheidende Senatorin war die erste, die die Behörde von ihrem neuen Arbeitsplatz in Wilhelmsburg aus leitete. Im Laufe ihrer Amtszeit erntete sie auch einige Kritik – vor allem für den finanziellen Misserfolg der internationalen gartenschau (igs), die mit 37 Millionen Euro Miese endete. Auch ökologisch war das Großprojekt umstritten. Jens Kerstan soll als grüner Senator jetzt darauf achten, dass Flächen umweltverträglich hergerichtet werden.
von Annabel Trautwein
[tweetbutton]
Schreibe einen Kommentar