Wer ist „Feuer und Flamme für Olympia“? Nur DOSB-Vorstandschef Michael Vesper und Christoph Holstein, Staatsrat der Innenbehörde, hoben am Dienstagabend beim taz-Salon im Schanzenviertel ihre Hand für Spiele in Hamburg. Doch so sehr sie sich auch in der Debatte ins Zeug legten – den Wilhelmsburger Professor Michael Rothschuh von der Gegeninitiative Nolympia überzeugten sie nicht. Seiner Kritik stimmten viele Wilhelmsburgerinnen und Wilhelmsburger im Publikum zu: Mit dem Plan, die Olympischen Spiele 2024 nach Hamburg zu holen, gefährde der Senat eine gesunde Stadtentwicklung im Süden der Elbe. Denn große Pläne schmiedet die Stadt nicht nur für den Kleinen Grasbrook direkt vor den Deichen Wilhelmsburgs – auch die Insel selbst soll Teil der Spiele werden.
Dabei sein ist alles, aber gewinnen ist besser – in diesem Geist macht sich Hamburg an die Bewerbung um die Olympischen und Paralympischen Spiele für das Jahr 2024. Der Senat hat sich viel vorgenommen: Ein brandneues Olympia-Stadion soll entstehen, dazu eine Olympia-Halle, eine Olympia-Schwimmhalle und natürlich das Olympische bzw. Paralympische Dorf mit 3.000 neuen Wohnungen – und das alles auf dem Kleinen Grasbrook, wo heute fast ausschließlich Hafenbetriebe angesiedelt sind. Ein komplett neuer Stadtteil soll dort anlässlich der Spiele entstehen, geplant unter Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern, gebaut nach höchsten ökologischen Standards, barrierefrei und sozial verträglich, auch nach Olympia. Sollte die Stadt das Internationale Olympische Komitee (IOC) damit überzeugen und sich 2017 gegen Konkurrenten wie Boston, Budapest, Paris und Rom durchsetzen, hätte der Senat sieben sieben Jahre Zeit, all das in die Tat umzusetzen.
Wilhelmsburg im Zeichen der fünf Ringe
Die Pläne des Senats für Olympia betreffen Wilhelmsburg direkt: Nicht nur nördlich des Spreehafens, auch auf der Insel selbst sollen olympische Wettkämpfe ausgetragen werden, sollen Athleten trainieren und tausende Journalisten wohnen und arbeiten. Vor allem der Inselpark soll im Zeichen der fünf Ringe stehen: Das neue Schwimmbad sieht der Senat für Wasserball vor, auf einer Kanustrecke sollen die Athleten ihre Slalom-Wettkämpfe halten. Zuerst müsste die Strecke aber noch gebaut werden, ebenso wie ein Freiluftbecken samt Tribünen am Schwimmbad. Im Schulzentrum und den Sportplätzen an der Dratelnstraße sollen Ringkämpfer und Leichtathleten trainieren, Teakwondo-Trainingsstätten stellt sich der Senat im Schulzentrum Tor zur Welt vor. Volleyball- und Sitzvolleyballmannschaften könnten sich laut Konzept in der Basketballhalle der Hamburg Towers am Inselpark auf ihre Spiele vorbereiten. Teil des Hamburger Konzepts ist auch ein olympisches und paralympisches Jugenddorf auf der Elbinsel, wo sich junge Athleten könnten. Wohnen könnten sie im Schulzentrum Tor zur Welt oder in der Stadtteilschule Wilhelmsburg, schlägt der Senat vor.
Auch Journalisten aus aller Welt sollen in Wilhelmsburg eine Wohnstätte finden. Der Senat rechnet laut Konzept mit etwa 16.000 Pressevertretern während der Spiele. Unterkommen sollen sie im Mediendorf, das auf der sogenannten Mittelachse geplant ist, wo heute noch die Wilhelmsburger Reichsstraße entlangführt. Schon der vorherige Hamburger Senat hatte die etwa drei Kilometer lange Fläche zwischen Assmann-Kanal und Jaffe-Davids-Kanal für Wohnungsbau vorgesehen, sobald die Reichsstraße verlegt ist. „Mit der Fertigstellung der Trassenverlegung ist 2019 zu rechnen“, heißt es im Konzept für Olympia. Sollten die Spiele kommen, blieben also noch knappe fünf Jahre Zeit, die Wohnungen für das Mediendorf zu planen und zu bauen. Der Senat geht von 2.500 bis 3.000 Wohneinheiten aus, die nach den Olympischen Spielen für normale Mieter zur Verfügung stehen sollen. „Auch hier wird in der Planung berücksichtigt, dass der Wohnungsbau den Anforderungen einer guten sozialen Mischung gerecht wird“, schreiben die Verfasser des Konzepts. Im taz-Salon erläuterte Staatsrat Christoph Holstein, was der Senat darunter versteht: den vielzitierten Drittelmix aus je einem Drittel gefördertem Wohnraum, herkömmlichen Mietwohnungen und Eigentum.
Hat Olympia nun Vorrang vor den Menschen in der Stadt? So fasste Michael Rothschuh aus Wilhelmsburg die Pläne des Senats auf. Für ihn sind die Olympia-Pläne ein erneutes Zeichen dafür, dass die Stadt es mit dem Sprung über die Elbe und der Entwicklung Wilhelmsburgs gar nicht ernst meint. Es fielen nicht nur 2.000 Wohnungen auf der Mittelachse weg, die IBA und Senat fest für den Wohnungsmarkt vorgesehen hatten – auch am Hauland seien nun 1.000 Wohnungen weniger geplant, um Flächen für Gewerbebetriebe frei zu halten, sagte Michael Rothschuh auf dem taz-Podium. Diese Ersatzflächen werde der Senat im Fall einer Zusage des IOC auch brauchen. Denn auf dem Kleinen Grasbrook müssten etliche Hafenbetriebe weichen, und wohin mit ihnen, sei noch gar nicht klar. „Wir schmeißen einen Stadtteil weg und sagen, wir werden vielleicht irgendwann einen neuen Stadtteil haben, wo jetzt Wasser und Hafenbetriebe sind“, kritisierte der Wilhelmsburger. Den letztendlichen Aufwand und die realen Kosten könne die Stadt gar nicht einschätzen. „Die Gefahren beginnen jetzt“, warnte er.
Kostenfrage ungeklärt
Tatsächlich hat der Senat noch keine Antwort auf die Frage: Was soll uns der Spaß eigentlich kosten? DOSB-Vorstand Michael Vesper sicherte zwar zu, dass für die Durchführung der Olympischen Spiele kein Steuergeld nötig sei. Doch um die Spiele überhaupt zu ermöglichen, muss Hamburg tief in die Tasche greifen. Wie tief, darüber schwieg auch Staatsrat Christoph Holstein auf dem Podium. „Wir werden irgendwann wissen, wie die Zahl heißt. Und dann werden wir sie nennen“, versprach er. Bis zum geplanten Referendum des Senats Ende November 2015 werde wohl eine „relativ detaillierte Planung“ vorliegen. Anders als bei der Elbphilharmonie wolle der Senat jedoch nicht den Fehler machen, eine mehr oder weniger fiktive Zahl zu nennen, die dann ständig nach oben korrigiert werden müsse. Die Kosten für Olympia könnten sich „sogar nach unten verändern“, sagte er und löste damit Hohngelächter im Publikum aus. Dass die Kosten der Elbphilharmonie vor allem aufgrund von unklaren Verträgen, gefühltem Zeitdruck, etlichen Extrawünschen des Senats und mangelnder Kostenkontrolle gestiegen waren, erwähnte der neue Mann in der Innenbehörde nicht.
Letztendlich komme es darauf an, welchen Charakter Olympia in Hamburg haben soll, warf Linke-Politikerin Heike Sudmann auf dem Podium ein. Um die Bürgerinnen und Bürger bei dem geplanten Referendum Ende November mit Sachverstand abstimmen zu lassen, müsse die Stadt erst einmal prüfen lassen, wie sich die Spiele langfristig für die Menschen auswirken: Würde Olympia die Mieten noch weiter steigern, wie viele im Publikum befürchteten? Dürften Breitensportler auf bessere Hallen und Plätze hoffen, oder würden die Stadt nur in die prestigeträchtigen Olympia-Stätten investieren? Würden Verkehrswege, S- und U-Bahntrassen da gebaut, wo die Menschen sie brauchen, oder nur dort, wo sie Olympia nützen? Zudem sei fraglich, wie viel die Bürgerinnen und Bürger tatsächlich noch mitreden dürften, wenn einmal der Countdown bis 2024 laufe. Eine ergebnisoffene Studie zu den Langzeitwirkungen von Olympia in Hamburg hatten die Bürgerschaftsfraktionen von SPD, CDU, Grünen und FDP schon vor einem Jahr verlangt – ohne Ergebnis.
Staatsrat der Innenbehörde: Olympia macht Sprung über die Elbe möglich
Die Olympischen Spiele sollen Initialzündung sein für eine Stadtentwicklung, die dem Bedarf der Hamburger entgegen kommt – so stellten es Michael Vesper und Christoph Holstein auf dem taz-Podium dar. Ein Großprojekt wie Olympia setze Kräfte frei, die die Stadt offenbar sonst nicht aufbringt, um das Leben in der Stadt nachhaltig zu verbessern. Genau das zog Michael Rothschuh stark in Zweifel: Auch die IBA habe einen solchen Schub auslösen sollen, sagt er. Nun aber würden die nachhaltigen Pläne der Bauausstellung für das nächste Großprojekt wieder über Bord geworfen – Hamburg meine es offenbar doch nicht so ernst mit dem Sprung über die Elbe. Gerade deshalb brauche die Stadt die Spiele, entgegnete der Staatsrat der Innenbehörde: Olympia sei die Chance, um den Sprung über die Elbe tatsächlich zu schaffen.
von Annabel Trautwein
[tweetbutton]
Schreibe einen Kommentar