Attacke mit Ei – Flüchtlingsthema löst Tumult aus

„Warum bringen Sie die nicht in der Elbphilharmonie unter?“ Der Mann aus dem Publikum braucht kein Mikro, seine Stimme bebt vor Zorn. „Oder im Rathaus?“ Regieren würden die Flüchtlinge ja sowieso bald – „und die Deutschen dürfen dann das Klo putzen!“ Plötzlich fliegt etwas durch den Saal auf Andy Grote zu und zerplatzt am Tischbein. Der Mann stürmt zur Tür heraus, der Bezirksamtschef wischt sich einen Spritzer Eiklar vom Revers und sagt: „Diese Einschätzung teile ich nicht.“

Unmut erlebt Andy Grote häufiger, wenn er Pläne für den Bau neuer Unterkünfte für Flüchtlinge in seinem Bezirk vorstellt. Gerade erst schlug ihm eine Welle des Protestes aus Billstedt entgegen, wo Anwohner gegen den Bau von Wohnungen für geflüchtete Familien protestieren. Aus Wilhelmsburg ist er das so aber nicht gewohnt. Im Gegenteil: Immer wieder hebt der Bezirksamtschef den Einsatz freiwilliger Helfer auf der Insel hervor und lobt die Wilhelmsburger Willkommenskultur. „Ich würde mir wünschen, andere Stadtteile wären da auch schon so weit“, sagt Andy Grote noch zu Beginn der Veranstaltung am Donnerstag im Haus der Jugend am Rotenhäuser Damm. Bezirk, Innenbehörde und Sozialbehörde wollen die geplante Wohnunterkunft an der Schlenzigstraße vorstellen und erläutern, wieso nun auch die leerstehende Schule am Kurdamm als Erstaufnahme für Flüchtlinge genutzt werden muss. Dann fliegt das Ei – und ein weiterer Mann aus dem Publikum sagt: „Ich prognostiziere Ihnen, dass das noch mehr wird.“

Gebrüll und Tumult im Publikum

Der Eierwerfer habe sich natürlich völlig daneben benommen, räumt der Wilhelmsburger ein. Er wolle so ein Verhalten auch keineswegs entschuldigen. Gewissermaßen könne er den Ärger aber auch verstehen: Wenn es um die Aufnahme von Flüchtlingen in der Nachbarschaft gehe, würden die Menschen immer wieder vor vollendete Tatsachen gestellt. „Man fragt uns ja gar nicht, ob wir die hier haben wollen“, sagt er. Sofort wird es laut auf den Stuhlreihen. „Ich bin kein Nazi, aber…!“ ruft ein junger Mann durch das Stimmengewirr. Mit hochrotem Kopf schimpft der Redner zurück, brüllt etwas von Linksextremismus, seine Worte gehen im Tumult unter. Als die Vertreter von Bezirksamt, Innenbehörde und Sozialbehörde zu Ruhe und Sachlichkeit mahnen, ist auch er schon fast zur Tür raus. „Hauptsache, Sie können ihre Veranstaltung so machen, wie Sie sich das vorgestellt haben“, ruft er den Verwaltungsleuten noch zu.

Dann lässt er sich aber doch beruhigen und kommt zurück – schließlich will er wissen, was der Bezirksamtschef zu seiner Frage zu sagen hat: Wieso gibt es kein Mitspracherecht für die Menschen vor Ort, wenn Flüchtlinge aufgenommen werden sollen? „Vor der Wahl stehen wir nicht“, sagt Andy Grote. Er räumt ein, dass die Stadt ihre Leute nicht immer gut vorbereitet – tatsächlich sei es so, dass Anwohner manchmal erst nachträglich von geplanten Unterkünften in ihrer Nachbarschaft erfahren. Hamburg sei aber dazu verpflichtet, einen gewissen Prozentsatz der Flüchtenden aufzunehmen, die in Deutschland Schutz suchen. Wer laut Gesetz bleiben darf, dem muss die Stadt auch ein Dach über dem Kopf bieten. „Um dem gerecht zu werden, sind wir gezwungen, sehr schnell zu handeln“, erklärt Andy Grote.

Bezirkschef: Es gibt kein Veto-Recht für die Nachbarschaft

Gewissermaßen müssen sich die Hamburgerinnen und Hamburger damit abfinden. „Sie können nicht erwarten, dass es ein Vetorecht der Nachbarschaft gibt, die dann sagen kann: Wir wollen diese Unterkunft nicht haben“, stellt der Bezirksamtsleiter klar. Sonst könne er allenfalls am äußersten Stadtrand geflüchtete Menschen ansiedeln, wo sie keine Chance auf Integration oder Teilhabe hätten. Er sagt aber auch, was die Bürgerinnen und Bürger von ihrer Stadt erwarten dürfen: Dass die Anwesenheit geflüchteter Menschen niemanden im täglichen Leben unzumutbar einschränkt. Wenn die Leute sich Gedanken machen, ob die Stadt das schafft, wenn sie sich auch manchmal darum sorgen, dann sei das angesichts der akuten Notlage verständlich und völlig legitim, sagt Andy Grote. Der Wilhelmsburger aus dem Publikum fühlt sich dennoch in die Ecke gedrängt. „Jeder, der nicht dafür ist, gilt als Ausländerfeind und als Nazi“, beklagt er. „Das ist ein Problem.“

Wer aber schützt die Menschen in den Unterkünften, wenn tatsächlich rechte Gewalt aufkommt? Auch diese Frage beschäftigt einige im Publikum. „Aus einem Ei kann auch ein Brandsatz werden“, sagt ein junger Mann. Sollte es dazu kommen, wäre das natürlich ein Fall für die Polizei, sagt der Bezirksamtschef. „Ich gehe trotzdem davon aus, dass wir derzeit keine erhöhte Gefahr von Angriffen auf Flüchtlinge haben.“ Hamburg habe als einziges Bundesland noch keine Anschläge auf Unterkünfte erlebt. „Das müssen wir uns unbedingt bewahren“, mahnt Andy Grote.

Spurensuche an Eierschalen

Vorerst kümmert sich die Polizei also um Eierschalen: Sie sucht nach Fingerabdrücken – auch wenn die Attacke auf den Bezirksamtschef keine echte Gefahr darstellte. Man wisse nie, ob unkontrollierte Wut den Täter noch zu schlimmerem treiben könnte, sagt der Wilhelmsburger Beamte, der den Info-Abend mitverfolgte. Vielleicht seien die Schalen noch interessant für die Kollegen beim Staatsschutz.

von Annabel Trautwein

 

 

 

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Kommentare

Eine Antwort zu „Attacke mit Ei – Flüchtlingsthema löst Tumult aus“

  1. Avatar von Arne Kowalewski
    Arne Kowalewski

    Wer mehr Flüchtlinge will, der muss bei den künftigen Wahlen weiter die SPD, die CDU oder die GRÜNEN wählen.

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