Festival 48h Wilhelmsburg: Hier spielt die Musik!

Das Musikfestival 48h Wilhelmsburg hat wieder begonnen und wir sind wie jedes Jahr für euch im Stadtteil unterwegs. Was ist das für ein Sound da um die Ecke? Bei welchen Konzerten gibt es noch Zugaben? Und wie ist die Stimmung beim Gig eurer Nachbarn? Das könnt ihr hier in unseren Live-Ticker erfahren – ab sofort bis zum Abschluss-Jam am Sonntagabend. Viel Spaß!

 

12:40 Airbus kann mehr als nur Turbinengetöse – das demonstrieren gerade die Musikerinnen und Musiker vom Airbus Orchester Hamburg vor der Emmauskirche. Aus etwa 30 Instrumenten schallen Blasmusik und Polka, zum Abschluss wird es sogar richtig fetzig mit einem Medley aus Swing-, Rock- und Popstücken. Obwohl die Betriebsmusiker nach dem "Lungensport" gut ein kühles Bier vertragen könnten, ringt das Publikum ihnen eine Zugabe ab. Standesgemäß schmettert das Orchester den "Fliegersong"  – und dann geht's rasch an den Würstchenstand.

 

15:12 Quirlinger, flotter Balkan-Sound ist gerade bei fören & wohnen an der Hafenbahn zu hören: Mit Klarinette, Akkordeon, Gitarre, Percussion und einem musikalischen Wirbelwind von Geiger als Frontmann lockt die Balkan Band die Nachbarn vor die Tür. Einige haben die Sofagarnitur raus geschleppt, andere lehnen aus den Fenstern und beobachten das Geschehen im Innenhof von oben. Die Band selbst trotzt der prallen Sonne, aber Applaus und Jubel machen alle Mühe wett.

Derweil gibt das Festivalteam die erste Programmänderung bekannt: Das Konzert von Herrn Mantarochen um 16 Uhr im Flutlicht muss leider ausfallen. Um 17:30 steht dann wie geplant Bing Medrano dort auf der Bühne.

 

15:50 Ganz oben im Wohnhaus Nr. 15 am Inselpark tönt ein feiner Violinlauf das Treppenhaus hinab und verziert die kühle Neubauatmosphäre mit einem Hauch von Orient. Wer ihm folgt und die Schwelle des Lofts überschreitet, trifft auf Javad Sarempur. In weißem Hemd und Krawatte führt der Profimusiker aus dem Iran traditionelle Instrumente seiner Heimat vor. Hinter ihm eine Wand voll mit komplizierten Begriffen: Mahor, Tschahargah, Hamayun, Halbtöne, Vierteltöne. Schließlich ist das hier ein Workshop, die Leute sollen auch was lernen bei Javad Sarempur. Weil der geflüchtete Musiker noch nicht so fit im Deutschen ist, übersetzt seine Sängerin die Erläuterungen – zum Beispiel, dass die melancholisch klingende Weise namens Tschahargah früher ein Kriegssignal war. Wer hätte das gedacht.

 

16:50 Kämpferisch geht es auch auf dem Berta-Kröger-Platz zu:  Die Gruppe Emcap präsentiert Capoeira, den brasilianischen Kampftanz. Zu erstaunlich ruhiger, wenn auch rhythmischer Musik der Percussionisten und Sänger wirbeln die Tänzer über den Boden, immer wieder knapp aneinander vorbei. "Wir spielen miteinander, wir kämpfen nicht – das ist nicht unsere Philosophie", erklärt einer aus der Gruppe. Körperkontakt ist gar nicht vorgesehen. Mitreißend ist die Show trotzdem: Das Publikum klatscht im Takt mit, die kleinsten probieren die coolen Bewegungen gleich selbst aus. Wer sich anschließen möchte, ist dienstags und freitags im Sprach- und Bewegungszentrum willkommen. Dort trainiert die Gruppe jeweils ab 18 Uhr.

 

18:20 Ein Auge auf dem Synthie, ein Auge im Notenheft – Liveact zVen demonstriert im Innenhof des Wohnprojekts Vogelhütte, wie unter fachkundigem Einsatz von Sampler, Drumcomputer und Synthesizer erstklassige Musik in Echtzeit gemacht wird. Satte Beats und verspielte Melodien weiß das Publikum hier sehr zu schätzen, die Tanzfläche vor dem DJ-Pult wird immer voller. Die flauschig-freundschaftliche Atmosphäre in Garten und Hof verlockt viele zum Chillen und Längerbleiben – und zVens Set zum musikalischen Fachsimpeln. Wohl kaum ein Act bei 48h wird so oft von Decksharks belagert, die ihm auf die Regler schielen und sich fragen, wie der Typ das macht.

 

20:00 Black Power im Biergarten! Ein wahres Feuerwerk des Soul, Funk und Blues zündet Elaine Thomas mit ihren Poets Messengers. Hits von Gil Scott Heron, Marvin Gaye oder Billie Holiday gehen dem Publikum direkt in die Beine. Es sind locker 200 Leute am Anleger und kaum jemand sitzt noch still – am wenigsten die energiegeladene Frontfrau, die im neongelben Minikleid über die Bühne wirbelt. Aber Elaine Thomas kann auch sanft sein: Einen  besonders tiefgehenden Song widmet sie allen, "die sich hier noch nicht so zu Hause fühlen". Da kommen der Sängerin sogar selbst ein paar Tränen – doch im nächsten Augenblick lacht sie wieder krächzend ins Mikro und stellt ihre Band vor. "Die sind von weit hergekommen, also ist es wichtig, dass ihr viel spendet, damit ich nicht blamiert werde!" An Jubel und Zwischenapplaus spart das Publikum jedenfalls nicht – und dass Elaine Thomas hier ohne Zugaben wegkommt, ist kaum zu erwarten.

 

12:30 Auch wenn der Festivalsonntag etwas trübe und regnerisch beginnt: Beim flotten Südstaaten-Sound von Butts on Buckets stellt sich das Floßfahrtenfeeling fast von selbst ein, Zikadenzirpen inklusive. Musikalisch bleibt die gesangsstarke Band mit ihren sechs Saiteninstrumenten dem Mississippi-Stil treu, textlich lassen sie durchaus Lokalkolorit durchklingen. "Der nächste Song handelt von dem Geld, das in die Elbphilharmonie geflossen ist", verkündet der Leadsänger – der Titel lautet "Gone". "Ein langes Lied", ruft jemand hoffnungsvoll aus dem Publikum, das sich beim Smutje um den Grill gruppiert. Aber die Butts on Buckets sind mit ihrem Repertoire noch nicht am Ende: Auch romantische Balladen oder Beerdigungssongs haben sie auf Lager – Lieder mit einer Leichtigkeit, die sich üblicherweise nach  langen Irrfahrten in Güterzugwaggons und oft erprobtem Galgenhumor einstellt.


13:30 Es gibt noch Leben in der alten Boxhalle das WSV am Assmannkanal! Donnernde Bassdrumbeats, Gitarrenriffs und gelegentliche Rückkoppelungen lassen Gemäuer und Holzhallenboden vibrieren, als R.J. Schlagseite & die Stereotypen loslegen. Rockig der Sound, charakteristisch die Texte des Wilhelmsburgers, der wie immer das Leben seine Geschichten erzählen lässt. "Der nächste Song geht auf die Diagnose eines Psychodocs zurück", gibt der Schlagseite mit seiner markant tiefen Stimme bekannt. "Der sagte mir: Sie sind nicht krank, nur leicht gestört." Auch die weiteren Titel des überzeugten Bohémiens verhehlen nichts: "Es wird nie wieder so sein wie es war" oder "Ich bin ne faule Sau", singt Schlagseite, ohne eine Miene zu veziehen. In Nadelstreifen, wohlgemerkt. Als etablierter Lokalmatador hat er schließlich gewisse Erwartungen zu erfüllen.

 

14:40 Andächtige Stimmung im Turtur am Dursun Akçam Ufer: Unter der Discokugel, die sonst zu Technobeats kreist, gibt heute das Wilhemsburger Bandion Orchester Freundschaft Harmonie von 1929 traditionelles Kulturgut zum besten. Als eines der letzten seiner Art hat das Bandonion Orchester nicht nur liebgewonnene Gassenhauer und Schmachtfetzen zu bieten, sondern haut auch den einen oder anderen Tango raus. Zu jedem Stück gibt es eine sorgfältig vorbereitete Ansage oder ein paar Döntjes zur Entstehungsgeschichte. Durchgehend besetzt seit 1929 zählt das Ensemble heute fünf Bandoneonisten, vier Akkordeonisten, einen Bassisten und einen Schlagzeuger, die alle hoch konzentriert bei der Sache sind. Erst wenn nach einem Stück der Applaus losbricht, lächeln die Musiker gelöst ins Publikum – und freuen sich sichtlich daran, wie gerne die guten alten Stücke noch immer aufgenommen werden.

 

16:50 Die Minibar Moralia ist proppenvoll – zu betörend der kunstvolle Gesang von Lia, der durch das offene Fenster auf die Straße Am Veringhof hinausschallt. Mit "emotional music landscapes" hat die Singer-Songwriterin nicht zu viel versprochen. Gerade läuft der Song "Heaven is a state of mind", zu dem die Sängerin am Keyboard ihre Stimme kristallklar in die Höhe wachsen lässt und wie einen Vogel schweben lässt. Begleitet wird Lia von einem Kontrabassisten, der seinem Instrument Klänge zu entlocken vermag, so akkurat und synthetisch, dass man sie eher einem Computer zutrauen würde. Lediglich die elektrische Kaffeemühle hinter der Bar schafft es zwischendurch, das träumende Publikum aus Lias Zauberwelt zurück in die Realität zu holen.

 

17:40 Das Finale von 48h Wilhelmsburg gehört in diesem Jahr Kouakou de Souza und seiner dreiköpfigen Band jaZZcolours. Der vielseitige Sänger und Pianist hat einiges zu bieten: Motown Hits, Afro Jazz aus eigener Feder, lateinamerikanische Musik und französische Chansons wie "Comme d'habitude" von Claude François, aus dem Frank Sinatra später "My Way" machte. Dass das Publikum nicht jeden Text versteht, liegt daran, dass der Togoer afro-brasilianischer Herkunft auch in seiner Muttersprache Mina singt. Kurzfristig umgeplant, sitzen alle trocken im Foyer des Bürgerhauses statt wie am kühlen Ursula-Falke-Ufer. Die Sonne holt Kouakou de Souza mit seinen tropischen Rhythmen selbst her – und stimmt schon mal auf die anschließende Aftershow-Jamsession ein. Denn auch wenn Musiker und Team schon seit mehr als 48h alles geben: A Little Samba, ein Fünkchen Funk oder ein bisschen Hippie Hippie Shake sind doch immer noch drin, oder?

 

Mit dem Festivalticker zu 48h Wilhelmsburg und großem Dank an alle, die es möglich gemacht haben, verabschiedet sich Annabel Trautwein von WilhelmsburgOnline.de

 

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