Beirat debattiert über Salafismus in Wilhelmsburg

Ein umstrittenes Thema steht am Mittwoch im Stadtteilbeirat auf der Tagesordnung: Salafismus in Wilhelmsburg. Um sich der Sache zu nähern, haben die Quartiersvertreter drei Referenten eingeladen. Doch was ist Salafismus überhaupt?

Männer mit langen Bärten und Pluderhosen, Frauen mit schwarzem Schleier – dieses Bild kommt vielen Menschen in den Sinn, wenn von Salafismus die Rede ist. Doch so einfach ist es nicht, erläutert Dr. Ali Özgür Özdil auf Nachfrage von WilhelmsburgOnline.de. Der Theologe und Islamwissenschaftler leitet in Hamburg das Projekt „Al Wasat – Die Mitte“, das über radikale Formen des Islam aufklärt.

Auch heute Abend im Stadtteilbeirat ist Fachverstand gefragt: Fatih Yildiz vom „Al Wasat“-Team sitzt mit am Tisch, um die Debatte mit dem nötigen Hintergrundwissen zu begleiten. Damit Menschen aus dem Stadtteil gut informiert mitreden können, hat WilhelmsburgOnline.de ihm schon vorab drei Fragen gestellt:

 

Salafismus ist ein dehnbarer Begriff. Wann wird diese Art von Frömmigkeit zum Problem, mit dem sich eine Stadtteilgesellschaft beschäftigen muss?

Es gibt verschiedene Auffassungen von Salafismus: Muslime verstehen darunter die Nähe zu den "Salaf", das heißt zu den ersten Generationen des Islam, und Nichtmuslime verstehen darunter eine gefährliche Ideologie. Deshalb müsste man bei den betroffenen "Frommen" gucken, wie sie ihre Religiosität verstehen: als eine Art Frömmigkeit, bei der sie selbst so leben wollen wie der Prophet und seine Gefährten, oder als die einzig legitime Form des muslimischen Lebens?

Ohne einen Dialog mit den betroffenen Personen oder Gruppen würde man nur Mutmaßungen folgen. Schließlich wird in der wissenschaftlichen Literatur unterschieden zwischen den Puristen – also jenen, die ihren Glauben ohne Gewalt verkünden und lehren wollen – und den sogenannten Djihadisten – jenen, die ihre Ziele mit Gewalt durchsetzen wollen.

Wie sollten Nachbarinnen und Nachbarn reagieren, wenn sie den Eindruck haben, dass Salafisten in ihrer Umgebung aktiv sind?

Wir würden raten, erst einmal Ruhe zu bewahren und nicht gleich in Panik zu geraten, da unter jenen, die der salafistischen Strömung angehören, die meisten friedfertige Menschen sind. Unter den Jugendlichen befinden sich zum Beispiel auch sehr viele Konvertiten.

Wenn man sich selbst zu einem Kontakt nicht in der Lage sieht, kann man islamische Einrichtungen wie die nächste Moschee oder das IWB e.V. (Islamisches Wissenschafts- und Bildungsinstitut, Anm. d. Red.) kontaktieren.

Wie kommt es überhaupt dazu, dass sich junge Leute in unserer Gesellschaft für einen so strengen religiösen Lebensstil entscheiden?

Dafür kann es sehr viele individuelle, gesellschaftliche oder auch globale Gründe geben. Oft ist es eine Summe an mehreren Gründen. Eine wichtige Rolle spielen persönliche Ausgrenzungserfahrungen, Diskriminierungen, Benachteiligungen, die den Betroffenen das Gefühl geben, nicht dazu zu gehören. Wenn Bindungen wie Familie oder Freundschaften gelöst werden, kann das ebenfalls ein Anlass sein. Aber auch Kriege und Bürgerkriege können dazu beitragen, dass sich Jugendliche "nützlich machen wollen", indem sie nach Möglichkeiten suchen, aktiv zu werden.

Oftmals sind es Jugendliche aus sogenannten säkularen Familien oder eben Konvertiten, deren Eltern keine praktizierenden Muslime sind. Junge Menschen wollen sich oftmals selbst verwirklichen und suchen nach Identität und Halt. Das bieten ihnen einige Personen und/oder Gruppen vor Ort oder in anderen Regionen der Welt. Sie werden sozusagen aufgewertet, wohingegen sie hierzulande Abwertung erleben.

Es sind also vielfältige Ursachenfelder möglich, weshalb sich Jugendliche für einen bestimmten Lebensstil entscheiden.

 

Neben Fatih Yildiz sind bei der Beiratssitzung im Bürgerhaus auch der Lehrer Wilhelm Kelber-Bretz vom Forum Bildung Wilhelmsburg und Uli Gomolzig, Leiter des Hauses der Jugend Wilhelmsburg, eingeladen. Sie berichten von eigenen Erfahrungen mit Jugendlichen auf der Elbinsel. Die Sitzung des Stadtteilbeirats ist wie immer öffentlich. Sie beginnt um 18:30 Uhr im Bürgerhaus (Mengestraße 20).

 

 

 

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