Mitten in der Stadt Lösungen für Klima und Umwelt finden – das wollte die Internationale Bauausstellung (IBA) mit ihrem Schwerpunkt „Stadt im Klimawandel“ erreichen. Wilhelmsburg sollte dafür das Testfeld sein. Was kam dabei heraus? Welche IBA-Projekte nutzen der Umwelt auf der Insel? Der Wilhelmsburger Biologe Jörg v. Prondzinski zieht eine ernüchternde Bilanz. Ernsthaften Einsatz für die Inselnatur sieht er nicht. Die Umwelt-Projekte der IBA dienten eher dem schönen Schein, kritisiert er. In der Theorie habe die Bauausstellung zwar gute Ziele festgelegt – doch wer die nun in die Praxis umsetzt, ist unklar.
Wie müssen Städte gebaut sein, um Klimawandel und Umweltschäden entgegen zu wirken? Hier wollte die IBA Ideen liefern, an denen sich Stadtplaner weltweit ein Beispiel nehmen sollen. „Das IBA-Leitthema Stadt im Klimawandel soll die große Frage nach einer klimaverträglichen Zukunft der Metropole beantworten“, heißt es auf der Internetseite der Bauausstellung. Sichtbar werden sollten diese Antworten etwa im Bunker an der Neuhöfer Straße, der heute saubere Energie für die Nachbarschaft liefert. Auch der sogenannte Energieberg gilt als Vorzeige-Projekt der IBA: Auf der Mülldeponie in Georgswerder, die der Insel in den 80er Jahren einen Dioxin-Skandal bescherte, stehen heute Windräder und Photovoltaik-Anlagen. Wilhelmsburg könnte damit zum Vorbild werden: In 36 Jahren soll sich die Insel mit Strom und Wärme selbst versorgen können.
Klingt gut? Der Biologe Jörg v. Prondzinski ist skeptisch. „Dieses Thema 'Stadt im Klimawandel' muss man heutzutage nennen. Ich kann aber nicht erkennen, dass es auch wirklich ernst genommen wurde“, sagt er. Er betrachtet die Klima-Projekte der IBA als reine Image-Kampagne. Den Menschen in Wilhelmsburg bringe das wenig, sagt er. „Die IBA hatte gar nicht den Auftrag, etwas in der Realität zu verbessern. Es sollten schöne neue Bilder geschaffen und der Stadtteil verkäuflich gemacht werden“, kritisiert Jörg v. Prondzinski.
Die IBA liefert die Theorie – wer übernimmt die Praxis?
„Die IBA macht im Wesentlichen Versprechen für die Zukunft. Die Frage ist dann, wer diese Versprechen einlöst“, sagt der Wilhelmsburger. Ein zentrales Versprechen der IBA ist: Bis zum Jahr 2050 soll sich Wilhelmsburg seinen Energiebedarf komplett selbst decken – so sieht es das Zukunftskonzept Erneuerbares Wilhelmsburg vor. „Das ist eine schöne augenblickliche Ansage, aber mehr sehe ich darin nicht“, sagt Jörg v. Prondzinski. Aus Sicht der IBA steckt schon ein konkreter Plan dahinter. „Die IBA hat die Vision und das theoretische Konzept geliefert“, sagt Sprecherin Anna Vietinghoff auf Nachfrage von WilhelmsburgOnline.de. Wer aber setzt nun die Theorie in die Praxis um? „Das ist in der Tat eine schwierige Frage“, sagt die IBA-Sprecherin. Wer künftig darüber wachen oder dafür sorgen soll, dass die Insel bis 2050 unabhängig ist von auswärtigen Strom- und Wärmelieferanten, ist noch unklar.
Für den Bunker habe die IBA anfangs ein gutes Konzept vorgelegt, sagt Jörg v. Prondzinski. Als Herzstück des Projekts gilt ein Wärmespeicher, der Energievorräte aus Solaranlagen, einem Blockheizkraftwerk und einem Holzverbrennungskessel bis zum nächsten Morgen speichern kann. Damit habe die IBA ihre Ansprüche jedoch drastisch zurückgeschraubt, sagt der Biologe: „In der ursprünglichen Planung war ein gigantischer Wassertank vorgesehen, der über den Sommer Energie sammelt und das Wasser aufheizt, damit man im Winter mit diesem Wasser heizen kann. Das fand ich eigentlich eine ganz geniale Idee.“ Der heutige 2-Millionen-Liter-Tank sei viel kleiner geraten als der ursprünglich geplante Speicher.
Auch die Energiequellen im Bunker – Photovoltaik, Blockheizkraftwerk und Holz-Verbrennungsanlage – überzeugen ihn nicht. „Der tatsächliche Solaranteil an der Energiemenge im Bunker ist etwa 1,8 Prozent“, sagt Jörg v. Prondzinski. Der Holz-Verbrennungskessel sei, wenn er einmal laufe, sogar eine Belastung für die Nachbarschaft. „Ich finde, es ist keine zukunftsweisende Idee, eine Altholzverbrennungsanlage, die sich auch als Sondermüllverbrennung bezeichnen ließe, als neue Emissionsquelle ins Wohngebiet zu setzen“, kritisiert er. Dass die IBA auch Wärmeenergie aus benachbarten Fabriken im Bunker nutzt, wertet er jedoch positiv – als Zeichen gegen den Energiekonzern Vattenfall. „Vattenfall war vom Senat zugesagt worden, dass Wilhelmsburg als Abnahmegebiet für Fernwärme des Moorburger Kraftwerks zur Verfügung stehen würde“, erläutert Jörg v. Prondzinski. „Da hat die IBA eigene Fakten dazwischen gesetzt, indem sie angekündigt hat, ein eigenes Fern- bzw. Nahwärmenetz aufzubauen.“ Die IBA selbst sieht durchaus einen praktischen Nutzen ihres Projekts für die Menschen in Wilhelmsburg: Das gesamte „Weltquartier“ rund um die Weimarer Straße bekommt demnach schon klimaschonenden Strom aus dem Bunker.
Ein Müllberg mit „Heiligenschein“
Als Vorzeige-Projekt stellt die IBA auch ihren „Energieberg“ dar: Der ehemals giftige Müllberg in Georgswerder steht heute als Öko-Energielieferant in den Broschüren. Jörg v. Prondzinski findet diese Darstellung verlogen. Die IBA habe dort selbst nichts wesentliches erreicht. „Es ist immer noch ein Müllberg, er galt schon vorher durch Maßnahmen der Umweltbehörde als saniert, und es wurde schon vorher Energie darauf gewonnen“, zählt der Kritiker auf. Schon vor dem Start der IBA sei auf dem Berg Windenergie produziert worden – die Bauausstellung habe allenfalls ein Windrad dazu gestellt. „Für den Austausch von Anlagen oder die Suche nach zusätzlichen Standorten braucht es keine IBA“, sagt er. „Es ging nur um Symbolpolitik.“ Ein Symbol sei etwa der nachts beleuchtete Rundweg – der „Heiligenschein“, wie Jörg v. Prondzinski sagt – der vor allem Strom verbrauche. Dass sie den Berg als Energielieferanten nicht selbst entdeckt hat, räumt die IBA auf ihrer Internetseite zum Projekt selbst ein. Sie hält sich aber zugute, dass sie es Menschen ermöglicht hat, auf dem Berg spazieren zu gehen und sich im benachbarten Info-Zentrum über das Energiekonzept schlau machen können.
Eine IBA-Plakette zeige noch lange nicht an, dass das Projekt dahinter eine Idee der Bauausstellung war, sagt Jörg v. Prondzinski. Im Fall des sogenannten Open House am Vogelhüttendeich, das die IBA als ihr erstes Bauprojekt beschreibt, etwa habe sie dem bereits geplanten Passivhaus die Genehmigung beschafft – so beschreibt es auch die Baugemeinschaft im Wilhelmsburger Inselrundblick. Auch die Rückverlegung des Deiches am Tidegebiet Kreetsand, die die IBA als Pilotprojekt aufführt, sei keine Idee der Bauausstellung gewesen. „Dass das IBA-Label da drauf kommt, ist die Dritt- oder Viertverwertung dieses Projekts“, sagt Jörg v. Prondzinski. Die IBA habe dort nichts zielführendes bewirkt. Stattdessen habe sie andernorts Deiche zur Freizeit-Zone erklärt und damit Deichschäden riskiert. Die IBA dagegen führt an, dass sie am Kreetsander Hauptdeich eine „Deichbude“ errichtet hat. Dort sollen sich Einwohner und Besucher Wilhelmsburgs über das Konzept Tideelbe und den Sinn der Bauarbeiten informieren können.
Wo hat die IBA ein Umweltprojekt verwirklicht, von dem die Menschen in Wilhelmsburg schon heute täglich profitieren? Jörg v. Prondzinski fällt eine konkrete Maßnahme ein: „An der Neuhöfer Straße haben sie einen Neubau hingesetzt, den ich für sinnvoll erachte.“ Dort steht nun ein Gebäuderiegel, der die Bewohnerinnen und Bewohner der sanierten Reihenhäuser nun vom Lärm der vorbeifahrenden Lastwagen abschirmt. „Somit sind die Hinterhöfe zwischen Veringstraße und Weimarer Straße nun lärmberuhigt. Das ist eine konkrete Verbesserung.“
von Annabel Trautwein
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