Georg-Wilhelm-Höfe: Flüchtlinge statt Bagger

Eigentlich sollte in den Georg-Wilhelm-Höfen eine neue Wohnanlage entstehen. Doch EU-Recht hat den Bau verzögert. Weil Firmen in der Umgebung Chemikalien umschlagen, braucht der Neubau eine Sondergenehmigung. Bis die ersten Bagger anrollen, werden hier Flüchtlinge in Containern wohnen.

„Wenn die Bagger kommen, gehen wir“, sagte Christiane Kreipe von der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI) bei der Infoveranstaltung am Donnerstag im Bürgerhaus. Auf dem Gelände der ehemaligen Sprachheilschule sollen vorübergehend Unterkünfte für 130 Asylbewerber entstehen. Befürchtungen von manchen Anwohnern und zukünftigen Mietern des neuen Wohnquartiers, die Flüchtlinge könnten länger bleiben, seien unbegründet. „Wir wollen die Bebauung nicht aufhalten.“

Christiane Kreipe war bereits in vielen Hamburger Stadtteilen bei ähnlichen Infoveranstaltungen, um für die Akzeptanz der Notunterkünfte zu werben. Jedes Mal begegne ihr dieselbe Frage: „Warum unbedingt hier?“ 140.000 Menschen werden 2014 voraussichtlich in Deutschland einen Asylantrag stellen. Ähnlich hohe Flüchtlingszahlen gab es zuletzt 1995. Danach wurden Flüchtlingsunterkünfte stark zurückgebaut. „Jetzt haben wir ein Problem“, sagt Christiane Kreipe. Jedes Bundesland muss Flüchtlinge aufnehmen, in Hamburg sind es 3.096. Doch es mangelt an Platz. Weil der Stadt Wohnungen fehlen, werden in allen Stadtteilen Stadtorte für Container als Notunterkünfte gesucht. 1.276 Plätze müssen noch gefunden werden, sagte die Frau von der BASFI: „Die Menschen kommen – das steht schon fest. Wir wissen nur noch nicht, wo wir sie unterbringen.“

Risiko durch Störfallbetriebe gering

Jeder mögliche Standort wird geprüft. So ist die BASFI auch auf das ehemalige Schulgrundstück in Wilhelmsburg aufmerksam geworden. Eigentlich sollte hier ein IBA-Wohnungsbauprojekt entstehen. Doch der Bau verzögerte sich, weil im Westen sogenannte Störfallbetriebe angesiedelt sind. Die Logistikbetriebe Lehnkering und Weinmann schlagen Giftstoffe um. „Da wohnen aber doch Menschen, sind die jetzt gefährdet oder nicht?“, fragte der ansässige Hausarzt Manuel Humburg. „Und was ist mit den Flüchtlingen, die wären dann doch genauso betroffen?“

„Nein“, antwortete Michael Mathe, Amtsleiter des Fachamtes Stadt- und Landschaftsbau Hamburg-Mitte. Die Firmen seien schließlich keine Industriebetriebe, sondern nur Logistiker. Es handele sich lediglich um eine „rechtliche Spitzfindigkeit“. Seit der Explosion einer Chemiefabrik in der italienischen Stadt Seveso gelte neues EU-Recht. Ziel sei es, die Belastung möglichst gering zu halten. Die Seveso-II-Richtlinie habe aber nur Relevanz für die Neubebauung. Eine Baugenehmigung kann voraussichtlich erst 2015 erteilt werden. Dann sollen hier 170 Wohneinheiten entstehen, darunter 33 Eigentumswohnungen.

Bis die ersten Bagger anrollen, werden fünf Containerblöcke für die Flüchtlinge dort aufgestellt. Jeder davon besteht aus sieben Wohncontainern, mit einer Küche und zwei Sanitärcontainern. Auf dem Gelände befindet sich auch ein Kinderspielplatz. Zwei Jahre lang soll das Container-Dorf Familien und Alleinstehende aus unterschiedlichen Nationalitäten beherbergen. Frühestens ab Mitte April werden die ersten Flüchtlinge einziehen. Die meisten stammen aus der russischen Föderation (Tschetschenien), Syrien, Afghanistan und Serbien. Sie werden von Sozialarbeitern betreut, bekommen Integrations- und Deutschkurse. Ihre Kinder sollen hier zur Schule gehen.

„Wir stellen auch ganz viele neue Mitarbeiter ein“, sagte Martin Leo, Geschäftsbereichsleiter des Trägers Fördern & Wohnen. Vor allem Sozialpädagogen, aber auch ungelernte Quereinsteiger werden gesucht – ältere, erfahrene Menschen ebenso wie junge Leute. „Die Mitarbeiter sind auch für Sie als Anwohner da“, erklärte Leo. „Wir sind angewiesen auf gute Nachbarschaft. Wir wollen kein Fremdkörper sein.“ Auch freiwillige Unterstützer seien herzlich willkommen. Zahlreiche Angebote wurden bereits an diesem Abend gemacht.

igs-Parkplatz für Flüchtlingsunterkünfte tabu

„Nebenan ist doch gleich der igs-Park. Ich kenne viele Skater, die würden den Kindern gern das skaten beibringen“, bot ein Anwohner an und fügte noch hinzu: „Auch Nachts – ohne Zaun.“ Der Seitenhieb auf den Bezirk wurde mit Gelächter und Beifall kommentiert. Auch die Anfrage, ob man nicht die angrenzende Turnhalle einen Tag in der Woche für die Flüchtlinge öffnen könne, bekam viel Zustimmung. Mit einem wohlwollenden Nicken wurde die Anregung aufgenommen.

„Warum können die Flüchtlinge nicht hier bleiben?“, fragte eine Anwohnerin. Ihr wären die Flüchtlinge lieber als ein neues Wohngebäude. "Dass Flüchtlinge lieber gesehen werden als Bagger, bekomme ich selten zu hören", sagte Martin Leo. Er freue sich zwar über die Frage, aber was Hamburg brauche, sei preiswerter Wohnraum. „Wenn wir den hätten, würden wir solche Standorte nicht brauchen. Plätze in Containern sind grundsätzlich ein Provisorium. Wir werden dem Wohnungsbau ganz sicher nicht im Wege stehen.“

Gern würde die BASFI in Wilhelmsburg noch einen weiteren Container-Standort aufbauen. Ideal wäre auch der ehemalige igs-Parkplatz. Doch der Bezirk sperrt sich, mit der Begründung, der Platz sei nicht geeignet. Christiane Kreipe weist diese Erklärung zurück: „Der igs-Parkplatz ist ein Tabuthema, weil er für die Entwicklung der neuen Mitte Wilhelmsburg wichtig ist.“ Man habe wohl die Befürchtung, als Flüchtlingsunterkunft ließe er sich nicht mehr so gut vermarkten.

von Lisa-Marie Eckardt

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Kommentare

2 Antworten zu „Georg-Wilhelm-Höfe: Flüchtlinge statt Bagger“

  1. Avatar von jörg
    jörg

    Die typische Situation eines IBA-Projekts: Es ist gelungen, irgendjemanden zu überzeugen, irgendwas irgendwohin zu bauen. Hurra, ein Erfolg! Hinterher darf dann der Bezirk eine passende Planung machen.
    Hier ist das allerdings gründlich in die Hose gegangen. Der erste Bauabschnitt ist unter völliger Rechtsbeugung nachgenehmigt worden, er steht auf einer ausgewiesenen Grünanlage und auf einem öffentlichen Parkplatz. Das geht schonmal nicht, wenn das Legalitätsprinzip gelten würde. Für Wohnen (Festlegung eines Wohngebiets) ist es außerdem deutlich zu laut und es stinkt zu oft. Außerdem gibt es Altlasten und Bodenausgasungen. Alles jeweils genügend Grund, daß Wohnen dort nicht genehmigungsfähig ist. Absoluter Ausschlußgrund sind die Störfallbetriebe, die u.a. mit Phosphor hantieren (der südliche heißt übrigens Wallmann). Die SevesoII-Richtlinie schreibt in diesem Fall einen Sicherheitsabstand (Sprengkreis) von 780m vor. Das neue Gebäude ist jedoch nur 240m von Lehnkering entfernt. Also noch ein absoluter und entscheidender Ausschlußgrund für das Wohnen.
    Weil hier aber IBA, Hamburg und Wilhelmsburg sind, werden massenhaft Augen zugedrückt. Es wird sich an einem Urteil aus NRW festgeklammert, das besagen soll, daß wenn es schon eine rechtlich unhaltbare Gemengelage gibt, es ungerecht wäre, wenn nicht auch noch weiteres Unhaltbares dazukommen dürfte.
    Denn in der Tat, die Schule lag im Sprengkreis und auch schon bestehende Wohnbebauung befindet sich in der Gefahrenzone. Das liegt daran, daß die Häuser schon vor Seveso standen und es früher eine größere Bedenkenlosigkeit gab.
    Gute Politik sollte versuchen, die Unverträglichkeiten zu entflechten, anstatt noch mehr Menschen den Gefährdungen, die selbstverständlich unangetastet bleiben sollen, auszusetzen.

    Und in einer Situation, wo es keine rechtskonforme planerische Lösung für das IBA-Projekt geben kann, ersaztweise Flüchtlinge ins Projektgebiet zu quartieren, und dabei darauf zu setzen, daß sie ja nicht wohnen, sondern nur untergebracht werden, ist schon mehr als zynisch.

  2. […] 130 Flüchtlinge leben sollen. Hier hatte die Basfi im Februar angekündigt, dass die Unterkünfte im April fertig sein sollen, doch das sind sie bis heute nicht. Auch an der S-Bahnhaltestelle Veddel will die Basfi […]

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