Der igs-Auftakt ist gelaufen, die IBA-Eröffnung liegt lange zurück – und auch die Proteste scheinen abzuklingen. Wie geht es nun weiter? Gewöhnt sich Wilhelmsburg an den sogenannten Ausnahmezustand auf Zeit? Besser nicht, findet Moritz Rinn vom Arbeitskreis Umstrukturierung Wilhelmsburg (AKU). Er und seine Mitstreiter sagen: Die schädigenden Folgen von IBA und igs sind schon heute spürbar und sie werden sich in Zukunft noch verschärfen. Damit sie vom „IBA-Effekt“ nicht kalt erwischt werden, schauen die Kritikerinnen und Kritiker genau hin. Mit dem Geografen Thomas Pohl nehmen sie die Idee von der „Aufwertung ohne Verdrängung“ unter die Lupe. Das Thema ist wichtig für alle, die verhindern wollen, dass Menschen aus ihrem Stadtteil ausgegrenzt werden, sagt Moritz Rinn im Interview mit WilhelmsburgOnline.de.
Jetzt sind die IBA und die igs in Wilhelmsburg – und manche Angebote kommen auf der Insel auch ganz gut an. Wieso protestiert der AKU weiter?
Ein großes Thema wird weiterhin die Entwicklung der Mieten sein. Bis 2017 werden viele Wohnungen aus der Sozialbindung herausfallen. Das bedeutet: Die Mieten sind dann nicht mehr gedeckelt, weil öffentlich geförderte Programme auslaufen. Das betrifft knapp 10 Prozent aller Wohnungen in Wilhelmsburg. Die sind dann frei auf dem Markt, und ich bin mir sicher, dass die Mietsteigerungen dann weiter gehen. Eine Forderung an den Senat wäre deshalb weniger die nach Neubau, denn Neubau allein löst nicht das Problem, dass es zu wenig günstige Wohnungen gibt. Wir brauchen auch den Schutz von bestehenden Wohnungen, zum Beispiel mit einer sozialen Erhaltungsverordnung. Das allein reicht zwar noch nicht, weil es die Mietpreise nicht deckelt. Aber man könnte auch von der Stadt fordern, dass die SAGA die Mieten einfriert oder sogar senkt.
Manche Leute auf der Insel wohnen ja gar nicht zur Miete, sondern im Eigenheim. Kann denen das ganze Problem also egal sein?
Andersrum gefragt – warum sollte es für sie kein Thema sein? Wir sehen das so: Die IBA hat soziale Ungleichheit befördert, auch weil sie hochpreisigen Wohnraum geschaffen hat und dagegen wenig für den Bestandsschutz gemacht hat. Für die, die Eigentumswohnungen haben, ist das zunächst ganz nett, denn der Wert ihrer Immobilien steigt dadurch auch. Die Frage ist aber: Wie stehe ich persönlich dazu? Geht es mir nur um mein eigenes Häusel, oder will ich mich für eine gerechtere Stadtentwicklung einsetzen?
Auch auf WilhelmsburgOnline.de sagen viele: Die, die gegen Gentrifizierung protestieren, treiben sie in Wahrheit voran. Wie siehst du das?
Wenn Menschen hierhin ziehen, die sich die höheren Mieten leisten können, dann kann man denen das nicht persönlich zum Vorwurf machen. Sie sind auch nicht persönlich schuld daran, dass andere diese Wohnungen nicht bekommen. Das Problem sind der Wohnungsmarkt in Hamburg und eben Strategien der Stadt, die manche Viertel gezielt aufwertet und teurer macht – zum Beispiel mit der IBA in Wilhelmsburg. Diese Rahmenbedingungen und die Folge, dass Leute verdrängt werden, haben wir uns alle nicht ausgesucht. Ich bin hierher gezogen, weil ich woanders keine Wohnung gekriegt habe. Mir ist auch klar, warum ich die Wohnung in Wilhelmsburg bekommen habe und nicht die, die außer mir zur Besichtigung gekommen sind. Ich passte gut in das Raster. Ich stehe also nicht außerhalb dieser Aufwertungsprozesse, ich bin Teil davon. Aber genau deshalb muss ich eine politische Position finden. Ich finde: Leute wie ich haben eine Verantwortung dafür, in diese Prozesse einzugreifen. Wenn aber einzelne Menschen oder Gruppen persönlich für Verdrängung verantwortlich gemacht werden, finde ich das schwierig. Dieser Vorwurf „Ihr seid schuld“ bringt uns nichts.
Das Interview führte Annabel Trautwein
Tipp:
Mehr erfahren und mitreden können alle am Donnerstag, 23. Mai, im Bürgerhaus in der Mengestraße. Dort lädt der AKU ein zur Veranstaltung „Eine Verdrängung findet nicht statt..? Der 'IBA-Efffekt' auf Wohnverhältnisse in Wilhelmsburg“ mit Thomas Pohl. Der Geograf von der Uni Hamburg hat sich Statistiken zur Lage auf der Elbinsel genau angesehen und erläutert, wie die IBA zu ihrem Bild von „Aufwertung ohne Verdrängung“ kommt. Die Veranstaltung beginnt um 19 Uhr und kostet keinen Eintritt.
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