Tausende neue Wohnungen sollen auf den Elbinseln Wilhelmsburg und Veddel gebaut werden – nur wo? Entwürfe gibt es schon: Auf der Trasse der heutigen Wilhelmsburger Reichsstraße könnte ein Neubaugebiet zwischen Assmann-Kanal und Jaffe-David-Kanal entstehen. Das schlagen die Planer aus dem Bezirk und der Stadtentwicklungsbehörde vor. Auch am Spreehafen und im Norden der Veddel könnte Platz für neue Wohnungen geschaffen werden. Auf einer Info-Veranstaltung des Beteiligungsverfahrens „Perspektiven“ am Montagabend stellte Oberbaudirektor Jörn Walter die vorläufigen Pläne im Bürgerhaus vor. Nach der Debatte im fast vollbesetzten großen Saal war klar: Es wird nicht einfach für die Stadtplaner. Kleingärtner, Planungsexperten und engagierte Gegner der Reichsstraßenverlegung äußerten scharfe Kritik.
Noch ist nichts entschieden – das schickte Oberbaudirektor Jörn Walter bei seiner Präsentation vorweg. Auch die zuständigen Behörden seien noch nicht einig darüber, ob die Entwürfe aus der Zwischenbilanz zum Zukunftsbild Elbinseln 2013+ überhaupt umgesetzt werden, sagte er. Zudem sollten die Menschen auf den Elbinseln ein Wörtchen mitreden können: Ihre Interessen, die beim Perspektiven-Verfahren auf den Tisch kommen, sollen in die Pläne zum Wohnungsbau einfließen. „So war die Verabredung, an die fühlen wir uns auch nach wie vor gebunden“, versicherte Jörn Walter. Bis zur Sommerpause 2014 wollen die Planer konkrete Vorschläge vorlegen, über die dann die Politik entscheiden soll – erste Ideen nehmen aber bereits Form an.
Veringkanal bei Entwürfen zum Wohnungsbau außen vor
Herzstück dieser Entwürfe ist die heutige Trasse der Wilhelmsburger Reichsstraße zwischen Rathaus und Spreehafen. Wird die Straße wie geplant an die Bahnschienen verlegt, entsteht dort Platz für ein ganzes Neubaugebiet im Grünen – so stellen es sich die Planer vor. Entlang dieser „Mittelachse“ müsste dann aber beidseitig umstrukturiert werden: Im Westen zwischen Assmann-Kanal und heutiger Reichsstraße müssten einige Kleingärten und Sportplätze weichen. Im Osten, zum Jaffe-Davids-Kanal hin, soll ein Mischgebiet mit Wohn- und Gewerbeflächen entstehen. Heute ist das Areal offiziell Industriegebiet und wird laut Jörn Walter vorwiegend von Gewerbebetrieben der Hafenwirtschaft genutzt. Im Norden der Insel könnte die „Mittelachse“ in ein weiteres Neubaugebiet münden: Die Planer sehen auch an der Harburger Chaussee Raum für weiteren Wohnungsbau. Dort könnte zusätzlich ein neuer Sportpark entstehen – auch als Ersatzfläche für Sportler, die heute zwischen Reichsstraße und Assmann-Kanal trainieren. Zudem soll im Laufe der kommenden zehn Jahre der Deich höher und breiter gemacht werden. Einen städtebaulichen Wettbewerb gab es dazu schon, wie Jörn Walter im Bürgerhaus erläuterte. Auch für das Gebiet im Norden der Veddel wurden schon Entwürfe eingereicht.
Eine geringere Rolle für die Wohnungsbaupläne von Bezirk und BSU spielt das Areal rund um den Veringkanal. „Am Veringkanal haben wir, was das Wohnen betrifft, ein sehr unmittelbares Problem, weil wir zwei Großbetriebe haben, die hier schlichtweg das Wohnen aus Abstandsgründen nicht erlauben“, erklärte der Oberbaudirektor. Auch wenn die Nordischen Ölwerke und der Logistikbetrieb Hellmann für die Nachbarinnen und Nachbarn ein Problem darstellen, wolle die Stadt sie nicht von ihren Standorten vertreiben. Sonst stünden Arbeitsplätze auf der Kippe – das wollten die Planer nicht riskieren, sagte Jörn Walter. Weitere Hindernisse für Wohnungsbau am Veringkanal, die der Oberbaudirektor nicht erwähnte, ist die Idee des Bezirks, das Gebiet zum „Kulturkanal“ umzugestalten. Auch hier gibt es noch keine konkreten Pläne, aber Überlegungen, die bereits Anfang des Monats im Stadtplanungsausschuss vorgestellt wurden.
Kleingärtner überreichen Manifest
Kritik an den Entwürfen der städtischen Planer äußerten viele, die am Montagabend ins Bürgerhaus gekommen waren. Gegenwind schlug dem Oberbaudirektor vor allem seitens der Kleingärtner entgegen. Die Vereine „Kolonie der Gartenfreunde“, „Sommerfreunde“ und „Unsere Scholle“ überreichten ihm ein Manifest, in dem sie darauf hinwiesen, dass die Kleingärten ein wichtiges Naherholungsgebiet für die Menschen im Reiherstieg darstelle. Die „grüne Lunge“ am Assmann-Kanal sei nicht nur wichtig für das Stadtklima und die Artenvielfalt auf der Insel, sondern auch ein wichtiger kultureller Treffpunkt für Nachbarinnen und Nachbarn aus allen Einkommensschichten. „Wir wehren uns dagegen, als Flächenreserve, Manövriermasse, Spekulationsgebiet und Spielball betrachtet zu werden“, heißt es in dem Manifest. Im Zuge der Debatte führte Michael Wickenbrock vom Verein „Unsere Scholle“ weitere Kritikpunkte aus. Die geplante Verlegung der Reichsstraße mit einer neuen Abfahrt zur Rotenhäuser Straße stärke das bestehende Industriegebiet, sagte er. „Wie wollen Sie sich da gegenüber der Wirtschaftsbehörde durchsetzen, dass dieses Areal in ein Mischgebiet umgewandelt wird?“
Eine konkrete Antwort darauf lieferte der Oberbaudirektor nicht – er betonte jedoch, dass höchstens ein Teil der Kleingärten weichen müsste, wenn die Pläne umgesetzt würden. In solchen Fällen wolle die Stadt den Kleingärtnern Alternativen anbieten. „Es gibt eine klare Regel: Die Kleingärten sollen eins zu eins ersetzt werden, und zwar auch hier in Wilhelmsburg und nicht woanders in der Stadt“, sagte er. Den Parzellenpächtern im Saal reichte das nicht. Das Gebiet am Assmann-Kanal sei so, wie es heute ist – mit Ruderclub, Sportplätzen und Kleingärten – entscheidend für die Menschen im Quartier. „Das kann man nicht einfach opfern“ , bekräftigte Michael Wickenbrock und erntete dafür Jubel und Applaus.
Manuel Humburg vom Verein Zukunft Elbinsel setzte mit einer eigenen Präsentation zur Fundamentalkritik gegen die Entwürfe der städtischen Planer an. „Ich bezweifle, dass es hier um die Weiterentwicklung Wilhelmsburgs geht“, sagte er. Zum einen werde der Süden der Insel gar nicht in die Wohnungsbaupläne einbezogen – stattdessen sei dort eine Hafenquerspange mit erheblicher Verkehrsbelastung für Kirchdorf-Süd geplant. Zudem gehe aus dem Zwischenbericht deutlich hervor, dass nicht sozialer Wohnungsbau, sondern die Interessen von Privatinvestoren im Vordergrund stünden. Zudem seien viele Wünsche der Wilhelmsburger beim Rahmenkonzept „Sprung über die Elbe“ vernachlässigt worden, sagte Manuel Humburg. Er forderte stattdessen, die Bürger an den Planungen ernsthaft zu beteiligen – wiederum gab es Jubel und Applaus im Saal. Selbst die wichtigste Voraussetzung für die Entwürfe sei noch gar nicht geklärt, kritisierte Liesel Amelingmeyer: Ob die Reichsstraße tatsächlich verlegt wird, hängt noch von einer Gerichtsentscheidung ab. Mehrere Kläger, darunter die Klagegemeinschaft Relewi, warten noch auf einen Beschluss.
Oberbaudirektor Jörn Walter bemühte sich, die Kritik zu entschärfen. Es gehe bei der ganzen Präsentation erst einmal darum, einen Austausch der Interessen von verschiedenen Gruppen im Stadtteil, den unterschiedlichen Behörden und politischen Kräften hinzubekommen, sagte er. Klar sei, dass Entscheidungen, die die ganze Stadt betreffen, nicht nur die Interessen der Menschen in Wilhelmsburg widerspiegeln könnten. Die vorgestellten Entwürfe müssten sich an vielen, teils konkurrierenden Zielen messen lassen. „Ich hoffe, dass wir es schaffen, die Kräfte auch mal wieder zu bündeln – trotz dieser sehr widerstreitenden Interessen“, sagte Jörn Walter zum Abschluss der Debatte.
von Annabel Trautwein
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