IBA-Bilanz: Wie viel Bürgerwille steckt noch drin?

Nicht von oben herab planen, sondern Wilhelmsburg gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern entwickeln – das hat sich die Internationale Bauausstellung (IBA) zum Ziel gesetzt. Was hat es den Menschen auf der Insel gebracht? Mitbestimmen konnten die sie bei der IBA nur im Kleinen, sagt Michael Rothschuh, Professor für Sozialpolitik und Gemeinwesenarbeit. Das Versprechen, auf Augenhöhe mit den Bürgerinnen und Bürgern zusammen zu arbeiten, habe die IBA nicht eingelöst.

„Auf die Bürger kommt es an: Diese Leitlinie gehört zum Wesen der IBA Hamburg“, heißt es in einer Broschüre der Bauausstellung. Keine wichtige Entscheidung solle ohne die Menschen auf der Elbinsel getroffen werden – und erst recht keine gegen ihren Willen. Die Wilhelmsburger und Wilhelmsburgerinnen sollten nicht Objekt der Planung, sondern Partner sein, versprach Geschäftsführer Uli Hellweg. „Uns ist es wichtig, alle Bewohner des IBA-Projektgebiets einzubeziehen, mitzunehmen und mit ihren individuellen Wünschen und Erwartungen an die IBA Hamburg zu berücksichtigen“, sagte er vor einem Jahr, als die Präsentation der IBA näher rückte. Vor einem Monat verabschiedete er sich mit einem Dank für die Mitwirkung der Menschen im Stadtteil.

Wie konnten sich die Wilhelmsburger überhaupt einbringen? Zwei Projekte dazu stellt die IBA in den Vordergrund: Das IBA/igs-Beteiligungsgremium und die Bürgerdialoge. Im Beteiligungsgremium sollten die Wilhelmsburger Zukunftspläne für ihre Insel mitgestalten. 24 Bürgerinnen und Bürger waren eingeladen, davon 15 aus Wilhelmsburg, um sich mit Politikern und Vertretern von IBA und igs zu beraten. Sie sollten die Planungen zusätzlich zu den Beiräten im IBA-Gebiet begleiten und mit Wissen und Erfahrung zu sinnvollen Beschlüssen beitragen. Sechs Jahre lang – von Dezember 2006 bis Dezember 2012 – trafen sich die ausgewählten Männer und Frauen an jedem vierten Dienstag im Monat im Bürgerhaus. Was dort besprochen wurde, soll jeder nachlesen können: Die Protokolle und Anträge der Gruppe stehen auf der Internetseite der IBA. Auch bei den Bürgerdialogen sollten sich Menschen aus dem Stadtteil schlau machen und mitdiskutieren können.

Was aber geschah mit dem Wissen und den Meinungen der Inselbewohner? Der Wilhelmsburger Michael Rothschuh hat die Beteiligungsprojekte der IBA aufmerksam verfolgt. Entscheiden durften die Menschen am Ende nur wenig, sagt er. „Man muss unterscheiden zwischen der Frage, ob etwas gemacht wird und der Frage, wie etwas gemacht wird.“ Die Beteiligungsverfahren der IBA hätten sich auf die Frage konzentriert, wie etwas umgesetzt werde. „Da ist auch eine Reihe von Punkten verändert worden. Aber die Rahmenbedingungen konnten nicht verändert werden“, sagt der Professor für Gemeinwesenarbeit.

Macht, Zeit und Geld – darauf kommt es an

Ob Bürgerbeteiligung gelingt oder nicht, hängt laut Michael Rothschuh von drei Faktoren ab: Macht, Zeit und Geld. „Geschenkte Beteiligung ist in wirklichen Konfliktfragen nichts wert“, sagt er. Wenn es nicht nur darum gehen soll, wie bereits beschlossene Pläne ausgeführt werden, sondern ob sie überhaupt beschlossen werden, müssten die Bürgerinnen und Bürger auch etwas gegen die Planer in der Hand haben. Die Menschen müssten Druck machen können, etwa durch publikumswirksame Demonstrationen, Bürgerentscheide oder Gerichtsverfahren. Im Fall der IBA wurden aber viele Entscheidungen gefällt, ohne dass sich die Betroffenen einmischen konnten. „Es war eine Planung im Ausnahmezustand, und zwar in dem Sinne, dass ganz vieles gemacht wurde, ohne dass es einen verabschiedeten Bebauungsplan gab.“ Für Bebauungspläne ist eigentlich der Bezirk zuständig. Der habe sich jedoch per Vertrag verpflichten müssen, die IBA nicht zu behindern, sagt Michael Rothschuh. Als etwa die Bagger zum Bau der neuen Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt und zum Bau der IBA-Häuser in gegenüber anrollten, seien die Bebauungspläne noch gar nicht rechtskräftig gewesen. Auf seinen Einwand dazu habe er vor rund zwei Monaten eine Antwort erhalten, sagt Michael Rothschuh. Da standen die Häuser aber längst. Auch in anderer Hinsicht waren die Menschen im Stadtteil oft nicht dabei, als Entscheidungen fielen – zum Beispiel auf Immobilienmessen, wo die IBA mit Privatinvestoren Geschäfte vereinbarte.

Gibt es die Chance, sich einzumischen, muss es rechtzeitig geschehen. Da kämen manchmal auch die Bürger zu spät, sagt Michael Rothschuh. Er spricht von einem Dilemma: „Sehr früh im Planungsprozess gibt es für die Bürger eine höhere Chance, mitzuentscheiden, aber die Umsetzung liegt noch in der Ferne“, sagt er. Wenn die Umsetzung immer näher rücke, seien auch mehr Menschen interessiert, sich einzubringen – doch dann verringerten sich auch die Chancen, auf Entscheidungen Einfluss zu nehmen. Sei der entscheidende Zeitpunkt verstrichen, habe Beteiligung kaum noch einen Sinn.

Werbung verzerrt das Gleichgewicht der Meinungen

Faktor drei – das Geld – spielt laut Michael Rothschuh ebenfalls eine wichtige Rolle für die Bürgerbeteiligung im Rahmen der IBA. Denn Geld hat auch im Austausch der Meinungen erheblichen Einfluss. „Die IBA hat einen wahnsinnigen Werbe-Etat gehabt für ihre jeweilige Position und hat es auch geschafft, dass die Leute auch nicht mehr wussten, welche Position die IBA vorher gehabt hat“, kritisiert Michael Rothschuh. Im Beteiligungsgremium und in den Bürgerdialogen aber sollte Meinung allein schon Einfluss bedeuten.

War die IBA also doch Planung von oben herab? So einseitig sieht Michael Rothschuh es nicht. Manches hätten die Menschen in Wilhelmsburg auch verhindern können – etwa die Bebauung der Kirchdorfer Wiesen. „Das war ursprünglich ein großes Projekt von der IBA gewesen, das hat sie sich aber im Zuge der Bürgerbeteiligung ausreden lassen“, sagt er. Auch ein See rund um das Wilhelmsburger Rathaus sei nicht zustande gekommen, weil Menschen aus dem Stadtteil dagegen waren. Bei den sogenannten Planungswerkstätten hätten Bürgerinnen und Bürger auch praktisch mitgestalten können. „Da war Sachverstand von den Bewohnern auch durchaus erwünscht“, sagt Michael Rothschuh. Zudem habe die IBA auch Volkszorn zu spüren bekommen, den sie selbst nicht zu verantworten hatte, sagt er. Im Streit um die Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße habe die Stadt die Meinung der Betroffenen massiv übergangen und so viel Vertrauen zerstört. Die IBA stellte sich offiziell auf die Seite der Verkehrsbehörde – damit war sie bei vielen Wilhelmsburgern unten durch. „Wenn wir nicht diesen großen Konflikt über die Verkehrsplanung gehabt hätten, wäre hier ein anderes Klima entstanden“, sagt Michael Rothschuh.

von Annabel Trautwein

 

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